Skalpell, Nadeln, Strahlen, Vitamin E, Globuli und und und. Die Zahl der Therapie-Angebote beim „Dupuytren“ ist nicht gerade klein. Seit Mai gibt es noch eine Option: das Enzym-Skalpell. Es sei viel versprechend, heißt es. Aber auch: unklarer Langzeitnutzen, zu hoher Preis.
Vor fast 200 Jahren beschrieb Baron Guillaume Dupuytren, Leibarzt von Ludwig XVIII und Karl X, die operative Behandlung der Fibromatose der Palmaraponeurose, die seitdem als „Dupuytren“-Kontraktur bekannt ist. Die Ursache der Erkrankung ist bis heute nicht geklärt. Eine Schlüsselrolle spielen mit großer Wahrscheinlichkeit die Gene. Assoziiert soll sie mit Alkoholmissbrauch, Tabakkonsum, Diabetes, Epilepsie und auch HIV sein. Die Prävalenz der Erkrankung in den westlichen Industrieländern liegt bei zwei bis 42 Prozent. Meist tritt die Erkrankung im mittleren Lebensalter auf, bei Männern in der Regel früher als bei Frauen. Auch bei Kindern wurde der „Dupuytren“ schon diagnostiziert.
Standardtherapie: eine Operation
Seit Jahrzehnten gilt die operative Spaltung der Palmaraponeurose als die Standardtherapie, wenn die Funktion der Hand deutlich eingeschränkt ist. Damit es erst gar nicht so weit kommt oder um die Behinderung wenigstens hinauszuzögern, setzt Professor Dr. M. Heinrich Seegenschmiedt vom Strahlenzentrum Hamburg seit vielen Jahren schon auf eine Bestrahlung im Frühstadium der Erkrankung. Im Frühstadium heißt: Die Fibroblasten müssen noch proliferieren, Narbengewebe darf noch nicht vorliegen, denn zellarmes Gewebe spricht auf Strahlen nicht mehr an. Seine Erfahrungen mit der Bestrahlung seien sehr gut, sagt Seegenschmiedt. Letztes Jahr publizierte Langzeitresultate mit 135 Patienten und 208 erkrankten Händen belegen ebenfalls, dass die Bestrahlung im Frühstadium der Erkrankung eine sinnvolle Option sein kann, mit Voranschreiten der Erkrankung allerdings an Wirksamkeit verliert.
Strahlentherapie: Gutes Timing ein Muss
Ganz entscheidend für den Nutzen der Strahlentherapie ist daher, da besteht großer Konsens unter Dupuytren-Therapeuten, das richtige „Timing“. „Eine Strahlenbehandlung ist nur bei aktiver und zunehmender Erkrankung und vor allem im Anfangsstadium der Krankheit sehr wirkungsvoll“, betonen zum Beispiel die Experten von „Dupuytren e.V.“. Oft bleibe „die Erkrankung auf dem Stand zum Zeitpunkt der Bestrahlung stehen“, heißt es auf der Webseite der gemeinnützigen Vereinigung, deren zweiter Vorsitzender Seegenschmiedt ist. Ein Problem der Strahlentherapie sei allerdings, dass „viele Patienten ihren Haus- oder Facharzt nicht im frühen Stadium konsultieren“. Eher skeptisch stehen der Bestrahlung die Handchirurgen Dr. Bernhard Lukas und Dr. Jörg Witthaut gegenüber. Eine Bestrahlung sollte aufgrund des mäßigen Risiko/Nutzen-Verhältnis genau überlegt werden, sagt etwa Lukas, Chefarzt der Schön Klinik München Harlaching. Er sehe einen Nutzen bestenfalls dann, wenn nur Knoten vorlägen, so auch Witthaut, Chefarzt der Schön Klinik Vogtareuth, im Gespräch mit DocCheck.
Noch eine Option: die Nadelfasziotomie
Bevor zum Skalpell gegriffen wird, kann außer der Strahlentherapie auch eine weitere Methode angewendet werden - die perkutane Nadelfasziotomie (PNF). Bei der in Frankreich entwickelten und dort häufig verwendeten risikoarmen PNF werden unter lokaler Betäubung die Dupuytren-Stränge mit Nadelstichen so weit geschwächt, dass sie gestreckt und zerrissen werden können.
