Ab 2019 erhalten niedergelassene Ärzte mehr Geld. Der GKV-Spitzenverband jubelt, Mediziner fühlen sich benachteiligt. Das Problem: Beide Seiten misstrauen den Zahlen, mit denen die andere argumentiert. Jammern Ärzte auf hohem Niveau oder ist ihre Kritik berechtigt?
Im Gegensatz zu Ländern wie Großbritannien, Schweden oder Italien gibt unsere Regierung nur Rahmenbedingungen für das Gesundheitssystem vor. Details handeln Leistungserbringer und Kassen selbst aus. Laut Gesetz müssen sie jährlich Vorgaben zur Anpassung von Leistungen machen. Doch dieses System ist umstritten: Während der GKV-Spitzenverband Sparen zur Religion erhebt, jammern Ärzte über ein zu niedriges Salär. Wie sind die Fakten?
Für den sogenannte Orientierungswert, also der Preis pro Leistung im EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab), hatten Krankenkassen ursprünglich +0,2 Prozent angeboten. Ärzte hatten hingegen +4,7 Prozent gefordert. Man verständigte sich auf +1,58 Prozent. Ab 2019 wird die Vergütung je Punkt also auf 10,8226 Cent erhöht, aktuell sind es 10,6543 Cent. Das entspricht einem Honorarplus von insgesamt 550 Millionen Euro. Weitere 70 Millionen Euro kommen wahrscheinlich noch hinzu, um den wachsenden Behandlungsbedarf in einer alternden Gesellschaft abzufangen. Weitere Verhandlungen schließen sich in den kommenden Monaten an. Durch den Mengenanstieg kommen laut GKV-Spitzenverband vermutlich noch weitere 400 Millionen Euro hinzu. In Summe macht das mehr als eine Milliarde Euro aus. Verteilt auf rund 150.000 niedergelassene, berufstätige Kollegen, bleiben pro Jahr und Kopf rund 6.700 Euro pro Jahr. Doch Ärzte haben weitere Einnahmequellen: Wie sieht es mit anderen Einkünften aus? Laut Statistischem Bundesamt entfiel 2015 der überwiegende Teil aller Einnahmen, nämlich 70,4 %, auf Kassenabrechnungen. Privatabrechnungen (26,3 %) und sonstige Quellen, etwa IGeL-Leistungen (3,3 %), kamen mit hinzu.
Zahlen des GKV-Spitzenverbands, die Statista ausgewertet hat, zeigen eine mehr oder minder lineare Entwicklung ärztlicher Honorare in den letzten Jahren. Große Sprünge nach oben oder große Einbrüche gibt es nicht: © Statista, Screenshot: DocCheck Wenig überraschend bewertet der GKV-Spitzenverband deshalb auch den aktuellen Honorarabschluss positiv: „Wie das Ergebnis einmal mehr zeigt, funktioniert die gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen“, sagt Pressesprecher Florian Lanz. „550 Millionen Euro zusätzlich durch den höheren Orientierungswert und 70 Millionen Euro mehr für den Anstieg der Morbidität sind ein gutes Ergebnis, denn damit steigen die Arzthonorare merklich, ohne die Beitragszahler zu überfordern.“ Lanz spekuliert: „Darüber hinaus werden die Arzthonorare im kommenden Jahr vermutlich noch stärker steigen, denn die Politik hat im Rahmen der laufenden Gesetzgebung weitere Honorarerhöhungen angekündigt."
Ärzte teilen diese Sichtweise nicht. Sie berufen sich auf eigene Statistiken des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI). Laut ZI stieg zwischen 2010 und 2017 der Nominallohnindex aller Angestellten in Deutschland um +19 Prozent. Darunter versteht man Gehälter in Zahlen ohne Korrektur der Kaufkraft. Leitende Oberärzte konnten sich im gleichen Zeitraum über +15 Prozent auf dem Konto freuen. Auch beim Bundesbasisfallwert für Krankenhäuser waren es +15 Prozent. Ärzte erhielten nur magere +6 Prozent. Kein Wunder, dass der aktuelle Honorarabschluss nicht bei allen Betroffenen auf Begeisterung stößt. © Zi, Screenshot: DocCheck
Dr. Dirk Heinrich © NAV-Virchow-Bund „Praxisärzte bleiben trotz des Honorarabschlusses bei der Kostenentwicklung weiterhin abgekoppelt und bleiben auf den zentralen Problemen sitzen“, kommentiert Dr. Dirk Heinrich vom Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (NAV-Virchow-Bund). Mittel für qualifiziertes Personal und für Investitionen fehlten. Seinen Analysen zufolge liegt die Anhebung von +1,58 Prozent unter der Preissteigerungsrate von 2,0 Prozent. Gehaltssteigerungen für Medizinische Fachangestellten lagen zuletzt bei 2,6 Prozent (2017) bzw. 2,2 Prozent (2018). „Die Krankenkassen haben sich mittlerweile leider aus der Versorgungsverantwortung verabschiedet“, erklärt Heinrich. „Die bestehenden Probleme, beispielsweise bei der Unterbezahlung von Hausbesuchen, müssen dringend gelöst und die wohnortnahe Grundversorgung durch Haus- und Fachärzte muss gestärkt werden.“
