Der Zusammenhang zwischen den Krankheiten Diabetes und Morbus Alzheimer wird bereits seit geraumer Zeit diskutiert. Nun gibt es Neuigkeiten: Kann ein Nasenspray mit Insulin Patienten vor dem Vergessen bewahren?
Eigentlich würde man kaum auf die Idee kommen, Alzheimer mit Diabetes zu vergleichen. Eine Nervenkrankheit, die zum Vergessen führt und eine Stoffwechselstörung, die den Blutzucker in die Höhe treibt. Wo sollte da ein Zusammenhang bestehen? Doch es gibt ihn. Seitdem mehrere Studien gezeigt haben, dass Diabetes Typ II das Risiko für Alzheimer und Demenz nahezu verdoppelt, suchen Wissenschaftler nach dem „Missing Link“ zwischen den beiden Leiden.
Insulinspiegel im Gehirn erhöhen
2005 entdeckten US-amerikanische Forscher, dass das Gehirngewebe verstorbener Alzheimerpatienten ungewöhnlich wenig Insulin und insulinähnliche Wachstumsfaktoren enthält, wo das Hormon an der Übertragen von Informationen beteiligt ist. Weitere Untersuchungen zeigten: Nimmt die Insulinmenge im Gehirn ab, gehen die Gehirnzellen wie bei Alzheimer langsam ein.
Wenn Insulin also ein möglicher Auslöser für Alzheimer ist, was passiert, wenn man den Spiegel im Gehirn wieder erhöht, fragte sich 2009 William Klein. Der Neurobiologe behandelte Zellen aus dem Hippocampus, dem Erinnerungsspeicher des Gehirns, mit Insulin. Das Stoffwechsel-Hormon schützte die Zellen vor dem Angriff von Beta-Amyloiden, jenen schädlichen Proteinen, die sich im Gehirn von Alzheimer-Kranken sich zu regelrechten Klumpen verketten. Schalteten die Forscher dagegen Insulin-Rezeptoren oder die Rezeptoren für die insulinähnlichen Wachstumsfaktoren, sammelten sich die Proteinhaufen wieder an.
Bei Menschen mit Alzheimer heften sich diese Beta-Amyloide aneinander, sie verklumpen und lagern sich zwischen den Nervenzellen im Gehirn ab. Die Nervenzellen können keine Informationen austauschen. Das Gedächtnis leidet mit der Zeit immer stärker, Betroffene vergessen erst ihren Schlüssel und zuletzt sich selbst. In dem Versuch verhinderte Insulin, dass sich die Beta-Amyloide an die Synapsen hefteten, in dem es die Andockstellen für die Eiweiße verringerte. Die Nervenverbindungen funkten weiter.
Auch Antidiabetes-Medikamente wie Rosiglitazon wurden bereits zur Behandlung von Demenz erforscht. Auch hier zeigte sich eine Verbesserung, doch es traten auch Nebenwirkungen auf. Nach diesen Ergebnissen lag der Gedanke nahe, das Stoffwechselhormon direkt am Menschen zu testen.
Vorsichtige Hoffnung
Die erste kleine Pilotstudie von Suzanne Craft und ihren Kollegen der Universtät von Washington mit 106 Teilnehmern macht nun vorsichtig Hoffnung. Wissenschaftler teilten die Menschen im Anfangsstadium der Erkrankung in drei Gruppen ein. Die erste sollte täglich ein Placebo bekommen, die zweite 20 Einheiten Insulin und die dritte 40 Einheiten. Nur wie bekommt man den Botenstoff ins Gehirn? Ganz einfach: mit einem Nasenspray. Denn die Riechfasern sind nicht nur einer der kürzesten sondern auch einer der schnellsten Wege zu den Nervenzellen.
Innerhalb der nächsten vier Monate zeigte sich bei Gedächtnistests: Am besten schloss die Gruppe mit der kleinen Dosis ab. Sie konnte sich an die meisten Details einer Geschichte erinnern, die allen Teilnehmern erzählt wurde. Beide Insulin-Gruppen erhöhten andere kognitive Fähigkeiten, die in Tests gemessen wurden. In Analysen der Gehirnflüssigkeit auf die schädlichen Eiweiße zeigten sich insgesamt keine großen Unterschiede zwischen Insulin- und Placebogruppen bei den Alzheimermarkern Beta-Amyloid und Tau.
Insulin verzögert Krankheitsverlauf?
Positiv fiel jedoch ein weiterer Test aus. In einigen Gehirnregionen und im frontalen Kortex fanden die Forscher unter der Insulintherapie, dass die demenzbedingte Stoffwechselaktivität weniger abnimmt als unter Placebo. Die Autoren der Studie sehen in ihrer Arbeit einen klaren Hinweis darauf, dass Insulin den Krankheitsverlauf verzögern könne. „Erstaunt hat uns vor allem, dass so schnell Effekte sichtbar wurden und es kaum Nebenwirkungen gab“, sagt Jens Benninghoff, Leiter des Gerontopsychiatrischen Zentrums der LVR-Klinikum in Essen. „Würde man Patienten diese Menge spritzen würde man bei ihnen wahrscheinlich eine lebensgefährliche Hypoglykämie auslösen.“ Doch durch die Gabe als Nasenspray scheint das Insulin tatsächlich nur im Gehirn zu wirken. Seit Jahren versucht die Pharmaindustrie ein Nasenspray für Diabetiker zu entwickeln – ohne Erfolg. „Vielleicht können wir diesen Mechanismus nun für die Alzheimer-Behandlung ausnutzen. Eine Insulin-Behandlung die sich nicht auf den übrigen Körper auswirkt“, so Benninghoff, der in Deutschland ebenfalls an dem Zusammenhang zwischen Insulin und Neuroregeneration forscht.
Denn mit der INSULA-Studie wollen die Universitätskliniken Essen und Lübeck nun die Wirkung von Insulin-Nasenspray sowohl auf die Gedächtnis- und Denkleistungen bei einer Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium beleuchten wie auch bei Diabetes-Patienten mit kognitiven Problemen. In einer Voruntersuchung der vom Bundesministerium für Forschung und Entwicklung geförderten Studie konnte bei gesunden Erwachsenen bereits eine deutliche Verbesserung der Gedächtnisleistungen erreicht werden. „Es sieht tatsächlich so aus, dass das Insulin die Integrität der Synapsen schützt und die Nervenzellen vor dem Zelluntergang“, sagt der Demenzforscher
Noch ist die Medizin jedoch meilenweit davon entfernt, Insulin für die Therapie von Alzheimer einzusetzen. Die erste Studie ist so klein, dass dieses Ergebnis ein Zufall sein kann. Zudem gibt es neben Insulin viele weitere Verdächtige, die bei der Entwicklung oder dem Fortschreiten von Alzheimer eine Rolle spielen könnten. Doch etwa 25.000 Alzheimer-Forscher arbeiten weltweit am Verständnis und der Behandlung von Alzheimer. Und mit jeder Studie versteht man etwas mehr.