Mit großen Schritten schreiten die Entwicklungen in der Implantatforschung voran. MPI-Forscher entwickeln biologische Oberflächen, die Wirkstoffe speichern. Am Fraunhofer-Institut werden vollautomatisch Hautmodelle für pharmakologische Tests produziert.
Es ist ein erklärtes Ziel, die Anzahl an Tierversuchen zu reduzieren. Manche Untersuchungen können bereits in Zellkulturen oder anderen in vitro-Systemen durchgeführt werden, manche können sogar am Computer modelliert werden. Bei anderen Experimenten ist das (noch) nicht möglich. Daher ist das Interesse an Systemen sehr groß, die möglichst exakt die Situation im Menschen abbilden. Ein Team aus vier Fraunhofer-Instituten unter der Federführung von Frau Professor Walles hat die erste vollautomatische Produktionsanlage für menschliche Hautmodelle entwickelt. Die Zielgruppe für diese Modelle sind vor allem Kosmetikfirmen, die Pharma- und die Chemieindustrie. Derzeit entwickeln die Wissenschaftler die automatische Produktion für Epidermismodelle und bereiten die Validierung der Modelle vor, damit sie für Unbedenklichkeits- und Wirksamkeitstests in Studien und Zulassungsverfahren verwendet werden können.
5.000 Hautmodelle pro Monat
Das Ausgangsmaterial für die Herstellung der Epidermismodelle sind humane Biopsate, beispielsweise aus OP-Abfällen. Die Biopsate werden automatisch aufbereitet, so dass die Dermis von der Epidermis getrennt wird. Anschließend werden die Zellen vereinzelt: aus der Epidermis werden die Keratinozyten isoliert, aus der Dermis die Fibroblasten. Dann werden die beiden Zellfraktionen einzeln in Nährmedium vermehrt. Für die Epidermismodelle werden Keratinozyten in eigens dafür entwickelten 24-Well-Platten ausgesät. Die Wissenschaftler haben auch das Know-How, zweischichtige Hautmodelle automatisch herzustellen. In diesem Fall werden die Fibroblasten in eine Kollagenmatrix gegeben und darauf die Keratinozyten ausgesät. Die Zellen wachsen in den Zellkulturplatten zu etwa Daumennagel-großen Stücken heran. Vollautomatisch, reproduzierbar, mit gleicher Zellzahl in jedem Modell. Gegen Ende des etwa drei-wöchigen Wachstumsprozesses erfolgt die abschließende Qualitätskontrolle. In Gewebeschnitten sowie durch nicht-invasive Messverfahren wird die Morphologie der Hautmodelle geprüft, in weiteren Tests, ob das Modell die Barrierefunktion erfüllt, wie sie auch bei menschlicher Haut gegeben ist. 5000 qualitativ einwandfreie Modelle können so monatlich produziert werden, die Kapazität könnte aber laut Aussage der Wissenschaftler mit einer neuen Anlage noch erhöht werden. Ab dem nächsten Jahr sollen die Modelle kommerziell vertrieben werden.
Auch wenn es theoretisch technisch möglich wäre, denken die Wissenschaftler momentan nicht daran, in näherer Zukunft größere Hautstücke beispielsweise für Transplantate zu züchten. Andere Modelle für die Industrie, etwa Corneamodelle, sollen dagegen bald verfügbar sein. Die größte Schwachstelle liegt momentan noch im Preis. Ein Epidermismodell kostet bei den Anbietern am Markt etwa 40 Euro, ein Corneamodell etwas weniger. Doch für eine saubere Testreihe mit ausreichender Anzahl an Wiederholungen, verschiedenen Konzentrationen, Positiv- und Negativkontrollen kommen so schnell große Kosten zu Stande. Möglicherweise ist das der Grund, dass viele Unternehmen trotz vorhandener validierter Alternativen noch zum Versuchstier greifen.
