Oxidativer Stress spielt bei der Entstehung des Leberversagens eine zentrale Rolle, ist aber ein schwierig zu messender Parameter. Forscher konnten nun zeigen, dass mit dem Schweregrad des chronischen Leberversagens auch das HNA2 im Plasma zunimmt.
Das Forscherteam um Univ.-Prof. Dr. Rudolf Stauber, Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsklinik für Innere Medizin der Med. Uni Graz plant in weiterer Folge die Entwicklung eines Antikörpers gegen HNA2: Dieser könnten nicht nur eine vereinfachte Bestimmung von oxidiertem Albumin als Biomarker für oxidativen Stress und Leberversagen ermöglichen, sondern auch die Grundlage eines neuen Therapieverfahrens zur Entfernung von HNA2 aus dem Blut werden.
Fünfthäufigste EU-Todesursache
Chronisches Leberversagen (Leberzirrhose) ist die fünfthäufigste Todesursache in der Europäischen Union. Wenn es bei einer zunächst stabilen chronischen Lebererkrankung durch eine zusätzliche Schädigung zu einer kritischen Verschlechterung der Leberfunktion kommt, spricht man von einem akut-auf-chronischem Leberversagen (acute-on-chronic liver failure, ACLF). Auslösende Faktoren für dieses mit einer hohen Sterblichkeit verbundene Krankheitsbild können beispielsweise Infektionen, Alkoholexzesse oder andere Toxine sein. Die Forscher der Med. Uni Graz um Rudolf Stauber, Ao. Univ.-Prof. Dr. Karl Öttl (Institut für Physiologische Chemie) und Ao. Univ.-Prof. Dr. Karoline Lackner (Institut für Pathologie) beschäftigen sich schon seit längerem mit der Frage, welche Rolle oxidativer Stress in diesem Prozess spielt und mit welchen Parametern er am besten gemessen werden kann. Im Rahmen dieser Arbeiten wurde auch der Zusammenhang zwischen Albuminoxidation und Leberversagen näher unter die Lupe genommen.
HNA2 als Biomarker
Albumin ist das mengenmäßig wichtigste Bluteiweiß. Zu seinen Hauptaufgaben gehören der Transport von wasserunlöslichen Substanzen im Blut und die Aufrechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks (Albumin bindet im Blutgefäß Wasser an sich und verhindert dadurch, dass dieses ins Gewebe austritt). Darüber hinaus ist Albumin auch ein wichtiges Antioxidans: Neben der reduzierten Form (human mercaptalbumin, HMA) findet man im Blut auch kleinere Mengen von reversibel oxidiertem (human nonmercaptalbumin-1, HNA1) und irreversibel oxidiertem Albumin (human nonmercaptalbumin-2, HNA2). Je größer die oxidative Belastung, desto mehr Albuminmoleküle werden irreversibel oxidiert. Durch die irreversible Oxidation kommt es nicht nur zu einer Verringerung der antioxidativen Funktion von Albumin, sondern auch zu einer Beeinträchtigung seiner Bindungsfähigkeit und Transportfunktion. „Erhöhte Blutkonzentration von toxischen Stoffwechselprodukten und eine eingeschränkte Albuminfunktion sind auch ein typisches Kennzeichen des Leberversagens“, erklärt Stauber. Viele dieser Toxine können zwar mit einer Leberdialyse (MARS- oder Prometheus-System) entfernt werden, eine Elimination des funktionell geschädigten HNA2 war bisher aber nicht möglich. Dieser Umstand könnte dazu beitragen, dass diese Leberunterstützungssysteme keinen Überlebensvorteil für die Patienten brachten.
Ermutigende Studienergebnisse
In ihrer Studie an 29 Leberpatienten (20 davon mit stabiler Zirrhose, 9 ACLF-Patienten) und 15 gesunden Kontrollpersonen zeigten die Forscher, dass insbesondere HNA2 mit dem Schweregrad des Leberversagens kontinuierlich anstieg. Während bei den Gesunden im Mittel nur 4% des Albumins als HNA2 vorlagen, stieg der Prozentsatz des irreversibel oxidierten Albumins bei den stabilen Zirrhotikern auf 8 und bei den ACLF-Patienten auf 15 Prozent an. „Bemerkenswert war, dass bei keinem anderen bisher untersuchten Krankheitsbild ähnlich hohe HNA2-Werte gefunden wurden“, berichtet Stauber. Damit könnte mit HNA2 erstmals ein spezifischer Biomarker für Leberversagen zur Verfügung stehen, der zudem auch prognostische Bedeutung hat: Bei den 29 zirrhotischen Patienten konnte das 90-Tage-Überleben mit dem HNA2 besser vorhergesagt werden als mit dem bisherigen Standardparameter für die Kurzzeitprognose bei Leberversagen MELD (model for end-stage liver disease)-Score, welcher pathophysiologische Faktoren wie den oxidativen Stress nicht erfasst.
Weiterführende Antikörper-Forschungen
Diese ermutigenden Ergebnisse sollen nun in weiteren Untersuchungen verifiziert und ergänzt werden. Teil des Studienprogramms ist auch eine Dissertation, in welcher der Frage nachgegangen wird, welche Rolle HNA2 bei anderen inneren Erkrankungen spielt, die ebenfalls mit oxidativem Stress vergesellschaftet sind (z.B. Diabetes und Gelenkserkrankungen). „Sollten sich die bisherigen Befunde bestätigen, ist geplant, einen Antikörper gegen HNA2 zu entwickeln“, erklärt Stauber. Bisher wird HNA2 mittels Hochleistungsflüssigkeits-Chromatographie gemessen, einer aufwändigen und langwierigen Methode. Mit Hilfe des HNA2-Antikörpers könnte ein vereinfachtes und breit anwendbares Messverfahren für oxidiertes Albumin etabliert werden, das für die Diagnose und Prognose von Leberversagen im klinischen Alltag eingesetzt werden kann. Denkbar ist auch der Einsatz des Biomarkers bei anderen Krankheitsbildern und Zuständen mit chronisch erhöhtem oxidativen Stress. Darüber hinaus könnte der Antikörper in einem neuen Leberunterstützungssystem Verwendung finden, das HNA2-Molelüle durch Antikörper-Bindung aus dem Blut eliminiert.
Die Entwicklung des Biomarkers und die mögliche Applikation in einem künftigen Leberdialysesystem sind auch Inhalt eines Patents, das beim Europäischen Patentamt angemeldet wurde.