Chirurgie ist und bleibt eine Königsdisziplin der Medizin. So ist sie auch aus dem Studium kaum weg zu denken und wird oft in Form eines Blockpraktikums vermittelt. Als Studentin im 4. Jahr bin ich kürzlich in den Genuss gekommen, und erlebte 2 spannende Wochen.
Den ersten Tag meines Blockpraktikums in der Allgemeinchirurgie startete ich mit gemischten Gefühlen. Im Arztzimmer wurde ich zunächst recht freundlich von einem Assistenzarzt begrüßt, der erst vor einer Woche seine Stelle angetreten hatte und damit ebenfalls „neu“ war. Ich befürchtete eine nicht gerade sehr lernintensive Mischung aus Beschäftigungstherapie und Haken halten und hoffte, dass die Stunden schnell verstreichen würden. Glücklicherweise sollte ich mich bei diesen Erwartungen getäuscht haben. Denn schon am ersten Vormittag in der Poliklinik bekam ich mehr Verantwortung, als mir lieb war. „Sie schnappen sich jetzt mal eine Akte, die passende Patientin und machen eine Anamnese mit orientierender Untersuchung“, sagte der zuständige Oberarzt. „Sie haben maximal 5 Minuten Zeit, dann komme ich hinzu und erwarte eine vollständige Patientenvorstellung.“
Zunächst war ich etwas ratlos, hatte aber glücklicherweise einen recht einfachen Fall erwischt. Die betagte Patientin mit einem stolzen Alter von knapp 90 Jahren hatte seit über 5 Jahren einen deutlich sichtbaren und tastbaren Leistenbruch und stellte sich zur Planung einer elektiven Operation vor. Die knappe Zeit von 5 Minuten konnte ich mit Unterstützung eines Kommilitonen gut einhalten und auch die kurze Präsentation war für den Anfang halbwegs zufriedenstellend. Im Laufe des Tages sahen wir dann noch so einige Leistenbrüche und verschiedene Stufen eines Ösophaguskarzinoms. Die Bilanz war damit also durchaus positiv und ich war schon gespannt, was mich am nächsten Tag erwarten sollte.
Waschen will gelernt sein
Mit dem zweiten Tag kam die Ernüchterung. Kurzum: Es gab einfach nichts zu tun. Der neue Assistent verarztete seine korrigierten Entlassungsbriefe und der zweite Stationsarzt war mit den täglichen Anordnungen befasst. So standen mein Leidensgenosse und ich eine gefühlte Ewigkeit im Weg herum und hofften auf sinnvolle Beschäftigung. Dieser wurde gegen Mittag dann wohl erhört und so transportierten wir CDs mit Röntgenbildern von der Poliklinik in die Radiologie. Wir hatten den Praktikumstag beinahe abgeschrieben, als uns der Oberarzt in den OP-Trakt schickte. Voller Nervosität zog ich mir versehentlich die blaue Kleidung an, die eigentlich für das Pflegepersonal auf den Stationen bestimmt war. Bevor ich mich allerdings vor den Ärzten so richtig blamieren konnte, bemerkte eine Schwester meine Verwechselung und konnte somit ein persönliches Desaster verhindern. Die nächste Hürde bestand in der chirurgischen Händedesinfektion. Obgleich ich darüber schon eine Menge in Lehrbüchern gelesen hatte, war die Umsetzung ein Krampf und ich habe vermutlich die doppelte Zeit zum Waschen gebraucht. Aber egal. Schließlich holte mich der Oberarzt dann doch direkt an den Tisch und ich wurde Zeugin einer sehr spannenden Darmoperation.
Seltenes ist häufig
Der männliche Patient war mit einem Alter von Mitte Vierzig noch relativ jung und war vor einigen Tagen mit einem schmerzhaften Darmverschluss notfallmäßig von einem regionalen Krankenhaus überwiesen worden. Eigentlich bestand die Zielsetzung der Operation zunächst nur in einer diagnostischen Laparotomie. Nach wenigen Minuten verwandelte sie sich hingegen dann doch in einen großen und kniffligen Eingriff. Der Patient litt nämlich unter einem seltenen und bereits sehr groß gewachsenen Dünndarmtumor, der bereits in den Bauchraum gestreut hatte. Da ich noch niemals zuvor eine Darmoperation gesehen hatte, starrte ich wie gebannt auf den Bauch und fühlte mich jeden Mal sehr geehrt, wenn ich einen Haken oder ein Bauchtuch halten sollte. Der Großteil des Tumors konnte im Laufe der rund dreistündigen Operation entfernt werden und ein paar Proben des extrahierten Gewebes wurden zwecks histologischer Bestimmung in die Pathologie geschickt. Einige Tage später erzählte mir der Oberarzt, dass es sich um einen sehr seltenen Tumor gehandelt hätte. Die beiden Stationsärzte waren sogar fast ein bisschen neidisch und ich war richtig stolz, Zeugin einer solchen OP gewesen zu sein.
Die restlichen acht Tage beinhalteten eine bunte Mixtur aus Haken halten, CDs in die Radiologie bringen, Zugänge legen und im Arztzimmer auf Beschäftigung warten. Und wenn ich ganz ehrlich bin, standen wir die meiste Zeit eigentlich nur im Weg herum und fühlten uns etwas fehl am Platz. Da ich aber auch einige wirklich spannende Operationen erleben durfte und wichtige Basics wie die chirurgische Händedesinfektion oder den chirurgischen Knoten gelernt habe, wird die Bilanz am Ende durchaus noch positiv. Auf jeden Fall habe ich einen Tipp für alle Kommilitonen, die solch ein Praktikum noch vor sich haben: Viele Fragen stellen und sich möglichst viele OPs ansehen! So können auch die längsten Wochen schnell vorüber gehen.