Die globale Erwärmung ist präsent wie nie zuvor: Tropische Infektionskrankheiten, übertragen durch Stechmücken, werden in Europa immer mehr zum Problem. Schlagzeilen machte vor kurzem das Usutu-Virus, es infiziert vor allem Amseln. Und der Mensch?
Alles begann im Sommer 2001: Usutu-Viren (USUV) überschwemmten Österreich, und tausende Amseln verendeten. Weitere Länder folgten: Ungarn (2005), die Schweiz (2006), Spanien (2006 und 2009) sowie Italien (2009). Mitte September dieses Jahres begann in Deutschland ein – zunächst rätselhaftes – Amselsterben. Doch das Geheimnis war schnell gelüftet: Forscher am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI) fanden das USUV bisher in 44 von 66 toten Amseln. Diese Tiere erwiesen sich in der Vergangenheit als besonders anfällig gegen diese Infektionen, und so erreichte deren Mortalität Werte von bis zu 94 Prozent. Alle infizierten Tiere stammten aus Baden-Württemberg, Hessen oder Rheinland-Pfalz, betroffen waren die Flusstäler von Rhein und Neckar. Aufgrund der genetischen Ähnlichkeit der Virus-Isolate aus verschiedenen EU-Ländern vermuten Epidemiologien, dass es vor gut elf Jahren eine neue Quelle in Wien gegeben haben musste, Auslöser für die Eroberung halb Europas. Die Suche nach Erklärungen begann.
Gut gelandet
Ein Ansatz: Über Zugvögel, aber auch über Flugzeuge gelangen infizierte Mücken tausende Kilometer in alle Welt. Finden sie am Zielort akzeptable Lebensbedingungen vor, und hier kommt die globale Erwärmung ins Spiel, steht einer weiteren Verbreitung nichts mehr im Wege. Diese These konnten Forscher am Beispiel des West-Nil-Virus, einem engen Verwandten des Usutu-Virus, mittlerweile nachweisen. Vermutlich 1999 auf der Fernflugroute Tel Aviv – New York über infizierte Mücken eingeschleppt, breitete es sich innerhalb von vier Jahren über die gesamte USA aus. Auch hier spielen Vögel eine entscheidende Rolle. Wie der Biologe Marm Kilpatrick jetzt herausfand, infizieren Mücken hier speziell Wanderdrosseln, die auf ihrer Reise quer durch die Staaten das Virus zurück auf stechende Plagegeister übertragen. Dann sind Menschen an der Reihe – eine grobe Bilanz: 1,8 Millionen wurden in den USA infiziert, und 1.300 starben.
Giftspritzen werden heimisch
Derart drastische Zahlen sind für das USIV nicht zu erwarten, doch gibt die Entwicklung Anlass zur Sorge: Durch steigende Temperaturen fühlen sich immer mehr Stechmücken aus exotischen Ländern bei uns heimisch, und damit auch ihre infektiöse Fracht. Forscher des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNI) sowie der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Stechmückenplage (KABS) hatten rund um Feuchtgebiete in den letzten Jahren rund eine halbe Million der stechenden Plagegeister eingefangen und untersucht. Die Zahl der Arten wächst immer weiter. In der neuen „Mückenkarte für Deutschland“ sind mittlerweile 48 Spezies gelistet, auch japanische Buschmoskitos, gefürchtete Vektoren zahlreicher Infektionskrankheiten. Und tatsächlich fanden Wissenschaftler Usutu-, Sindbis- sowie Batai-Viren – sie lösen nach der Übertragung fiebrige Erkrankungen aus. Eine genauere Analyse speziell von USUV zeigte auch hier enge molekularbiologische Verwandtschaft zu Stämmen, die in Österreich isoliert worden waren. Usutu macht sich breit in Europa, und die Sorge vieler Patienten wächst.
