Yoga oder Qigong sind beliebter denn je. Bringt der Hype auch gesundheitliche Vorteile mit sich? Was im Körper auf molekularer Ebene passiert, war aufgrund fehlender Daten kaum nachvollziehbar. Nun belegen Studien positive Auswirkungen auf Entzündungsprozesse.
Patienten mit unterschiedlichen Symptomen profitieren von Meditation oder Entspannung, wie viele Studien zeigen. Die Arbeiten haben allerdings eine große Schwäche: Entspannungstechniken lassen sich kaum standardisieren. Es gibt unterschiedliche Lehren, und jede Schule arbeitet mit anderen Techniken. Bei diesen Rahmenbedingungen ist ein Bias vorprogrammiert.
Ivana Buric, Forscherin an der Coventry University, wählt einen anderen Weg. Selbsteinschätzungen von Probanden reichen ihr nicht aus. Vielmehr sucht sie nach randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), die Effekte molekularbiologisch erklären. Burics Ausgangspunkt waren Arbeiten von Steven W. Cole von der UCLA School of Medicine, einem der Pioniere der sozialen Genomik. Diese Fachrichtung untersucht, welchen Effekt gesellschaftliche Faktoren auf die Genexpression haben. Sozialer Stress führt in Zellen zur vermehrten Expression zahlreicher Gene. Cole spricht von „conserved transcriptional response to adversity“ (CTRA). Darunter versteht man das typische Profil aktiver Gene bei Stressreaktionen. CTRA tritt als gemeinsames molekulares Muster bei Trauer, Krebsdiagnosen, Traumata oder einem niedrigen sozioökonomischen Status auf. In der Folge werden verschiedene proinflammatorische Signalwege, allen voran der NF-κB-Weg, aktiviert. NF-κB erfüllt als Transkriptionsfaktor im Körper vielfältige Aufgaben. Er reguliert die Immunantwort, auch bei Vorgängen rund um die Apoptose oder die Zellproliferation. Welche Rolle NF-κB bei neuronalen Prozessen spielt, ist Gegenstand aktueller Forschungsprojekte. Genau hier setzt Burics Hypothese an: Verringern Yoga, Qigong, Achtsamkeit oder weitere Techniken die Expression von Genen des NF-κB-Signalwegs? Insgesamt fand die Wissenschaftlerin im Zuge ihrer Recherchen 18 Veröffentlichungen mit molekularbiologischen Details zu Entspannungsübungen. Es folgt eine Übersicht der von Buric analysierten Studien und der zentralen Erkenntnisse ihrer Literaturarbeit.
Michael R. Irwin vom ULCA Semel Institute for Neuroscience in Los Angeles wollte wissen, welche Vorgänge Tai-Chi im Körper von ehemaligen Brustkrebs-Patientinnen auslöst. Er rekrutierte für seine Studie 90 Teilnehmerinnen, die aus onkologischer Sicht zwar genesen waren, aber an Schlaflosigkeit litten. Drei Monate Tai-Chi verbesserten die Beschwerden. Gleichzeitig wurden mehrere Gene in ihrer Expression herunterreguliert, die mit entzündlichen Prozessen in Verbindung stehen. Während sich der CRP-Wert durch Interventionen nicht änderte, wurden die Signalsubstanzen IL-6 geringfügig und TNF signifikant reduziert, was darauf hindeutet, dass zelluläre Entzündungsreaktionen zurückgehen. Analysen zeigten einen neunprozentigen Rückgang der Expression von 19 proinflammatorischen Genen und eine Zunahme der Expression von insgesamt 68 Genen. Davon waren 34 bekannterweise aktiv gegen Viren oder Tumoren. Bioinformatiker fanden heraus, dass durch Tai-Chi vor allem weniger des Transkriptioinsfaktors NF-κB entsteht. Mit Brustkrebs-Überlebenden befasste sich auch Julienne E. Bower vom UCLA Department of Psychology in Los Angeles. An ihrer randomisierten, kontrollierten Studie nahmen 31 Frauen teil, die aus onkologischer Sicht gesund waren, jedoch an Fatigue litten. Sie wurden einer Interventionsgruppe mit Yoga oder einer Kontrollgruppe mit allgemeinen Gesundheitsinformationen zugeteilt. Nach zwölf Wochen kam es bei Probandinnen, die regelmäßig Yoga praktizierten, zu signifikanten Änderungen bei der Genexpression. Insgesamt wurden 282 Gene noch- und weitere 153 herunterreguliert. Hier verringerte sich die Aktivität der inflammatorischen Transkriptionsfaktoren NF-κB und CREB (cAMP response element-binding protein). Gleichzeitig wurde mehr antiinflammatorisch wirksame Glucocorticoid-Rezeptoren exprimiert.
Welche Effekte bei Menschen auftreten, die sich um kranke Angehörige kümmern, untersuchte David S. Black ULCA Semel Institute for Neuroscience in Los Angeles. Pflegende neigen zu schlechterer körperlicher und seelischer Gesundheit als Kontrollgruppen, wahrscheinlich aufgrund einer stressinduzierten Hochregulierung proinflammatorischer Gene und einer Herunterregulation von Genen, deren Transkripte antivirale Aktivitäten zeigen. Black ordnete 45 Pflegende randomisiert einer Interventionsgruppe mit Kirtan Kriya-Meditation (KKM) und einer Kontrollgruppe mit entspannender Meditation zu. Unter KKM verringerten sich depressive Symptome signifikant. Gleichzeitig wurden 49 Gene herunter- und weitere 19 hochreguliert. Detailanalysen bestätigten die Hypothese, dass es eine Abnahme der proinflammatorischen Genexpression (bezogen auf NF-κB) und eine Erhöhung der antiviralen Genexpression (IRF-1) gab.
Um Menschen mit altersbedingter Einsamkeit ging es in den Arbeiten von David Creswell. Er forscht an der Carnegie Mellon University, Pittsburgh. Creswell fand bei allen 40 Probanden – sie waren zwischen 55 und 85 Jahren alt – zu Studienbeginn erhöhte Expressionsraten von Genen, die mit NF-κB assoziiert sind. Er ordnete alle Teilnehmer randomisiert zwei Gruppen zu. Sie erhielten entweder Kurse zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction, MBSR) oder allgemeine Beratungsgespräche. Unter MBSR wurde die Expression proinflammatorischer Gene tatsächlich herunterreguliert. Der Spiegel an CRP oder IL-6 veränderte sich nicht.
Viele Daten, eine Frage: Was bringt Ivana Burics Veröffentlichung für die Praxis? Sie bewertet ihre Literaturübersicht als Chance, zu verstehen, was bei Meditationen oder Entspannungsübungen biochemisch im Körper abläuft. Für Vergleiche einzelner Methoden eignen sich die Daten aber nicht.