Typischerweise wird die PNF schon im Anfangsstadium bei störendem Streckdefizit eingesetzt. In bestimmten Fällen, wenn z.B. eine Operation nicht möglich ist, kann sie aber auch im fortgeschrittenen Stadium eine wertvolle Behandlungsmöglichkeit sein. Nach Angaben des Stuttgarter Orthopäden Dr. Gerd Lauser, der jährlich selbst etwa 200 Nadelfasziotomien vornimmt, können teilweise sogar Patienten im Stadium 4 (Kontraktur über 135 Grad) erfolgreich behandelt werden. Eine vollkommene Streckung der befallenen Gelenke ist dabei nicht mehr zu erwarten, jedoch ist eine deutlich Verbesserung oft möglich. Im Stadium 4 kann durch die je nach Aufwand etwa 150 bis 300 Euro teure PNF die Beugekontraktur auch soweit gebessert werden, dass eine Operation möglich wird. Laut Dr. Holger Erne, Handchirurg an der Schön Klinik München Harlaching, dauert der Eingriff nur wenige Minuten und ist in der Regel nicht oder nur gering schmerzhaft. Die Hand könne bereits nach wenigen Tagen wieder benutzt werden. Da nur die Haut punktiert werde, entstünden fast keine Narben. Die Rate der auftretenden Komplikationen (etwa Hauteinrisse) sei geringer als bei der herkömmlichen Methode. Allerdings ist im Vergleich zu herkömmlichen OP die Rezidivrate etwas höher.
Der neueste Schrei - ein Enzym
Seit Mai dieses Jahres steht in Deutschland nun ein weiteres minimal-invasives Verfahren zur Verfügung. Es schwächt - wie die PNF - den Strang, der die Streckung behindert. Die Rede ist von der Behandlung mit „Xiapex®“, einer Kollagenase. Welchen Stellenwert das Enzym aus Clostridium histolyticum hat bzw. haben sollte, ist noch nicht geklärt. Als viel versprechend bezeichnen sie z.B. der britische Orthopäde Professor Nicholas J. Goddard („Royal Free Hospital“ in London) und seine Kollegen ( „Open Orthopaedics Journal“). Als gute Alternative zur OP bewertet sie auch der Handchirurg F. Thomas D. Kaplan vom „Indiana Hand to Shoulder Center“ in Indianapolis. Die positive Einschätzung beruht unter anderem auf den Ergebnissen der CORD-Studie. Diese Resultate könnten die Therapie beim Dupuytren erheblich zugunsten eines konservativen Vorgehens beeinflussen, meinen zum Beispiel Goddard und seine Kollegen. An der im „NEJM“ publizierten Studie (CORD) hatten 308 Patienten teilgenommen. 204 Patienten bekamen in Zeitabständen von je 30 Tagen bis zu dreimal 0,58 Milligramm des Enzyms injiziert, 104 Patienten ein Placebo.
Primärer Endpunkt war eine Verminderung der Kontraktur auf 0-5 Grad der vollen Streckung dreißig Tage nach der letzten Injektion. Insgesamt wurde in der Verum-Gruppe bei 64 Prozent der Gelenke der primäre Endpunkt erreicht. In der Vergleichs-Gruppe betrug dieser Wert knapp sieben Prozent. Von den Patienten unter Verum erlitten 96,6 Prozent mindestens eine Therapiekomplikation - verglichen mit 21,2 Prozent unter Placebo. Die meisten Komplikationen waren leicht oder moderat und dauerten im Mittel nur zehn Tagen. Nach Angaben der Europäischen Arzneimittelagentur hatten in den drei relevanten Phase-III-Studien 17 Prozent der mit dem Enzym behandelten Patienten leichte allergische Reaktionen (z.B. Pruritus). In der Kollagenase-Gruppe kam es in der CORD-Studie zudem zu zwei Sehnenrissen und bei einem Patienten zu einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom. Schwerwiegende Komplikationen jedoch gab es laut Hersteller Auxilium insgesamt in den klinischen Studien bei weniger als einem Prozent der Patienten.