Experten geben Entwarnung
Generell infizieren USUV Vögel, aber auch Säugetiere sind davor nicht gefeit. Experten beruhigen: „Es gibt zurzeit keine Hinweise darauf, dass das Usutu-Virus in Deutschland auf Menschen übertragen wird oder gar eine Epidemie auslöst“, so die Einschätzung vom BNI-Forscher Privatdozent Dr. Jonas Schmidt-Chanasit. Bei den gefiederten Spezies jedoch verläuft eine Infektion sehr oft tödlich. „Es handelt sich in erster Linie um ein Tiervirus, das für den Menschen keine besondere Gefahr darstellt, ergänzt Susanne Glasmacher, Sprecherin des Robert-Koch-Instituts. „Wir beobachten die Entwicklung, sehen aber aktuell keinen Grund zur Besorgnis.“
Immunsupprimiert und infiziert
Dass eine Übertragung aber generell möglich ist, zeigen Berichte aus Italien. Im Sommer 2009 traten dort gleich zwei Fälle auf: bei einer Patientin mit Lebertransplantation sowie bei einem Patient mit Non-Hodgkin-Lymphom. Die Betroffenen hatten ein supprimiertes beziehungsweise defektes Immunsystem. Fraglich bleibt dennoch, wie die USUV in den Körper gelangten. Der genaue Weg ist kaum nachvollziehbar, auch Blutkonserven kommen laut den behandelnden Ärzten infrage.
Umso schwerer tun sich alle Beteiligten, das Erkrankungsbild von Beginn an klinisch zu beschreiben. Kollegen vermuten, dass mit einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen gerechnet werden muss. Bei den Betroffenen kam es schließlich zu Fieber über längere Episoden sowie zu Kopfschmerzen und einer Beteiligung des zentralen Nervensystems bis hin zur Enzephalitis. Doch hatte die Klinik erst einen anderen Verdacht. Man tippte auf das eng verwandte West-Nil-Virus. Dann die Überraschung: Während des akuten Schubs ließen sich in der Rückenmarksflüssigkeit sowie im Serum Antikörper gegen USUV nachweisen – ein recht unsicheres Unterfangen angesichts der Ähnlichkeit verschiedener Flaviviren. Zu der recht großen Familie gehören auch Vertreter wie das Frühsommer-Meningoenzephalitis-Virus, das Japanische Enzephalitis-Virus oder das West-Nil-Virus.
Mittels Echtzeit-PCR, einem Verfahren zur Vervielfältigung des viralen Erbguts, und anschließender Bestimmung der Sequenz konnten Forscher des regionalen Referenzzentrums für mikrobiologische Notfälle an der Universität von Bologna zweifelsfrei Usutu-Viren nachweisen, warnen aber dennoch vor übertriebener Panik. Laut den Autoren seien vor allem immungeschwächte Patienten gefährdet. Eine Möglichkeit zur Behandlung oder Impfung existiert momentan nicht, doch haben spanische Forscher verschiedene Stoffwechselprozesse gefunden – mögliche Achillesversen im viralen Stoffwechsel. Für dessen effiziente Vermehrung scheinen Membranumlagerungen eine wichtige Rolle zu spielen, und die funktionieren bekanntlich nicht ohne Fettsäuren. Hemmstoffe des entsprechenden Enzyms, der Fettsäure-Synthase, erwiesen sich im Labor als viel versprechend. Therapeutisch ist das noch Zukunftsmusik, es bleibt momentan nur die regelmäßige Überwachung möglicher Vektoren.
Forschen für die Frühwarnung
Das sehen europäische Gesundheitspolitiker nicht anders. Und so kamen Experten zu dem Schluss, ein grenzübergreifendes Instrument sei erforderlich, um diverse Vertreter der Flaviviren unter Kontrolle zu halten. Es wurde auch für Usutu-Viren – wie bereits beim West-Nil-Virus – empfohlen, Vögel, Pferde, und Mücken engmaschig zu überwachen. Im Rahmen der Humanmedizin richtet sich das Augenmerk vor allem auf Blut- und Organtransplantationen. In Deutschland zumindest sind sich Forscher sicher: „Unser Frühwarnsystem funktioniert“, so KABS-Leiter Dr. Norbert Becker. Für gefährdete Patientengruppen blieben ansonsten nur physikalische und chemische Schutzmaßnahmen gegen Mückenstiche.