Ein „neuer“ monoklonaler Antikörper beeinflusst die Multiple Sklerose hinsichtlich Läsionen und neurologischer Symptome beachtlich positiv. Ocrelizumab wirkt auch bei anderen Autoimmunerkrankungen, doch wurden Studien aufgrund der Sicherheitsrisiken gestoppt.
Der monoklonale Antikörper Ocrelizumab greift gezielt in das von MS-Patienten überschießende Immunsystem ein, indem es an CD 20-positive B-Zellen bindet. Diesen wird neben den T-Zellen seit einiger Zeit eine entscheidende Rolle im Entzündungsprozess zugeschrieben. Der Angriff von B-Zellen stellt damit einen neuen Ansatz der MS-Therapie dar.
Ocrelizumab sorgt für Euphorie
In einer im Lancet veröffentlichten Phase-II-Studie erhielten 220 Patienten mit schubförmig remittierender MS in einem Zeitraum von 24 Wochen randomisiert Ocrelizumab. Auf zwei Infusionen verteilt wurden jeweils die Dosierungen 600 mg oder 2.000 mg verabreicht. Eine weitere Gruppe erhielt Interferon-β-1a, eine Kontrollgruppe Placebo. Monatliche Magnetresonanzuntersuchungen offenbarten Erstaunliches: Im Vergleich zu Placebo wiesen MS-Patienten unter Ocrelizumab in einer Dosierung von 600 mg um 89 Prozent und bei 2.000 mg um 96 Prozent reduzierte ZNS-Läsionen auf. Überlegen war das experimentelle Medikament auch der Interferonbehandlung. Darüberhinaus verringerten sich Schwere und Häufigkeit von Schüben gegenüber Placebo in der niedrigeren Dosierung des Immunsuppressivums um 80 Prozent, in der höheren Dosierung um 73 Prozent.
Diese Ergebnisse stimmen hoffnungsfroh und untermauern die Bedeutung von B-Zellen im Krankheitsprozess. Auch die Nebenwirkungen unter der Behandlung mit Ocrelizumab waren bemerkenswert gering. Schwere Nebenwirkungen waren in allen Behandlungsgruppen gleich häufig. Allerdings reagierten Patienten vor allem auf die erste Infusion zu 34,5 und 43,6 Prozent häufiger auf Ocrelizumab als auf Placebo mit 9,3 Prozent. Zudem ereignete sich in der Gruppe mit hoher Dosierung des Antikörpers in Woche 14 ein Todesfall – die Ursache: eine überschießende Immunreaktion, das systemische inflammatorische Response-Syndrom (SIRS). Bei infektiöser Genese des Syndroms entspricht das einer Sepsis. Ein Zusammenhang mit dem Medikament ist nach Angaben des Herstellers Roche jedoch unklar. Opportunistische Infektionen im Blickpunkt
Allerdings lässt gerade dieser Todesfall aufhorchen, zumal dieser in den euphorischen Schilderungen der Ergebnisse gewollt oder ungewollt fast unterzugehen droht. Es heißt, in der Studie ereigneten sich keine opportunistischen Infektionen. Dass Ocrelizumab potenziell gefährlich ist, eben weil es opportunistische Infektionen verursachen kann, zeigten bereits Phase-III-Studien an Patienten mit rheumatoider Arthritis und Lupus erythematodes. Die Entwicklung der Substanz unter diesen Krankheitsbildern wurde nach Todesfällen bereits im März 2010 vollkommen eingestellt, nachdem das unabhängige Data and Safety Monitoring Board (DSMB) diese Empfehlung ausgesprochen hatte, da der Nutzen die Sicherheitsrisiken nicht rechtfertigt. Studien mit MS-Patienten liefen allerdings weiter.
Nach Mitteilung von Roche ist die Wirksamkeit von Ocrelizumab 600 mg auch nach 96 Wochen anhaltend gut. Daten wurden anlässlich des jährlichen Kongresses des European Commitee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis im Oktober in Amsterdam vorgestellt. So zeigten sich auch fast zwei Jahre nach Studienbeginn keine neuen oder vergrößerten ZNS-Läsionen und die Schubrate betrug weniger als 0,2 Schübe pro Jahr. Bei zwei Drittel der Patienten ließ sich keine Krankheitsaktivität nachweisen. Auch ereigneten sich keine opportunistischen Infektionen.
Der Abschluss der bereits begonnenen Zulassungsstudien mit Ocrelizumab 600 mg ist für 2015 geplant. Man darf etwas ängstlich gespannt sein, was diese Studien erbringen.