Forscher konnten nun im Detail aufklären, wie Derivate der Fumarsäure Patienten mit Multipler Sklerose oder Psoriasis vor weiteren Krankheitsschüben schützt. Die Umwandlung der dendritischen Zellen spielt dabei eine zentrale Rolle.
Multiple Sklerose (MS) und Psoriasis zählen zu den häufigsten Autoimmunkrankheiten in Deutschland. Bei beiden Erkrankungen häufen sich die Indizien, dass während der akuten Entzündungsphase bestimmte Immunzellen eine entscheidende Rolle spielen: Die sogenannten Th17-Zellen erkennen körpereigene Proteine und geben den Botenstoff Interleukin-17 ab, der die Produktion von entzündungsfördernden Molekülen und Zellen ankurbelt.
Trotz der ähnlichen zugrundeliegenden Mechanismen behandelte man bislang Multiple Sklerose und Psoriasis völlig verschieden – half ein Medikament bei der einen Krankheit, so war es mit ziemlicher Sicherheit bei der anderen Krankheit wirkungslos oder gar schädlich. Doch es scheint eine Ausnahme von dieser Regel zu geben: Chemische Abkömmlinge der Fumarsäure werden seit Jahren als Standardtherapeutikum zur Behandlung von Psoriasis eingesetzt und haben kürzlich in mehreren großen klinischen Studien auch ihre Wirksamkeit bei MS-Patienten gezeigt.
DMF löst Signal aus
Einem Forscherteam des Universitätsklinikum gelang es nun, am Beispiel von Dimethylfumarat (DMF) aufzuklären, auf welche Weise die Substanzklasse den Verlauf beider Krankheiten lindert. Wie die Wissenschaftler um Professor Martin Röcken im Journal of Experimental Medicine berichteten, setzt DMF eine Signalkaskade in Gang, die dafür sorgt, dass weniger Th17-Zellen hergestellt werden. Im Mittelpunkt dieses Prozesses stehen dendritische Zellen, die normalerweise das Immunsystem alarmieren sollen, wenn Viren oder Bakterien in den Körper eindringen. Irrtümlicherweise können dendritische Zellen jedoch auch einen Angriff der Immunabwehr gegen körpereigene Zellen einleiten. „Dendritische Zellen schalten in den Lymphknoten die Th17-Zellen scharf und lösen so Autoimmunkrankheiten wie MS oder Psoriasis aus“, sagt Röcken, der ärztlicher Direktor der Tübinger Universitäts-Hautklinik ist.
Schützende Immunzellen gewinnen Oberhand
In einer Reihe von Experimenten konnten er und seine Mitarbeiter zeigen, dass DMF nicht direkt Th17-Zellen beeinflusst, sondern indirekt, indem es auf die dendritischen Zellen einwirkt. „DMF erzieht die dendritischen Zellen regelrecht um“, sagt Röcken. Es bringt die Immunzellen dazu, nicht mehr die entzündungsfördernden Botenstoffe Interleukin-23 und Interleukin-12 zu produzieren sondern das antientzündlich wirkende Interleukin-10. Als Folge davon werden statt Th17-Zellen verstärkt Th2-Zellen gebildet, von denen man annimmt, dass sie einen schützenden Effekt bei Autoimmunkrankheiten haben.
Der Nachweis, dass DMF die Umwandlung der dendritischen Zellen vorantreibt und auf diese Weise die Bildung der Th2-Zellen fördert, gelang dem Team um Röcken bei speziell gezüchteten Mäusen, die an einer MS-ähnlichen Autoimmunerkrankung litten. Aber auch bei Psoriasis-Patienten konnten die Forscher beobachten, dass die Behandlung mit DMF dazu führt, dass mehr Th2-Zellen und weniger Th17-Zellen entstehen.
DMF unterdrückt Krankheitsschübe
Allerdings tritt die Wirkung von DMF nicht sofort ein: „DMF und ähnliche Substanzen hemmen nicht den akuten Schub bei Patienten mit MS oder Psoriasis, sondern verhindern, dass neue Krankheitsschübe entstehen“, sagt Röcken. Seiner Ansicht nach könnten die neuen Erkenntnisse die Entwicklung von Medikamenten vorantreiben, die noch wirksamer als DMF die Bildung der schädlichen Th17-Zellen blockieren und gleichzeitig die Bildung der schützenden Th2-Zellen fördern.
Auch andere Experten wie Professor Roland Martin, Leitender Arzt an der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich, finden, dass die neue Veröffentlichung sehr zum Verständnis beiträgt, warum die Therapie mit DMF bei beiden Autoimmunerkrankungen erfolgreich ist: „Gerade für die Behandlung von MS könnte die Substanz vorteilhaft sein, da sie im Gegensatz zu den meisten anderen MS-Medikamenten oral verabreicht wird, sagt Martin. “Zudem ist DMF Studienergebnisse zufolge sogar wirksamer als die bisherigen Standardarzneien gegen MS und verfüge über ein sehr gutes Sicherheitsprofil.“ Der Mediziner rät aber zur Vorsicht, denn die Ergebnisse entstammten in erster Linie aus Tierversuchen und könnten nicht direkt auf den Menschen und beide Autoimmunerkrankungen übertragen werden.