Mit steigendem Alter vieler Mütter wächst auch das Risiko, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. Invasive Tests sind riskant, doch für ein molekularbiologisches Verfahren braucht man nur eine Blutprobe der Schwangeren. Humangenetiker könnten darin jedoch weitaus mehr nachweisen als nur fetale Erbkrankheiten.
Mit den Jahren steigt das Risiko: Bekommen im Alter von 20 nur 0,2 Prozent aller Mütter ein Baby mit Trisomie 21, sind es bei den 45-Jährigen schon um die fünf Prozent. Eine Schwangerschaft in späten Jahren ist aber nicht mehr so selten: Lag der Prozentsatz der 45-Jährigen noch 1990 bei 0,8 Prozent, sind es mittlerweile 4,5 Prozent. An sich keine neue Erkenntnis, doch ist für diese Risikogruppe eine Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese selbst schon das erste Risiko: Verletzen Ärzte Plazenta oder Fruchtblase, um an fetale Zellen zu kommen, droht eine Fehlgeburt. Statistisch gesehen passiert das je nach Studie in jedem 100. bis 200. Fall – keine gute Perspektive für werdende Mütter.
Ultraschall und Biomarker
Deshalb hatten Gynäkologen der Fetal Medical Foundation (FMF) einen alternativen Test entwickelt. Im Rahmen einer Ultraschalluntersuchung messen sie die Nackentransparenz des ungeborenen Kindes. Dann folgt eine Blutuntersuchung bei der Mutter, interessant sind vor allem zwei spezielle Marker: das humane Choriongonadotropin sowie das Pregnancy-associated Plasma Protein A, die zusammen mit sonographischen Daten durch die eigens entwickelte Software „Prenatal Risk Calculation“ ausgewertet werden. Mehr als 85 Prozent der Trisomien 13, 18 und 21 lassen sich laut FMV nachweisen, so das Ergebnis einer Studie mit 70.000 Schwangerschaften. „Trotzdem ersetzt das Ersttrimester-Screening die Fruchtwasseruntersuchung nicht, denn wir können mit ihm nur Risiken abschätzen, aber keine Diagnosen stellen“, gibt Dr. Christian Thode, Facharzt für Laboratoriumsmedizin in Göttingen, zu bedenken.
Auf Jagd im Genom
Die Wissenschaft fand nach langer Vorarbeit eine Alternative: Forscher aus China haben entdeckt, dass sich aus dem Blut Schwangerer fetales Erbgut gewinnen lässt – eine Erkenntnis, die bereits in das Jahr 1997 zurück reicht. Humangenetiker um Professor Dennis Lo von der Chinese University of Hong Kong fischten aus dem Blut werdender Mütter zahlreiche Bruchstücke der kindlichen DNA – sie konnten damit nur reichlich wenig anfangen. Ihre Suche nach intakten Zellen erwies sich als erfolglos, und so wurde die Entdeckung erst einmal zu den Akten gelegt. Doch mit Einführung des „Next Generation Sequencing“ erinnerten sich Forscher an die alten Fachartikel. Verfahren mit höchstem Durchsatz und leistungsfähige Rechner in Kombination mit Analysemethoden der Bioinformatik können heute aus den Puzzleteilchen des Ungeborenen alle Informationen ermitteln, die sich Gynäkologen und Eltern nur träumen lassen. Und so war es wieder Dennis Lo, der Ende 2010 die komplette Sequenzierung der fetalen Erbgut-Trümmer beschrieb – ein neues Kapitel der Pränataldiagnostik. Er wählte für seine Studien keine beliebige Schwangere aus. Los erste Patientin hatte Anlagen der beta-Thalassämie, einer Erkrankung der Erythrozyten mit Defekten auf dem Chromosom 11. Das ungeborene Kind erwies sich als heterozygoter Mutationsträger, wie die Genetiker anhand der fetalen DNA aus dem Blut der Mutter korrekt herausfanden.
Auch beim Down-Syndrom hatte die Arbeitsgruppe entsprechende Erfolge zu verzeichnen. In einer Pilotstudie mit etwa 580 Schwangeren konnten bereits ab der zehnten Woche Trisomie 21-Fälle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Die Forscher sicherten alle Diagnosen anschließend über eine klassische Karyotypisierung ab.
Doch warum gleich das gesamte Genom unter die Lupe nehmen? Aus Sicht von Klinikern ist ein derartiger Aufwand meist unnötig. Da sich relevante Informationen in Exons des menschlichen Erbguts verstecken, also in Bereichen, die als Bauplan für Eiweiße dienen, müssen auch nur diese zerschnipselt und analysiert werden. Noch ist die Methode nicht Teil der Routinediagnostik. Das könnte sich aber schon bald ändern, wenn es nach der LifeCodexx AG, einem Tochterunternehmen der GATC Biotech AG, ginge: Diese verfeinert das Verfahren zurzeit weiter, auch klinische Tests stehen an. Mit der Marktreife rechnet man Ende 2011, spätestens aber Anfang 2012. Ohne Risiko ließe sich dann untersuchen, ob das ungeborene Kind am Down-Syndrom oder an einer weiteren Trisomie leidet – nur eine Blutentnahme müssen die werdenden Mütter über sich ergehen lassen, um Gewissheit in die eine oder andere Richtung zu haben. Kollegen erwarten, dass folglich mehr Tests gemacht würden, und damit stiege auch die Zahl der induzierten Aborte.
