Eine Operation am Gehirn versetzt viele Menschen in Angst und Schrecken. Doch die moderne Neurochirurgie kann heute vieles, was vor einigen Jahren noch unmöglich war. Hier erfahrt Ihr alles Wichtige und Wissenswertes rund um die Neurochirurgie.
Jeder Student stellt sich irgendwann im Verlauf des Studiums die Frage, welche Richtung er nach dem Medizinstudium gerne einschlagen würde. Viele interessante Facharztrichtungen warten auf den angehenden Arzt und die Entscheidung fällt oftmals sehr schwer. Ich habe mir den Bereich Neurochirurgie etwas genauer angeschaut und mit dem Neurochirurgen Dr. Schmidt über seine interessante Arbeit gesprochen.
DocCheck Campus News: Wer früher an einem Gehirntumor erkrankte, hatte oftmals keine allzu guten Chancen, wieder vollständig zu genesen. Wie sieht das denn heute aus? Dr. Schmidt: Es ist auch heute noch eine allgemein verbreitete Ansicht, dass eine Operation am Gehirn fast immer zu schweren Ausfällen oder zu starken Persönlichkeitsveränderungen führt. Doch in den vergangen Jahren hat sich viel in der Neurochirurgie getan. Moderne Operationsverfahren sowie die Nachbetreuung des Patienten nach einem langen Tumoreingriff haben dazu geführt, dass die Patienten einen chirurgischen Eingriff am Gehirn in der Regel gut überstehen.
DocCheck Campus News: Wie operiert heutzutage ein moderner Neurochirurg? Dr. Schmidt: In der Neurochirurgie stehen heutzutage viele Hilfsmittel zur Verfügung, um den operativen Eingriff für den Patienten schonend durchzuführen. Schonend bedeutet in dem Falle, dass man die normalen Gehirnstrukturen einschließlich der Mikrogefäße und der Hirnnerven nicht beschädigt. Der oberste Leitsatz ist hier, dass es dem Patienten nach der Operation nicht schlechter gehen soll als vorher. Das klingt zunächst sehr banal, war aber gerade bei komplizierten Eingriffen am Gehirn keinesfalls selbstverständlich. Der Patient soll keine zusätzlichen neurologischen Ausfälle durch die Operation erleiden. Dies gelingt auch mittlerweile regelmäßig. Hirntumore werden heute standardmäßig mikrochirurgisch operiert. Dadurch kann der Operateur millimetergenau arbeiten.
In vielen Fällen wird auch ein operatives Navigationssystem eingesetzt. Dieses funktioniert im Prinzip wie das Navigationsprinzip im Auto und ermöglicht dem Operateur, einen schonenden und minimal-invasiven Zugangsweg zum Tumor zu finden. Es ermöglicht auch, tiefliegende Tumore zielgenau anzusteuern und zu entfernen. Wir haben auch mittlerweile in der Neurochirurgie die Möglichkeit, die Funktion von Hirnnerven sowie die Motorik- und Sprachfunktion während einer Operation zu überwachen. Ein gutes Beispiel, an dem man diesen Fortschritt der Neurochirurgie in den letzten Jahren aufzeigen kann, ist das sogenannte Akustikneuriom. Das ist ein Tumor, der vom Gleichgewichtsnerven ausgeht und unmittelbar am Gesichtsnerven und am Hörnerv liegt. Sowohl der Gesichtsnerv als auch der Hörnerv sind bei einer Operation gefährdet und werden während einer Operation ständig überwacht. Das hat dazu geführt, dass heute in den meisten Fällen nicht nur der Gesichtsnerv und damit der Gesichtsausdruck intakt bleiben, sondern auch immer öfter das Hörvermögen bei den Patienten erhalten werden kann.
DocCheck Campus News: Trotz all dieser Fortschritte in der Neurochirurgie: Wie geht man als Neurochirurg mit der existenziellen Angst eines einzelnen Patienten um? Dr. Schmidt: Für den Patienten und auch für seine Angehörige stellt die Diagnose eines Gehirntumors in jedem Fall einen tiefen Einschnitt in das gewohnte Leben dar. Viele Betroffene sind zunächst sehr verzweifelt. Hier können durch ruhige und sachliche Gespräche, bei der umfassend die Fragen des Patienten und seiner Angehörigen beantwortet werden, häufig die Ungewissheit und die Angst abgebaut werden.