Ulrich Weigeldt © Deutscher Hausärzteverband Der Deutsche Hausärzteverband hat sich entsprechende Zahlen ebenfalls angesehen. „Worauf sich KBV und GKV-Spitzenverband geeinigt haben, ist im besten Fall ein Inflationsausgleich“, erklärt dessen Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt. Beim Thema Hausbesuche sei bisher nichts passiert, obwohl das für Hausärztinnen und Hausärzte das drängendste Problem wäre. „Es ist nicht länger akzeptabel, dass die Kolleginnen und Kollegen für 22 Euro Hausbesuche fahren müssen“, erklärt Weigeldt. „Hier braucht es eine substanzielle Erhöhung, die dem Aufwand gerecht wird.“ Er fordert die KBV auf, dieses Thema ganz oben auf ihre Agenda zu setzen und Kassen deutlich zu machen, dass die momentane Situation untragbar ist. Der GKV-Spitzenverband müsse endlich seine Blockadehaltung aufgeben. Den aktuellen Abschluss kommentiert Weigelt negativ: „Das als einen Erfolg der Selbstverwaltung zu verkaufen, ist ein starkes Stück.“
Dr. Andreas Gassen © KBV Ähnlich zurückhaltend bewertet Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, die aktuelle Einigung. Im vorigen Jahr hatte der Erweiterte Bewertungsausschuss, dem neben jeweils drei Mitgliedern der KBV und des GKV-Spitzenverbandes drei unparteiische Mitglieder angehören, lediglich 1,18 Prozent Steigerung festgelegt. Insofern sei er zufrieden, dass eine Einigung erzielt werden konnte. Doch Gassen äußert auch Kritik an den Honorarverhandlungen: „Es geht vornehmlich um den Orientierungswert, der neben der Punktzahl zwar ein entscheidender Faktor für die Preise ärztlicher und psychotherapeutischer Leistung ist.“ Was ihm allerdings fehlt: Schwächen im EBM selbst würden nicht korrigiert. Außerdem basiere sowohl die Anpassung des Orientierungswertes als auch die Ermittlung des Behandlungsbedarfs auf standardisierten Verfahren. „Von echten Honorarverhandlungen kann deshalb nicht die Rede sein“, lautet sein Fazit. Spitze Zungen aus der Ärzteschaft kommentieren Gassens Aussage so: „Hat Gassen nun an den Verhandlungen teilgenommen oder nicht.“
Ob die Verhandlungen nun gut oder schlecht gelaufen sind und wie das Honrar zu bewerten ist, liegt im Auge des Betrachters bzw. an den Zahlen, die man betrachtet: Und genau hier liegt das Problem: Beruft man sich auf Zahlen des GKV-Spitzenverbands oder auf Zahlen der Kassenärzte? Der Streit darüber schwelt schon länger und entzündete sich vor genau einem Jahr. Damals hatte das Statistische Bundesamt Eckdaten zu Deutschlands Praxen veröffentlicht (Stand 2015):
Warum klagen Ärzte trotzdem, ihr Honorar würde nicht reichen? Laut KBV seien die genannten Werte nicht geeignet, um die wirtschaftliche Lage von Vertragsärzten abzubilden. Einerseits würden kleine Praxen kaum berücksichtigt. Andererseits bildeten Informationen pro Praxis nicht das Einkommen pro Arzt ab. Auch der GKV-Spitzenverband hat sich in einem Faktenblatt seine Gedanken gemacht und kommt zu anderen Ergebnissen: „Innerhalb der Ärzteschaft gibt es seit langem Verteilungsprobleme – sowohl zwischen dem haus- und dem fachärztlichen Versorgungsbereich als auch zwischen den verschiedenen Arztgruppen eines Versorgungsbereichs bzw. auch innerhalb einzelner Arztgruppen.“ Dadurch könne ein in Summe großer Honorarzuwachs „im Einzelfall (...) deutlich geringer ausfallen“. Ein weiteres Problem sei die subjektive Wahrnehmung der Ärzte im Hinblick auf die Honorarabrechnung. Im Faktenblatt der GKV steht: „Die Abrechnung findet auf Basis eines Leistungskatalogs statt, der sowohl Pauschalen als auch Einzelleistungen enthält. Häufig wird von Ärzten angeführt, dass die Vergütungshöhe für eine Grundpauschale (je Patient) im Quartal für eine Behandlung nicht ausreichen würde. Übersehen wird dabei aber, dass im Rahmen eines sogenannten Behandlungsfalls neben den Grundpauschalen noch weitere Leistungen abgerechnet werden, die zu einem deutlich höheren Honorar je Fall führen. Bis es neutrale, von allen akzeptierte Statistiken gibt, werden beide Partner die Zahlen der Gegenseite wohl weiter ablehnen.