Jetzt ist es endlich soweit, das Bundesministerium für Gesundheit hat einen offiziellen Referentenentwurf zur neuen Apothekenbetriebsordnung vorgelegt. Befürworter sprechen von Entbürokratisierung und Deregulierung – Kritiker sehen die „Apotheke light“ kommen. Dennoch sind sich fast alle Betroffenen einig: Es hätte schlimmer kommen können.
Höchste Zeit für eine Überarbeitung: Seit Inkrafttreten der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) im Jahr 1987 gab es lediglich 1995 eine Aktualisierung. Die Welt hat sich inzwischen weitergedreht, viele Stellen des alten Regelwerks passen nicht mehr zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen von heute. Und ökonomisch soll sich die Novellierung auch noch lohnen: Im Rahmen einer Folgekostenabschätzung rechnen Politiker des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) mit Gesamteinsparungen von rund 2,1 Millionen Euro pro Jahr, einmalig kämen weitere 400.000 Euro hinzu. Vor allem Filialapotheken werden davon profitieren.
Ein bisschen Qualität
Wer selbst Arzneimittel in größerem Stil herstellt, hat allerdings mit Mehrkosten zu rechnen. Entsprechende Apotheken müssten künftig „über ein funktionierendes Qualitätsmanagementsystem (QMS) verfügen, soweit Defekturarzneimittel hergestellt werden“, heißt es in dem Papier. Andere Bereiche, in denen ein QMS laut Zertifizierungssatzungen vieler Apothekerkammern sinnvoll wäre, nennt der Entwurf aus Berlin aber nicht. Explizit erwähnt werden hingegen Herstellung „nach Stand von Wissenschaft und Technik“ sowie Prüfung, Lagerung und Dokumentation. Davon sind auch parenterale Zubereitungen und Verblisterungen betroffen – unverständlich für den Bundesverband Klinik- und heimversorgender Apotheker (BVKA). Die Pflicht zur analytischen Prüfung sei laut Detlef Steinweg, dem stellvertretenden Vorsitzenden des BVKA, unter Qualitätsgesichtspunkten überflüssig sowie in vielen Fällen wirtschaftlich nicht erfüllbar. Und so lautet seine Forderung, „unverhältnismäßige Beschränkungen“ nochmals zu überdenken.
Ein anderer Passus ist aus der alten ApBetrO mehr oder minder übernommen worden – und stößt vor allem Pharmazeutisch-technischen Assistenten sauer auf: „Die Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln, für die ein Qualitätsmanagementsystem (…) erforderlich ist, darf auch durch nichtpharmazeutisches Personal erfolgen, soweit es entsprechend qualifiziert ist, über die bei den jeweiligen Tätigkeiten gebotene Sorgfalt nachweislich zu Anfang und danach fortlaufend unterwiesen wird und unter Aufsicht eines Apothekers arbeitet.“ Wieso dann noch Zeit und Geld in eine Ausbildung an der Fachschule investieren? „Die Novellierung dient nicht einmal der Qualität“, gibt Sabine Pfeiffer, Vorsitzende des Bundesverbands Pharmazeutisch-technischer AssistentInnen (BVpta), zu bedenken. Sie kritisiert vor allem, dass auch nicht pharmazeutische Berufe Individualarzneimittel herstellen dürfen.
Unter Umständen Umbau
Dann zur Ausgestaltung der Apotheke selbst: Notwendig ist ein „Zugang zu öffentlichen Verkehrsflächen“, Barrierefreiheit bleibt als Kann-Regelung im Vagen. Zwingend schreibt der Gesetzgeber hingegen vor, Teile der Apotheke so zu konzipieren, dass „Vertraulichkeit an den Stellen gewahrt wird, an denen Arzneimittel an Kunden abgegeben werden“. Auch für die Rezeptur gelten neue Vorgaben. Dieser Bereich ist „mindestens von drei Seiten raumhoch von anderen Bereichen der Apotheke abzutrennen“ – mit leicht zu reinigenden Wänden und Oberflächen. Als untere Grenze einer Apotheke nennt das BMG wie bisher 110 Quadratmeter – Größen für Offizin, Labor oder Lager sucht man aber vergeblich. Damit können die meisten Apotheken sicher gut leben, ein Umbau wird nur in Ausnahmefällen notwendig sein. Umso tiefgreifender sind die geplanten Änderungen beim Thema Kundenkontakt.
