Neuronen erzeugen messbare elektrische Signale, wenn sie aktiv sind. Obwohl dieses Wissen schon lange beim EEG zur Diagnostik genutzt wird, war bis jetzt nicht bekannt, was die Signale über den Ort und die Aktivität der Neuronen genau aussagen.
Die Tatsache, dass Neuronen sich über die Weiterleitung elektrischer Signale verständigen, nutzen Mediziner schon lange Zeit bei der Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns. Beim EEG werden die Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche mit Hilfe von Elektroden in bestimmter Anordnung gemessen und aufgezeichnet. Die größte Limitierung des EEG besteht darin, dass nur aus dem oberen kortikalen Bereich, etwa den obersten ein bis maximal fünf Millimetern, das Feldpotential gemessen werden kann. Signale aus tieferen Regionen des Gehirns werden als sehr unspezifische Signale aufgezeichnet. Eine exakte Lokalisation ist nicht möglich.
Frquenzbänder: Historische Ursachen zu Grunde
Obwohl das EEG standardmäßig zur Diagnostik bestimmter Krankheiten wie Epilepsie herangezogen wird, war bisher nicht bekannt, was die gemessenen Signale genau aussagen. Die Unterscheidung zwischen physiologisch und pathologisch beruht vor allem auf Beobachtung und Erfahrung. Der Einteilung der Hirnströme in Frequenzbänder liegen nicht zwingend funktionelle, sondern vielmehr historische Ursachen zu Grunde. Nun ist es Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich in Kollaboration mit der Norwegian University of Life Sciences in As gelungen, aus den Eigenschaften der einzelnen Neuronen abzuleiten, wo die Ursache für das gemessene Signal liegt. Als Grundlage dienten den Wissenschaftlern Daten über das Lokale Feldpotential (LFP) aus Ratten, Affen oder Menschen. Das LFP wird gemessen, indem eine Elektrode in das Gehirn gesteckt wird und die Aktivität der umliegenden Neuronen aufgezeichnet wird. Die Schwierigkeit beim LFP, ebenso wie bei einem EEG, liegt darin, dass das Signal die Summe der Aktivität aller Neuronen in der Nähe der Elektrode ist. Doch wie weit geht die „Nähe“ um die Elektrode? Nimmt sie nur Signale von Neuronen wahr, die die Elektrode direkt berühren oder auch von Zellen in einiger Entfernung? Das zu wissen ist für die Interpretation des Signals von entscheidender Bedeutung.
Darum maßen die Forscher die Signale an einer Elektrode, die durch die obersten drei Millimeter des Cortex fuhr. Allein dieser schmale Bereich besteht aus sechs verschiedenen Schichten. Und in jeder dieser Schichten konnte spezifische Aktivität gemessen werden. Mit diesen Daten fütterten die Wissenschaftler um Prof. Markus Diesmann vom Forschungszentrum Jülich einen Hochleistungsrechner. Die Technologie, einzelne Neuronen und Netzwerke mathematisch zu simulieren, haben sie selbst entwickelt. Inzwischen ist es ihnen möglich einen Bereich mit etwa 1 Millarde Synapsen zu simulieren. Das entspricht etwa der Anzahl an Synapsen in einem Kubikmillimeter Gehirn. „Die Reichweite einer Mess-Elektrode ist demnach keine konstante Größe“, erklärt Professor Diesmann. „Arbeiten die Neuronen unabhängig voneinander, also jede für sich, ist die Reichweite einer Elektrode gering: sie empfängt die Signale nur von Nervenzellen in maximal 0,3 Millimetern Entfernung. Arbeiten die Neuronen aber synchronisiert, empfängt die Elektrode Signale aus einem deutlich größeren Bereich“. Ebenso spielt für die Reichweite eine Rolle, wie viele Neuronen untereinander in Kontakt stehen und wie intensiv sie sich austauschen.
Faustregel für Mindestabstand von Mess-Elektroden
Theoretisch ist es möglich, Simulationen für alle Gehirnregionen zu erstellen. Dem müssten jedoch zahlreiche Messungen des LFP in den unterschiedlichsten Hirnregionen vorausgehen. Denn momentan lässt sich noch keine Aussage treffen, welche Bereiche bei welchem Verhalten genau aktiv sind und wie groß der aktive Bereich ist. Doch nach den Aussagen der Wissenschaftler, müssten sich die Ergebnisse auf die Gegebenheiten im EEG übertragen lassen. Selbstverständlich sind die dort gemessenen Signale nicht so detailliert und auch der Bereich, in dem Signale gemessen werden, ist deutlich größer, doch man sieht die gleichen Dinge: die Reichweite einer EEG-Elektrode hängt von der Korrelation der neuronalen Signale ab. „Das Ergebnis liefert uns eine Faustregel für einen Mindestabstand von Mess-Elektroden“, erläutert Diesmann. „Andererseits wissen wir nun, dass bei synchron arbeitenden Zellen das Signal nicht nur den Bereich rund um die Elektrode widerspiegeln muss. Das könnte sich zum Beispiel einmal auf die Diagnose und Therapie von Epilepsie oder auch Parkinson auswirken. In beiden Fällen gehören synchrone Neuronenverbände zum Krankheitsbild“.
Verbesserte Datenlage über die LFPs
Der niedergelassene Neurologe Dr. med Curt Beil aus Köln spekuliert jedoch, dass die Bedeutung des EEG im Vergleich mit Methoden wie der funktionellen MRT (fMRT) oder PET immer geringer werden wird. Der Vorteil eines EEG gegenüber einer fMRT liegt jedoch darin, dass die elektrischen Veränderungen des Gehirns direkt gemessen werden, während bei der fMRT eine Aussage indirekt über den Blutfluss vorgenommen wird. Prof. Diesmann hofft, dass es mit verbesserter Datenlage über die LFPs möglich wird, verschiedene Krankheitsausprägungen, beispielsweise der Epilepsie, zu modellieren und zusätzlich genauere Aussagen darüber treffen zu können, welche Bereiche im Gehirn genau beteiligt sind. Für Neurochirurgen wäre es dann leichter, exakt die betroffenen Stellen zu entfernen.