Implantate aus Titan sind heute Standard in der Unfallchirurgie. Ein Hauptargument für ihre Anwendung ist die angeblich bessere Biokompatibilität. Stahl-Implantate hingegen gelten fast schon als Relikte aus der „Steinzeit“. Möglicherweise zu Unrecht.
Titan ist ein sehr begehrtes Metall, das nicht allein in der Medizin verwendet wird, sondern bekanntlich auch im Schiffs-, Flugzeug- und Fahrzeugbau, um nur ein paar wenige Anwendungsgebiete zu nennen. Als Gründe für den Einsatz von Titan-Implantaten in der Unfall- einschließlich der Wirbelsäulenchirurgie werden vor allem Biokompatibilität und Korrosionsbeständigkeit genannt. Ein gewichtiger Vorteil ist zudem, dass kernspintomografische Untersuchungen bedenkenlos möglich sind, was zum Beispiel von erheblicher Relevanz bei intrakraniellen Aneurysma-Clips in der Neurochirurgie ist. Die Ansicht aber, Titan-Implantate in der Frakturversorgung hätten die bessere Biokompatibilität und verminderte Infektraten aufgrund geringerer Korrosion basiere überwiegend auf In-Vitro- und In-Vivo-Studien, „nicht jedoch auf klinischer Evidenz“, meint Dr. Sebastian Weckbach vom Universitätsklinikum Ulm. Titan-Implantate hätten sogar mehrere Nachteile, etwa ein erhöhtes Risiko
Indirekter Vergleich klinischer Ergebnisse Zusammen mit seinen Kollegen ist Weckbach daher in einer retrospektiven Studie der Frage nachgegangen, ob Titan-Implantate zur Frakturversorgung den Patienten tatsächlich mehr nutzen als Platten und Schrauben aus Stahl-Legierungen. Konkrete Fragestellung der kürzlich publizierten Studie („Der Unfallchirurg“) war, ob Titan-Implantate mit höheren Komplikations- und Revisionsraten in der Versorgung peripherer Frakturen einhergehen. Für die Studie hat das Team Daten eines Trauma-Zentrums in den USA („Denver Health Medical Center“ ) ausgewertet. Berücksichtigt wurden alle über 15 Jahre alten Patienten, die zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 31.Dezember 2010 wegen einer Extremitäten-Fraktur mit Stahl-Platten osteosynthetisch versorgt wurden. Die Resultate verglichen Weckbach und seine Kollegen dann mit den publizierten Daten zur Komplikationsrate von Titan-Implantaten bei identischen Indikationen und Frakturlokalisationen. Ausgewertet wurden Daten von 751 Patienten, bei denen 774 Frakturen mit 859 Stahl-Platten versorgt wurden. Bessere Resultate mit Stahl-Platten Nach Angaben der Unfallchirurgen betrug die Komplikationsrate bei diesen Patienten 8, 01 Prozent (n=62), die operative Revisionsrate 5,16 Prozent (n=40). Erwartungsgemäß höher waren die Komplikations- und Revisionsraten bei offenen Frakturen: Im Vergleich zu den Raten bei geschlossenen Frakturen (7,4 und 4,3 Prozent) betrugen sie 16,4 und 13,5 Prozent. Insgesamt seien die Resultate, so Weckbach und seine Kollegen, sogar besser als die publizierten Ergebnisse für Titan-Platten bei identischen Indikationen. Stahl-Implantate: sicher und auch ökonomisch sinnvoll Die Schlussfolgerung von Weckbach und seinen Kollegen lautet daher: „In Anbetracht“ der „multiplen negativen Aspekte, die mit der Materialeigenschaft von Titan verbunden sind, und dem Mangel an Evidenz zum verbesserten Outcome bei Gebrauch von Titan-Implantaten in der Unfallchirurgie, erscheint die anekdotische und weit verbreitete Prämisse der Minderwertigkeit von Stahl-Implantaten gegenüber Titan unverständlich und wissenschaftlich unbegründet“. Stahl-Implantate zur Frakturversorgung seien daher eine „sichere und ökonomisch sinnvolle Alternative zur in Zentraleuropa weit verbreiteten Verwendung von Titan-Implantaten“. Auch das häufig angeführte Argument des erhöhten Allergie-Risikos bei Implantaten aus Stahl-Legierungen, insbesondere mit Nickel, überzeugt Weckbach nicht. Denn zum einen gebe es inzwischen nickelfreie Stahl-Implantate. Und zum anderen seien auch bei Titan-Implantaten Kreuzallergien mit Nickel- und Kobaltintoleranz beschrieben worden, die zu Komplikationen geführt hätten. Ohnehin scheinen Implantat-Allergien „im Gegensatz zu der häufig vorkommenden kutanen Metallallergie selten zu sein, große Übersichtsdaten fehlen jedoch“, hieß es hierzu bereits 2008 in einer Stellungnahme des interdisziplinären „Arbeitskreises Implantatallergie“ mehrerer Fachgesellschaften. Ohnehin sollte nicht jeder Patient, bei dem es zu einer aseptischen Implantat-Lockerung gekommen sei, vorschnell als „Allergiker“ eingeordnet werden, betont auch der Orthopäde Dr. Heiko Meyer vom Universitätsklinikum Magdeburg .