In Kliniken herrscht immer noch das Bild des Chirurgen vor, der nie müde wird und ohne Unterbrechung durchhält, bis eine Operation beendet ist. Wie eine Studie nun zeigt, verringern jedoch regelmäßige Pausen während des operativen Eingriffs den Stress der Ärzte.
Moderne Operationstechniken stellen hohe Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit von Chirurgen. Gerade laparoskopischen Eingriffe, bei denen über einen kleinen Schnitt ein Spezialendoskop eingeführt und die Operation via Monitor ausgeführt wird, verlangen ein präzises Arbeiten und lassen den ausführenden Arzt rasch ermüden. Nach schwierigen Operationen mit mehreren Stunden Dauer fühlen sich deshalb die meisten Chirurgen völlig erschöpft und brauchen eine entsprechend lange Erholungsphase, bis sie wieder in der Lage sind, erneut zu operieren. Dennoch waren Pausen während einer Operation bislang in Kliniken kein Thema.
Eine Studie der Klinik für Kinderchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) erbrachte nun den Nachweis, dass kurze Unterbrechungen bei Operationen den Stress mindern und die Leistungsfähigkeit der Ärzte erhalten. Wie die Chirurgen um Professor Benno Ure im Fachmagazin Surgical Endoscopy mitteilen, verlängert sich durch die Pausen auch die Operationszeit insgesamt nicht. “Die Pausenzeit holten die Ärzte durch eine bessere Leistung wieder ein”, berichtet Ure, der Direktor der Klinik für Kinderchirurgie an der MHH ist. “Während der Unterbrechungen durften sich die Operateure hinsetzen, die Augen schließen und sich entspannen oder konnten sich mit ihren Kollegen unterhalten.”
Bergsteiger verwenden ähnliches Pausenschema
Für die Studie nahmen Ure und seine sechs Kollegen bei 51 Kindern einen minimalinvasiven Eingriff in der Bauchhöhle vor. Die Chirurgen wurden nach dem Zufallsprinzip dem jeweils zwei- bis dreiköpfigen Operationsteam zugeteilt. Bei 26 Kindern legten die Chirurgen während der Operation alle 25 Minuten eine fünfminütige Auszeit ein, bei 25 Kindern machten sie keine Pause. Ein ähnliches Pausenschema, so Ure, verwendeten professionelle Bergsteiger, die dank der regelmäßigen Erholungsphasen ihre Leistungsfähigkeit in schwierigem Terrain halten könnten.
Um herauszufinden, welche Auswirkungen Pausen während der Operationen auf die Chirurgen haben, untersuchte das Team um Ure verschiedene Parameter. Durch Entnahme von Speichelproben in regelmäßigen Abständen wurde die Konzentration der Stresshormone Cortison, Adrenalin und Testosteron gemessen. Außerdem mussten sich die Chirurgen jeweils vor und nach einer Operation Konzentrations- und Leistungstests unterziehen und Aussagen darüber machen, wie sie selbst ihre Leistungsfähigkeit und Müdigkeit einschätzen. Während des Eingriffs wurde zudem die Herzfrequenz aufgezeichnet.
Chirurgen fühlen sich weniger müde
Es zeigte sich, dass kurze Unterbrechungen durchweg positive Auswirkungen haben: Chirurgen, die Pausen machen, schütten deutlich weniger Stresshormone aus, zum Beispiel ist die Menge an Cortison um 22 Prozent geringer als bei denen, die ohne Pausen auskamen. Auch die Leistungsfähigkeit der Chirurgen, so Ure, werde durch die Unterbrechungen gefördert. Dem entspricht auch der Eindruck, den die Operateure von sich selbst haben. Sie gaben an, dass sie sich nach einer Operation weniger müde fühlen, wenn sie während des Eingriffs kurze Pausen gemacht haben.
Auf eine bessere Leistungsfähigkeit weist ebenfalls die ausgeglichene Herzfrequenz hin, die bei den pausierenden Chirurgen gemessen wurde. Operateure, die ihre Arbeit regelmäßig unterbrechen, machen außerdem weniger Fehler: “Die Fehleranfälligkeit war bei ihnen dreimal geringer als bei ihren Kollegen, die auf Pausen verzichteten”, sagt Ure. Auch die Befindlichkeit der Chirurgen nach der Operation besserte sich, wenn regelmäßige Pausen stattfanden: Die Operateure, so der Mediziner, hätten deutlich weniger Schmerzen in den Händen und im Rücken aufgewiesen, zudem seien ihre Augen nicht so schnell ermüdet.
Pausen haben günstigen Effekt für Patienten
Trotz der anfänglichen Skepsis unter den Ärzten hat sich das Kurzpausenschema in der Kinderchirurgie der MHH weitgehend durchgesetzt. „Bei allen Operationen, die voraussichtlich länger als eine Stunde dauern, werden Pausen eingelegt“, sagt Ure. Leistungsfähigere Chirurgen und eine geringere Fehleranfälligkeit sind natürlich auch von Vorteil für die Patienten. Um bei minimalinvasiven Eingriffen für bessere Sicht und mehr Bewegungsfreiheit zu sorgen, wird normalerweise der Bauch der Patienten mit Kohlendioxid aufgebläht, was aber die Blutversorgung der betroffenen Organe beeinträchtigt. In der vorliegenden Studie ließen die Operateure bei den Kindern während jeder Pause das Kohlendioxid ab. Durch diese Maßnahme verbesserte sich die Durchblutung der Organe im Bauchraum und hielt so die Nierenfunktion stabil.
In einer weiteren Studie möchte das Team um Ure nachweisen, dass die Anwendung eines Pausenschemas auch bei konventionell ausgeführten Operationen sinnvoll ist. Diese Studie soll demnächst beginnen und eine etwas größere Anzahl von Operationen umfassen. Ure, der vom klaren Ergebnis der Pilotstudie überrascht wurde, rechnet mit ähnlichen Ergebnissen. Er geht deshalb davon aus, dass sich langfristig die Einführung eines Pausenschemas bei allen aufwändigen Operationen generell durchsetzen wird.