In Nordamerika steht eine Revolution bevor: Ein einäugiger Filmregisseur möchte sein Kunstauge durch eine bionische Kamera ersetzen. Jetzt sucht er eine Partnerin, die mit einer Beinprothese Paintball spielen möchte, um daraus den Film des Jahrhunderts zu machen.
Dass es Leute gibt, die es gerne haben, wenn andere Leute ihnen beim Vor-sich-hin-leben zusehen, wissen wir spätestens seit es Reality-TV gibt. Mittlerweile hat das Internet das angestaubte Fernsehformat Reality-TV bekanntlich längst überholt: So genannte „Lifecaster“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst jeden Augenblick ihres Lebens oder zumindest eines Lebensabschnitts per Kamera aufzuzeichnen und die Bilder dann ins Netz zu füttern. Das Problem an derartigen Projekten ist, dass die meisten Leben – jedenfalls aus der Perspektive eines Fernsehzuschauers – eigentlich sterbenslangweilig sind, wenn sie auf Echtzeit ausgedehnt werden. Es sei denn, man macht etwas wirklich Ungewöhnliches.
Eyeborg is watching you
Der kanadische Regisseur Rob Spence hat so etwas wirklich Ungewöhnliches vor: Mit 13 Jahren verlor er ein Auge, weil er bei einem Besuch in Irland mit der Waffe seines Großvaters herumgespielt hatte. Seither ist er einseitig erblindet. Als er sich vor einigen Jahren ein Kunstauge einbauen ließ, wollte er nicht allein damit sein und beschloss, einen Film über die Operation zu drehen, den er dann ins Internet stellte. So weit, so alltäglich. Irgendwie war ihm die Prothese aber nicht genug, auch wenn sie kaum von einem echten Auge zu unterscheiden ist. Spence fragte sich, ob er mit seinem Loch im Gesicht nicht etwas Sinnvolleres machen könnte als es nur mit einer Augenattrappe zu füllen.
Als Filmemacher war die Entscheidung rasch gefallen: Spence will der erste Mensch auf Erden werden, bei dem eine Kamera in das Kunstauge eingesetzt wird, die er drahtlos zu jeder beliebigen Zeit bedienen kann und mit der er, wenn er möchte, jeden Schritt seines Lebens aufzeichnen könnte. Es geht ihm dabei nicht um Künstliches Sehen: Die Kamera wird keine Verbindung zu seinen Nervenzellen haben. Spences Ziel ist es viel mehr, ein bionischer Mensch zu werden, der seine Sinne und Fähigkeiten sinnvoll technisch ergänzt – in diesem Fall durch eine winzige Kamera. Den Weg dorthin möchte er in einem Film dokumentieren. Derzeit laufen dazu die Vorbereitungen. Getauft hat Spence das ganze Vorhaben The Eyeborg Project. Um aller Welt zu ermöglichen, seinen Weg zum Eye- oder Cyborg zu begleiten, hat er ein Blog eingerichtet, das nicht nur Informationen, sondern auch eine ganze Menge Bilder und Videos enthält.
Herausforderung Miniaturisierung
Man sollte meinen, eine Kamera in ein Kunstauge einzubauen, sei heutzutage keine besondere Kunst mehr. Immerhin enthalten moderne Handys ja teilweise gleich mehrere Kameras. Doch der Platz in einem Kunstauge ist schon deutlich knapper bemessen als in einem Mobiltelefon, vor allem wenn man berücksichtigt, dass außer der Optik ja auch Energieversorgung und Funkmodul untergebracht werden müssen. Und das, was am Ende rauskommt, soll natürlich weiterhin wie ein Kunstauge aussehen, und nicht wie eine der zahlreichen um eine Kamera erweiterten Brillen, die mittlerweile erhältlich sind. Spence will weder Technik auf der Nase sitzen haben noch sollen Drähte aus dem Gesicht hängen. Die Kamera soll verborgen sein. Um hier voran zu kommen, holt sich der Regisseur Hilfe von Experten wie Professor Steve Mann, Direktor des EyeTab Personal Imaging Labs an der University of Toronto. Er ist ein führender Experte für tragbare Computertechnik, auch wenn er sich eine erstaunlich altbackene Homepage leistet. Wie auch immer, Mann will Spence von technischer Seite unterstützen. Einen Optiker hat er auch an Bord. Demnächst soll zumindest ein erster Prototyp eines mit einer Minikamera gepimpten Auges fertig werden.
Gesucht: Lara Croft mit einem Bein
Nun ist Spence ein Künstler, und als solcher hat er bei seinem ganzen Projekt auch eine Agenda. Es geht ihm nicht um Technik um der Technik willen. Er möchte unter anderem auf die zunehmende Überwachung öffentlicher Räume aufmerksam machen und dadurch, dass er Live-Bilder aus der menschlichsten aller Perspektiven überträgt, ohne dass das von außen erkennbar ist, die Sensibilität für das Thema Überwachung schärfen. Natürlich will er sich auch nicht als klassischer Lifecaster gebärden und jede Minute seines Lebens übertragen. Was ihm vorschwebt, ist ein bewusstes An- und Ausschalten der Kamera, das er dann auch im Rahmen seiner Kunstprojekte darstellt und erläutert.
Was den geplanten Dokumentarfilm zu seinem Projekt angeht, sucht Spence derzeit noch die weibliche Hauptrolle. Offensichtlich lehrt ihn seine Regieerfahrung, dass Filme, in denen schräg veranlagte, einsame Männer merkwürdige Dinge tun, nicht zwangsläufig Publikumsrenner werden. Er will deswegen noch eine Frau an Bord holen, und hat für seine Partnerin ein paar Anforderungen formuliert, die allerdings nicht ganz leicht zu erfüllen sein dürften. Gesucht ist eine Frau, die ein Bein verloren hat und die bereit wäre, sich eine Art Maschinengewehrprothese bauen zu lassen, mit der sie Paintball spielen kann. Das ist dieser Pseudosport, bei dem erwachsene Menschen sich gegenseitig mit Farbbeuteln erschießen, pardon markieren. Eine Kernszene seines Films hat Spence bereits lebhaft vor Augen: Frau Cyborg mit der Paintball-Prothese nimmt eine ganze professionelle Paintball-Mannschaft auseinander, „gefilmt im Robert Rodriguez-Stil“.