Das FDP-geführte Bundesgesundheitsministerium will das Heilmittelwerbegesetz liberalisieren und beruft sich dabei auf EU-Vorgaben, die allerdings schon zehn Jahre alt sind. Verbraucherschützer lehnen viele der geplanten Änderungen strikt ab. Die Ärzteschaft arbeitet noch an ihrer Meinung.
Nun ist er draußen, der Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums zur Novellierung des Arzneimittelgesetzes, die so genannte 16. AMG-Novelle. Neben vielen anderen Dingen enthält der Entwurf mit dem Artikel 5 auch einen Passus, durch den eine größere Änderung des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) angestrebt wird.
Vorher-Nachher wird erlaubt. Mit Wissenschaft werben auch.
Mit den angestrebten Änderungen wird das HWG in vielen Punkten gelockert. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass die Wiedergabe individueller Patientengeschichten, die bisher untersagt war, künftig bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten im Prinzip gestattet ist. „Im Prinzip“ heißt, dass die Darstellung nicht „in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgt oder durch eine ausführliche Beschreibung oder Darstellung zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten kann“, so der Originaltext des Entwurfs. Böswillige Menschen könnten diese Passage natürlich so lesen, dass Patientengeschichten so lange erlaubt sind, wie die Zielgruppe für hinreichend dumm verkauft wird, statt sie mit zu ausführlichen Details auch noch zum Nachdenken zu bewegen. Werbung eben.
Neben der Freigabe der Krankengeschichten im Bereich der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel können nach der HWG-Novelle, sofern sie wie vorgesehen umgesetzt wird, künftig auch Packungsbeilagen und Fachinformationen frei verfügbar gemacht werden, beispielsweise im Internet. Die Darstellung von Heilberuflern in Berufskleidung soll erlaubt werden. Auch Vorher-Nachher-Bildvergleiche sind künftig möglich, wobei erneut „missbräuchliche, abstoßende oder irreführende“ Bilder außen vor bleiben sollen. Ersatzlos gestrichen wird dem Referentenentwurf zufolge das Verbot der Werbung mit „Gutachten, Zeugnissen, wissenschaftlichen oder fachlichen Veröffentlichungen oder Hinweisen darauf.“ Heißt: Fachpublikationen dürften künftig auch in Deutschland in die Publikumswerbung für verschreibungsfreie Pillen kräftig Einzug halten.
Ministerium zeigt mit dem Finger Richtung Brüssel
Das Bundesgesundheitsministerium begründet die Änderungen im Wesentlichen mit Verweis auf die EU-Richtlinie 2001/83/EG. „Das HWG wird im vorliegenden Entwurf ausschließlich an die europäische Rechtsprechung zu den bestehenden verbindlichen europarechtlichen Vorgaben angepasst“, betont eine Ministeriumssprecherin auf Nachfrage von DocCheck. Auch in den offiziellen Begründungen, die jedem neuen Gesetzesentwurf beigeheftet werden, wird dieser Punkt sehr stark betont. So kenne die EU-Richtlinie 2001/83/EG beispielsweise kein Verbot von werblichen Verweisen auf Fachpublikationen und Gutachten, so das Ministerium. Untersagt sei lediglich „die Beeinflussung des Verbrauchers durch die persönliche Meinung einer Person, die durch Fachkunde oder auf Grund ihrer Bekanntheit beim Verbraucher besonderes Vertrauen erweckt.“ Ergo: Raus mit den Gutachten und Fachpublikationen aus der Black-List des HWG.
Auch bei der Werbung mit Bildern wird explizit auf die EU-Richtlinie Bezug genommen. So ganz konsequent ist man hier aber nicht. Denn die Vorher-Nachher-Werbung bei Schönheitsoperationen wird von der Liberalisierung im Referentenentwurf explizit ausgenommen. In den Erläuterungen dazu findet sich bezeichnenderweise kein Verweis auf das EU-Recht, sondern lediglich die redundante Bemerkung, dass die geltenden Werbebeschränkungen für Schönheitsoperationen aufrecht erhalten würden. Im Hinblick auf die politisch nicht uninteressante Frage, ob der Referentenentwurf zur HWG-Novelle also wirklich nur sklavisch EU-Recht umsetzt oder nicht doch eine versteckte Agenda transportiert, lassen solche kleinen Ungereimtheiten zumindest aufhorchen.
Verbraucherschützer lehnen HWG-Novelle ab
Dass der Referentenentwurf so kurz vor Weihnachten veröffentlicht wurde, führt bei vielen Betroffenen zu Kritik. Stellungnahmen der betroffenen Verbände müssen jetzt über die Feiertage erfolgen. Von Ärzteseite gibt es bisher keine inhaltlichen Äußerungen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat angekündigt, dass eine Stellungnahme am 6. Januar vorgelegt werde. Etwas weiter ist da der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der zwar auch darauf hinweist, dass die Details noch geprüft werden müssen. Zumindest wurde DocCheck aber schon einmal eine Vorabpositionierung im Vorfeld der offiziellen Stellungnahme übermittelt, die die Richtung andeutet, in die es gehen wird. Und diese Stellungnahme ist dezidiert kritisch.
Die geplanten Lockerungen des Werbeverbots im Bereich nicht-verschreibungspflichtiger Arzneimittel lehnt der vzbv demnach, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, kategorisch ab. Zu den Ausnahmen zählt die Freigabe der Veröffentlichung von Packungsbeilagen und Fachinformationen. Dies sei unschädlich, sofern Internetnutzer aus eigener Initiative danach suchen, trage aber auch nicht zu einer besseren Information von Patientinnen und Patienten bei. Der vzbv weist bei diesem Punkt darauf hin, dass es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mai 2011 gibt, wonach Informationen, die bereits behördlich autorisiert wurden, nicht zugriffsbeschränkt werden dürfen. Hier folgt der Gesetzgeber also tatsächlich europäischen Vorgaben.
Fast alle anderen Punkte der HWG-Novelle werden dagegen scharf kritisiert. Die Möglichkeit, künftig für nicht-verschreibungspflichtige Schlaf- und Beruhigungsmittel werben zu dürfen, schaffe eine neue Sorglosigkeit bei Verbrauchern im Hinblick auf diese Produkte. „Auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel haben Nebenwirkungen und bergen bei längerer oder übermäßiger Einnahme beträchtliche Risiken“, so der vzbv. Überhaupt nicht nachvollziehen können die Verbraucherschützer die selektive Freigabe der Werbung mit Patientenschicksalen: „Wir sehen nicht, wie im Rahmen von Werbung bei Patientenbezug zwischen irreführend und nicht irreführend unterschieden werden soll. Werbung bietet keine geprüften und vergleichenden Informationen, sondern arbeitet mit Hoffnungen, die oft genug nicht erfüllt werden“, so der vzbv. Und auch der Plan des Bundesgesundheitsministeriums, das bisherige Verbot der Werbung mit Gutachten, Zeugnissen oder fachlichen Veröffentlichungen aus dem HWG ganz zu streichen, erntet nur Kopfschütteln: „Außerhalb von Fachkreisen ist die Verwendung mit gutem Grund bislang gänzlich verboten.“ Vielleicht kommt aber alles ohnehin ganz anders. Wer weiß, ob der derzeitige Minister die Debatte über seinen Referentenentwurf überhaupt noch als Minister miterlebt.