Ähnlich positiv wie die britischen Orthopäden sieht das Potenzial der Enzym-Therapie auch Jörg Witthaut, der während seiner Tätigkeit in Uppsala umfangreiche Erfahrungen mit dem „enzymatischen Skalpell“ gesammelt hat. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Clinical Drug Investigation“ haben er und seine Kollegen jetzt auch weitere Analyse-Ergebnisse der CORD-Studie publiziert. Danach betrug zu Beginn der Studie der Bewegungsumfang der 197 enzymatisch behandelten Gelenke im Mittel 43,9 Grad, in der Placebo-Gruppe (102 Gelenke) waren es 45,3 Grad. Am Tag 30 lag der Bewegungsumfang dann in der Enzym-Gruppe bei fast 81 Grad, in der Kontroll-Gruppe bei knapp 50 Grad. Die Ergebnisse waren laut Witthaut und seinen Kollegen nicht allein statistisch signifikant, sondern auch klinisch relevant. Dementsprechend waren von den Patienten, die mit der Kollagenase behandelt wurden, signifikant mehr mit der Therapie zufrieden oder gar sehr zufrieden (87 versus 32 Prozent). Es gebe sogar Patienten, die mit dem Resultat auch dann zufrieden seien, wenn es aus chirurgischer Sicht eher unbefriedigend sei.
Fehlende Langzeitdaten, hoher Preis
Dass die Enzym-Therapie eine wirksame Option sei, betont auch der Wiener Orthopäde Professor Gerold Holzer in einer aktuellen Übersichtsarbeit. Was aber noch fehlten, seien Langzeitdaten und direkte Studien zum Vergleich mit herkömmlichen operativen Verfahren. Leider gebe es bislang auch noch keine Daten zum Vergleich mit der PNF, erklärt der US-amerikanische Handchirurg Dr. Ryan J. Grabow von der „Dupuytren's Clinic of Nevada“. Er zieht weiterhin die kosteneffektive PNF der Kollagenase-Therapie vor, auch wegen der größeren Sicherheit. Laut Witthaut gibt es allerdings keine Dupuytren-Therapie, die so gut kontrolliert und dokumentiert sei wie die Enzym-Therapie. Natürlich sei „auch die Enzymbehandlung keine Wunderheilung und kann vor allem auch nicht präventiv eingesetzt werden.“ „Xiapex-Parties“ dürfte es nicht geben. Es handele sich zwar um ein minimal-invasives, aber keineswegs konservatives Verfahren. Präzise Kenntnisse der pathologischen Anatomie und handchirurgische Erfahrungen seien auf jeden Fall notwendig. Ärzte, die das Enzym anwenden wollen, müssen auch darin geschult sein.
Der größte Nachteil dürfte jedoch - außer den noch fehlenden Langzeitdaten - der Preis sein. Eine Ampulle Xiapex® kostet derzeit etwas über 1.100 Euro und reicht für nur eine Anwendung. Einem niedergelassenen Chirurgen, der in der Regel über kein nennenswertes Arzneimittelbudget verfüge, drohe damit leicht ein Regress, heißt es im „Chirurgenmagazin“. Doch selbst wenn der Chirurg einen Arzneimittelregress abwenden könne – für seine Leistung gebe es keine eigene EBM-Ziffer. Ohne besondere Vorkehrungen fließe daher kein Honorar über das Regelleistungsvolumen hinaus. Um für die Anwendung trotz fehlender EBM-Ziffer ein angemessenes Honorar zu erzielen, bleibe also nur der Weg über die Kostenerstattung auf Antrag im Einzelfall. Das Medikament sei sehr teuer, eine Injektion pro Strang könne bei mehreren Strängen an einer Hand leicht den Preis der Operation deutlich überschreiten, kommentiert in der selben Ausgabe des Magazins der Hannoveraner Handchirurg Dr. Karsten Becker. Auch sei die Rezidivrate noch nicht abschließend geklärt. Dennoch scheine die Enzym-Therapie eine „sehr interessante Therapieoption in der Hand des Erfahrenen“ zu sein – „allerdings nur unter der Voraussetzung einer angemessenen extrabudgetären Bezahlung und der Anerkennung der Praxisbesonderheit“.