Forscher haben zwei Moleküle identifiziert, die die Endozytose von Zellen stoppen und damit potentielle Wirkstoffe gegen Erkrankungen wie Krebs, Epilepsie, Parkinson, HIV oder Ebola darstellen.
Zellen kommunizieren mit ihrer Umgebung über die Ausschüttung von Zytokinen, Wachstumsfaktoren und Hormonen. Diese Art der Kommunikation erfordert meist, dass die Stoffe über membranständige Rezeptoren in die Zelle aufgenommen, sprich endozytiert, werden. Die Zellen besitzen verschiedene molekulare Mechanismen zur Endozytose. Einen der Hauptwege stellt die Clathrin-vermittelte Endozytose dar. Dabei lagert sich das dreibeinige Molekül Clathrin an die Zellmembran an und bildet eine Art molekulares Gitter, was zur Membraneinstülpung führt. "Man kann es sich so vorstellen, als ob die Sonne aufgeht", sagt Prof. Volker Haucke, Leiter des Forschungsprojekts. Am Ende schnürt sich das Gitter von der Zellmembran ab und entsteht ein Bläschen (Vesikel) in der Form eines Fußballs, das ins Zellinnere transportiert wird. "Dieser Prozess muss sehr reguliert ablaufen. Clathrin fungiert dabei als eine zentrale Organisationsstruktur", so Haucke weiter. Auch bestimmte Erkrankungen sind von der Endozytose abhängig, z.B. braucht sie der Tumor zum Wachstum und einige Viren als Eintrittskarte in die Zelle. Um die Endozytose zu stoppen ist es daher nötig, Clathrin nicht an die Zellmembran andocken zulassen.
Pitstops hemmen Endozytose
Die Forscher haben eine Bibliothek aus über 20.000 chemischen Substanzen nach Molekülen durchsucht, die an die drei Beine von Clathrin binden können und es damit für das Clathrin Molekül unmöglich machen, sie an die Zellmembran anzulagern und den Endozytoseprozess auszulösen. Gefunden wurden zwei Substanzen, die kompetitiv mit der Zellmembran um die Bindungsstelle von Clathrin konkurrieren. Genannt wurden sie Pitstops, da sie die Ausbildung einer Grube (engl. Pit) verhindern. In den durchgeführten Versuchen wurden die Pitstops in Kontakt mit gewöhnlichen Zellen gebracht und in Nervenfasern des sog. Flussneunauges injiziert. Dieses aalähnliche Tier eignet sich aufgrund seiner nicht-myelinisierten Axone zur Durchführung der Versuche. Die Forscher konnten dabei beobachten, dass die Endozytose von normalen Zellen als auch von Neuronen zum Stillstand kommt.
Mögliche Waffe gegen viele Krankheiten
Die Hemmung der Clathrin-vermittelten Endozytose könnte sich als effektiver Therapieansatz gegen unterschiedlichste Krankheiten herausstellen. Zum einen ist sie wirksam gegen bestimmte Infektionskrankheiten viraler und bakterieller Genese. "Unsere Experimente haben klar gezeigt, dass der HI-Virus auf die Clathrin-vermittelte Endozytose angewiesen ist, um in die Zelle zu gelangen", stellt Haucke fest. Auch weitere Erreger nutzen Clathrin-vermittelte Endozytose, darunter der Ebola-Virus, Listerien, Clostridium tetani und pathogene E. coli. Eine weiterer Angriffspunkt ist Krebs, da Clathrin neben der Endozytose auch an der Mitose von Zellen beteiligt ist. So könnte die beschleunigte Zellteilung von Tumoren extrem verlangsamt werden. Zusätzlich werden in der Tumorzelle bestimmte Signalwege angeschaltet, die eine Zellteilung verhindern. Der dritte Punkt sind neurologische Erkrankungen. "Es gibt Hinweise, dass Clathrin-vermittelte Endozytose bei Schizophrenie, Epilepsie und Parkinson eine Rolle spielt", so Haucke. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die verschiedenen Neurotransmitter mittels Endozytose recycelt werden. Eine Hemmung der Endozytose könnte spezifisch die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Serotonin, GABA oder Dopamin regulieren.
Erste Therapien in 10 Jahren
Um effektive und spezifische Therapeutika zu entwickeln, ist jedoch noch eine Menge Forschungsarbeit notwendig. Die größte Hürde liegt darin, die Endozytose nur an einem bestimmten Ort (z.B. im Tumor oder in bestimmten Nervenzellen) und nicht im gesamten Körper zu stoppen. Die Basis für die Entwicklung von völlig neuartigen Medikamenten ist jedoch geschaffen.
Originalpublikation: Role of the Clathrin Terminal Domain in Regulating Coated Pit Dynamics Revealed by Small Molecule Inhibition von Kleist et al.; Cell, doi:10.1016/j.cell.2011.06.025; 2011