Es ist wichtig, dass der operierende Neurochirurg den Patienten so genau wie möglich über die Möglichkeiten aber auch die Grenzen der Chirurgie informiert, alles andere wäre unverantwortlich. Auch wenn die Wahrheit manchmal unangenehm ist, sollte sie gesagt werden. Die jeweilige Therapieempfehlung muss dem Patienten klar verständlich erläutert werden. Soweit vor einer Operation abschätzbar, sollte dem Patienten ein Gesamt-Therapiekonzept an die Hand gegeben werden, so dass der Patient und seine Angehörigen auch für sich planen können. Dies ist heutzutage gut möglich. Die Prognose hängt vor allem von der Tumorart ab. Tumore, wie zum Beispiel Meningeome, die das Gehirn von außen komprimieren, können häufig komplett entfernt werden, was einer Heilung entspricht. Anders sieht es aus bei Tumoren, die vom Gehirngewebe selbst ausgehen, den sogenannten Gliomen, denn sie können in der Regel nicht komplett entfernt werden und wachsen nach. Bei schnell wiederkehrenden und wachsenden Gliomen ist eine zusätzliche Bestrahlung und gegebenenfalls eine Chemotherapie erforderlich.
DocCheck Campus News: Auch wenn der Patient den Eingriff aus medizinischer Sicht gut überstanden hat, kann manchmal ein neues Problem entstehen, vor allem kosmetischer Natur. Wie sieht es in der Hinsicht für die Patienten nach der Operation aus? Dr. Schmidt: Neurochirurgische Eingriffe sind, im Vergleich zu früher, nicht mehr kosmetisch verunstaltend. Kahlkopfrasuren, der Albtraum vieler Frauen und Mädchen, gehören der Vergangenheit an. Wir achten heute darauf, dass die Haare, wenn überhaupt, nur im unmittelbaren Eingriffsbereich entfernt werden. Auch beim Hautschnitt wird sehr darauf geachtet, dass er kosmetisch günstig verläuft, beispielsweise hinter dem Haaransatz, also unsichtbar. Knochenanteile, die für die Operation entfernt werden müssen, werden in aller Regel wieder eingesetzt, so dass sie wieder einheilen, ohne unförmige Schädeldachdefekte zu hinterlassen.
DocCheck Campus News: Was macht einen guten Neurochirurgen aus? Dr. Schmidt: Neben der operativen Erfahrung und Technik ist es sehr wichtig, dass der Chirurg ein wichtiger Ansprechpartner für den Patienten ist. Das bezieht sich auch auf die Zeit nach der Operation, die Tumornachsorge, welche jahrelang dauern kann. Fester und wichtigster Ansprechpartner für seine Patienten und dessen Angehörige zu sein, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Es ist aber für die Patienten und dessen Angehörige ein wichtiger Punkt.
DocCheck Campus News: Wie sind die Schritte zur ärztlichen Diagnose? Dr. Schmidt: Die Schritte zur ärztlichen Diagnose sind zum einen ein ausführliches Gespräch mit einem Patienten. Dann erfolgt eine neurologische Untersuchung, bei der eventuell vorhandene Ausfallerscheinungen festgestellt werden sollen, welche über die Lage des Tumors Hinweise geben können. Der nächste wichtige Schritt sind die bildgebenden Verfahren. Derzeit ermöglicht die Kernspintomographie die genaueste Darstellung des Gehirns und erlaubt eine gute Abgrenzung des Gehirntumors zum Gehirngewebe. Heute kann man schon häufig anhand der klinischen Angaben des Patienten, der neurologischen Untersuchung und vor allem anhand der Darstellung des Tumors in der Kernspintomographie mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vor einem operativen Eingriff auf die Art des Tumors schließen. Dies hilft natürlich sehr in der Beratung des Patienten und in der Erstellung eines Therapieplanes.
Wichtig ist auch, dass nicht jedes Geschwulst, welches entdeckt wird, operiert werden muss. Bei einigen Tumoren ist es besser, sie in festgelegten Abständen mit der Kernspintomographie im Verlauf zu beobachten. Es gibt Tumore, die über Jahre beobachtet werden können, sich nicht oder nur unwesentlich verändern, so dass ein operativer Eingriff nicht notwendig ist.
Vielen lieben Dank für das Gespräch und alles Gute.