Aktive Oberflächen zur Züchtung künstlicher Organe
Einen ganz anderen Weg gehen die Forscher um Dr. Katja Skorb vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung. Sie stellen aktive Oberflächen her, die sehr vielfältig eingesetzt werden können. Wird eine Aluminium- oder Magnesiumoberfläche im Wasserbad mit Ultraschall bestrahlt, entwickelt sich eine etwa 200 Nanometer dicke schwammähnliche Struktur. Diese Oberflächenstruktur bietet Zellen, Bakterien oder Schutzschichten sehr guten Halt. Zusätzlich können die Poren der metallischen Oberfläche mit Wirkstoffen, Medikamenten, Vitaminen und anderen Molekülen beladen werden. Das System bietet sich an, um komplexe Gewebestrukturen, ja sogar künstliche Organe zu züchten: abhängig davon, mit welcher Substanz oder welchem Wirkstoff die Poren an definierten Stellen auf der Trägeroberfläche gefüllt sind, werden unterschiedlichen Zellpopulationen jeweils optimale Bedingungen bereitgestellt. Auch die Kombination aus harter und weicher Oberfläche bietet unterschiedliche Wachstumsbedingungen. „Weiche“ Oberflächen erzeugt die Wissenschaftlerin, indem sie die Magnesiumoberfläche mit Proteinen oder bestimmten Polymeren beschichtet.
Selbstreinigende, biologisch abbaubare Implantate – der Markt der Zukunft?
Besonders vielversprechend scheinen die Ergebnisse für die Implantatforschung zu sein. Die schwammartige Oberfläche könnte beispielsweise mit einem abgestimmten Cocktail aus Wachstumsfaktoren, Hormonen, Vitaminen und Cofaktoren beladen sein und so im Körper die Ansiedlung von knochenaufbauenden Osteoblasten bewirken. Und das Trägermaterial aus Magnesium baut sich mit der Zeit selbst ab. Die Forscher um Katja Skorb haben sogar Möglichkeiten gefunden, die zeitliche Abgabe der in den Poren geladenen Substanzen zu steuern: in einem Testversuch beluden sie die poröse Oberfläche mit Mizellen, also kleinen kugelförmigen Strukturen, die sich über Selbstassemblierung formen. Diese Mizellen ändern ihre Gestalt in Abhängigkeit vom pH-Wert. Bei hohem pH-Wert liegen die fadenförmigen Oberflächenmoleküle der Mizellen eng an und verschließen die Poren. Bei sinkendem pH-Wert verliert die Schale die negative Ladung und die fadenförmigen Moleküle stehen ab, wie die Stacheln eines Igels. Dadurch wird der Weg frei für die Substanzen aus den Poren.
Auf diese Weise ist auch eine Selbstreinigung der Oberfläche möglich. Milchsäurebakterien können sich an die poröse Oberfläche anlagern und dort wachsen. Doch mit der Stoffwechselaktivität produzieren sie Milchsäure, wodurch der pH sinkt und sich die Fadenmoleküle der Mizellen aufrichteten. Daraufhin haben die Bakterien keine Haftung mehr und lösen sich von der Oberfläche. Um die Funktionalitäten des Materials, wie beispielsweise den Selbstreinigungseffekt, auch über andere Mechanismen als den pH-Wert zu steuern, experimentieren die Forscher nun mit anderen Oberflächenstrukturen. Eine Möglichkeit scheinen temperaturempfindliche Polymere zu sein, wie sie Prof. Axel Müller von der Universität Bayreuth produzieren kann.
Die beiden Beispiele, die vollautomatische Produktion von Hautmodellen und die Verwendung aktiver Oberflächen, zeigen, wie viel Potential in der Verbindung aus Biologie, Medizin und Technik steckt. Die Anwendungsmöglichkeiten scheinen schier unbegrenzt. Wollen wir hoffen, dass die Ergebnisse auch in absehbarer Zukunft in die Praxis übertragen werden können.