Beratung wird zur Pflicht
Dazu heißt es: „Bei der Abgabe von Arzneimitteln an einen Kunden ist dessen Informations- und Beratungsbedarf durch Nachfrage festzustellen und eine Beratung anzubieten.“ Der Patient müsse auch „aktiv in das Gespräch eingebunden werden“. Im Falle einer Selbstmedikation sei außerdem zu überprüfen, „ob das gewünschte Arzneimittel zur Anwendung bei der vorgesehenen Person geeignet erscheint“. Christian Buse, der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA), relativiert die Praxistauglichkeit dieser Passagen: „20 bis 30 Prozent der Apothekenkunden holen die Arzneimittel nicht für sich selbst ab. Da müssen wir aufpassen: Wen beraten wir eigentlich?“.
Ohne Information geht auch beim Botendienst bald nichts mehr: Wer kein Beratungsgespräch in der Apotheke bekommen hat, darf nur von pharmazeutischem Personal beliefert werden. Nicht ganz unerheblich, ist doch geplant, den Zustellservice von der Einzelfallregelung zur gängigen Praxis zu erheben. Kritik dazu kommt von der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: „Sofern die Belieferung durch einen Boten durch die Änderung ins Belieben des Apothekenleiters gestellt wird, lehnen wir dies ab.“ Laut BVDVA sei auch „fraglich, ob jede Apotheke eine pharmazeutische Fachkraft mit der Zustellung beauftragen kann“, falls keine Beratung vorab stattgefunden habe – in puncto Personalplanung sicher eine zusätzliche Erschwernis gerade für kleine Apotheken.
Filialapotheken fein raus
Erleichterungen hat das BMG hingegen für Filialapotheken vorgesehen. Im Verbund reicht nunmehr ein einziges Labor aus. Neben den Einsparungen von 8.400 Euro pro Filiale führe die Bündelung von Rezepturen „zu einer besseren Auslastung und auch zu einer Qualitätsverbesserung, weil die Erfahrung des Personals durch die häufiger durchgeführten Tätigkeiten naturgemäß ansteigen“, verlautbarte das Ministerium. Auch können sich Filialapotheken vom Nacht- und Notdienst befreien lassen bzw. gegenseitig vertreten. Vollversorgende Apotheken gehören vielleicht schon bald der Vergangenheit an. „In zentralen Punkten ist nun doch die Apotheke medium als Teil eines Filialverbundes vorgesehen – mit der Tendenz, dass sich bald viele Light-Betriebe entwickeln können“, kritisiert Barbara Neusetzer, Erste Vorsitzende von ADEXA – Die Apothekengewerkschaft. Für Mitarbeiter könnte sich die mögliche Zentralisierung beim Notdienst auch aus anderen Gründen negativ auswirken: Wenn sie noch Dienste von bis zu drei anderen Apotheken mit übernehmen müssen, wird die Belastung schnell unverhältnismäßig hoch. Neusetzer: „Diese Änderung sieht ADEXA daher sehr kritisch.“
Auch zeigt die Erfahrung aus Versandhandel und Pick-ups, wohin Lockerungen führen können. In der Tat erwähnt das BMG Pick-up-Stellen heute mit keinem Wort mehr. Damit ist der ursprüngliche Vorschlag der ABDA, einen Genehmigungsvorbehalt inklusive Bedarfsprüfung in der neuen ApBetrO zu verankern, nicht gerade auf fruchtbaren Boden gefallen. Kein Wunder, dass von der Spitzenorganisation deutscher Apotheker jetzt ein klares Nein zu der Novelle kommt. Hauptkritikpunkte sind vor allem die „Schwächung der lokalen Versorgung“ sowie die „Entprofessionalisierung“ durch Lockerungen bei den Apothekenfilialen. Andere Berufsverbände haben noch bis 18. November Gelegenheit, ihre Stellungnahmen beim BMG abzugeben. Welche Änderungsvorschläge dann aufgegriffen werden, steht auf einer anderen Karte. Anschließend sind die Bundesländer in der Pflicht, den Entwurf zu diskutieren. Und Mitte 2012 könnte die neue ApBetrO tatsächlich in Kraft treten.