Die Ergebnisse einer aktuellen Studie könnten die Bewertung von HDL-Cholesterin revolutionieren: Forscher haben herausgefunden, dass das vermeintlich „gute“ HDL-Cholesterin auch „böse“ sein und entzündliche Reaktionen sogar verstärken kann.
Generell wurde bisher zwischen „gutem“ HDL-Cholesterin und „bösem“ LDL-Cholesterin unterschieden. „Von einem positiven HDL-Wert spricht man dann, wenn dieser hinsichtlich eines erhöhten kardiovaskulären Risikos über 40 mg/dl (Männer) und 45 mg/dl (Frauen) liegt“, berichtet der Forscher Dr. Marcus Säemann. Hingegen sollten Risikopatienten beim bösen LDL unter 100 mg/dl, Hochrisikopatienten (Diabetiker und KHK) unter 80 mg/dl liegen. Demnach trägt LDL zur Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt und Hirnblutungen bei, während das gute HDL-Cholesterin davor schützt. Jetzt stellten die MedUni Wien-Experten fest, dass bei Dialyse-Patienten die antientzündliche Wirkung von HDL nicht gegeben ist.
„Vielmehr verstärkte das HDL mehrfach die Entzündungsreaktionen und könnte damit die latente chronische Entzündung, die mit einem hohen kardiovaskulären Risiko verbunden ist, erklären", betont Säemann. Bei einer genauen Untersuchung des HDL bei Dialyse-Patienten, also Personen mit Niereninsuffizienz wurde festgestellt, dass ein bestimmtes Molekül, das so genannte Serum Amyloid A (SAA), welches von der Leber produziert wird, bei diesen Patienten deutlich erhöht war. SAA ist eine sehr wahrscheinliche Ursache für den Defekt des HDL. „Wenn man SAA in gesundes HDL einbaut, wird es auch funktionsuntüchtig“, berichtet Dr. Thomas Weichhart. „Wir haben auch noch einige andere Moleküle im HDL von niereninsuffizienten Patienten entdeckt, die bei gesunden Menschen kaum oder gar nicht vorkommen und die wir deshalb derzeit als mögliche prognostische Marker testen“, ergänzt Säemann.
Qualität wichtiger als Quantität
Diese Entdeckung könnte die Bewertung von HDL-Cholesterin verändern. Bisher wird ein hoher HDL-Wert als optimal angesehen, weil er Atherosklerose verhindert oder vorbeugend wirkt was in allen großen Studien überzeugend nachgewiesen werden konnte. „Viel wichtiger als die Menge ist aber offensichtlich die Qualität des HDL. Nicht funktionsfähiges HDL-Cholesterin ist wertlos – selbst hohe HDL-Spiegel wären damit nicht mehr gesund“, ergänzt Weichhart. Weitere Erkenntnis: „Das Senken des LDL-Wertes ist deshalb noch immer wichtiger als das Anheben des HDL-Wertes“, so Säemann. Allerdings ist es derzeit nicht möglich, mit einfachen Tests „böses“ HDL rasch zu identifizieren. An der Entwicklung eines derartigen Tests arbeiten die beiden Forscher derzeit.
Sie haben gemeinsam mit der Medizinischen Universität Wien ein Patent erhalten, um die Veränderungen im HDL mit Hilfe eines einfachen Labortests zu bestimmen und so das Risiko für künftige Herz-Kreislauferkrankungen besser abschätzen zu können – und früher therapeutisch eingreifen zu können. In den vergangenen Jahren konnte für einige Erkrankungen wie die koronare Herzkrankheit (KHK), den Diabetes mellitus oder die rheumatoide Arthritis gezeigt werden, dass jede Erkrankung offenbar ihr eigenes, charakteristisches HDL besitzt. Weiters kommen einige der im HDL von Niereninsuffizienten neu entdeckten Proteine auch im HDL dieser Erkrankungen vor, wo HDL seine günstigen, antientzündlichen und gefäßschützenden Eigenschaften ebenso verliert. „Wir haben spezielle Proteine im HDL von niereninsuffizienten Patienten charakterisiert, die entweder exklusiv oder stark vermehrt im HDL von niereninsuffizienten Patienten vorkommen. Diese wollen wir ohne aufwändige (kosten- und zeitintensive) HDL-Isolation mittels direktem Proteinnachweis aus dem Serum oder Plasma von Risikopatienten quantitativ bestimmen (idealerweise mit ELISA - Enzyme-Linked immunosorbent Assay: Methode mit einem Antikörper ein Protein quantitativ nachzuweisen), um damit Prognosen und Stratifizierungen (Abschätzen des Risikos, mit der eine Erkrankung fortschreitet) für ein individuelles kardiovaskuläres Risiko ausrechnen zu können“, so Säemann.
Mit dem neuen Labortest könnte nun untersucht werden, ob verändertes HDL sowohl bei niereninsuffizienten Patienten in einem früheren Stadium ihrer Erkrankung mit einer schlechteren Prognose einhergeht, und ob diese bei Patienten, die etwa an Diabetes leiden oder nach einem Herzinfarkt auch passiert. Damit wäre es mit Hilfe eines einfachen Testprinzips möglich, zu einem frühen Zeitpunkt therapeutisch zu intervenieren und damit die Gesamtprognose entscheidend zu verändern, so die MedUni Wien-Forscher.
Fazit für den Arzt
„Die Bestimmung des HDL-Spiegels alleine reicht nicht für eine Vorhersage des kardiovaskulären Risikos, sondern seine Qualität oder die Zusammensetzung ist relevant. Ein zweiter wichtiger Punkt: Offenbar fungiert das gute HDL-Cholesterin als wesentliches anti-inflammatorisches Molekül beim gesunden Menschen, wenn es diese Funktion verliert, so wäre dies eine Erklärung warum niereninsuffiziente Patienten häufig dauerhaft entzündet sind, was für ihre Überlebensprognose insgesamt schlecht ist“, so Säemann abschließend.