Innovation oder Selektion?
Statistisch gesehen treiben 90 Prozent der Patientinnen nach der Diagnose „Down-Syndrom“ ab. Etliche Menschen mit dem Leiden wurden auch nur geboren, weil ihre Mütter sich gegen eine riskante Untersuchung der Plazenta oder des Fruchtwassers entschieden haben. Und so warf Hubert Hüppe (CDU), seines Zeichens Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, dem Bundeministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vor, „Behindertendiskriminierung in der schlimmsten Form“ zu betreiben. Schließlich hatte Annette Schavans Haus die Entwicklung der neuen Diagnostik mit etwa 230.000 Euro gefördert. Hüppe spricht bei der neuen Methode von „Selektion“, von „Rasterfahndung mit dem einzigen Ziel, Menschen mit Behinderung auszusortieren und zu töten“. Und der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johannes Singhammer, forderte das BMBF auf, den Geldhahn schleunigst zuzudrehen.
Jetzt hat sich das derart gescholtene Ministerium gewehrt: „Die Kritik von Herrn Hüppe ist absurd und nimmt zudem eine größere Gefährdung von Mutter und Kind beim derzeitigen Diagnoseverfahren in Kauf“, entgegnete der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel (CDU). Nach seinen Worten sei es „ethisch nicht vertretbar, die Weiterentwicklung einer in Deutschland angewandten Untersuchungsmethode nicht fördern zu wollen, die das ungeborene Leben und die werdende Mutter besser schützen kann.“ Zustimmung erhält Rachel auch vom Berufsverband der Frauenärzte. „Die betroffenen Paare haben selbst ein Gewissen“, so Dr. Werner Harlfinger. Er verwies auf den bereits vorhandenen Anspruch, Untersuchungen wie die Amniozentese durchführen zu lassen. Dennoch könnte die neue molekularbiologische Technik weitaus mehr leisten – Grenzen sind dennoch erforderlich.
Wunschkind nach Maß
Rein wissenschaftlich erlaubt die Sequenzierung der fetalen DNA, auch Eigenschaften wie Haarfarbe oder Augenfarbe nachzuweisen. Kein neues Thema: Vor kurzem hat der Bundestag die Präimplantationsdiagnostik (PID) nach heftigen Debatten legitimiert – in berechtigten Ausnahmefällen, wohlgemerkt. Embryonen, die jedoch auf normalem Wege gezeugt worden sind, lassen sich theoretisch bald weitaus gründlicher untersuchen. Denn kaum ein Experte glaubt ernsthaft, das Diagnoseverfahren von LifeCodexx würde sich auf Trisomien beschränken. Andere Erbkrankheiten, etwa Muskelschwund, Mukoviszidose, Chorea Huntington oder familiäre adenomatöse Polyposis, stehen als nächstes auf dem Wunschzettel der Kollegen. Schließlich folgen Risiken, an Krebs, Alzheimer oder Parkinson zu erkranken bzw. im Alter Herz-Kreislauf-Leiden oder Typ 2-Diabetes zu entwickeln.
Soviel ist sicher: Sind die Techniken verfügbar, werden sie früher oder später auch eingesetzt. Ein klares Bekenntnis der Ärzteschaft wäre hier dringend erforderlich, wie zur PID bereits geschehen: Mit großer Mehrheit stimmten Kollegen für eine Resolution, die eine In-vitro-Befruchtung mit PID in bestimmten Fällen „ethisch weniger problematisch als eine Pränanatdiagnostik mit nachfolgendem Schwangerschaftsabbruch“ einstuft. Der Göttinger Neurobiologe Professor Dr. Gerald Hüther hingegen beruft sich auf Veränderungsprozesse des Organismus und mahnte beim letzten „Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit“: Noch vor wenigen Jahren habe niemand geglaubt, dass Menschen mit Trisomie 21 bildungsfähig seien. Heute machten sie Abitur und könnten studieren.
Neben dem ethischen Dilemma sind auch ökonomische Fragen offen – entsprechende Leistungen zur molekularbiologischen Diagnostik müssen anfangs sicher aus der eigenen Tasche berappt werden. Damit ließ sich die Zahl riskanter Amniozentesen gegen null reduzieren – ein Argument, dass dieser Methode über kurz oder lang ihren Weg in den Katalog der Kassenleistungen ebnen wird.