Nach zehn Jahren gibt es gegen die Hepatitis C wieder eine neue Therapie: zwei Protease-Hemmer. Sie heilen deutlich mehr Kranke als die Standardmedikamente. Doch auch neue Wirkstoffe sind nie perfekt. Und so arbeiten Forscher längst an weiteren Substanzen.
Peter und Sandra haben eine Erkrankung, die nicht nur als stille Seuche, sondern auch als heimtückisch bezeichnet wird, weil sie viel Jahre unbemerkt bleibt. Peter und Sandra haben Hepatitis C. Sandra hat sich wahrscheinlich an einer infizierten Nadel angesteckt, Peter durch eine mit Hepatitis-C-Viren (HCV) verseuchte Blutkonserve. Seit etwas mehr als 20 Jahre erst ist der durch Blut übertragene Erreger bekannt. Da Blutprodukte inzwischen routinemäßig auch auf HCV getestet werden, ist eine Infektion mit dem RNA-Virus durch verseuchtes Blut heute extrem unwahrscheinlich. Auch eine Übertragung durch ungeschützten Geschlechtsverkehr ist sehr selten. Intravenöser Drogenkonsum, der Gebrauch infizierter Kanülen, ist heute in Deutschland der häufigste Grund für eine HCV-Infektion. Darüber hinaus kann das Virus beim Tätowieren und Piercen übertragen werden.
Eine Krankheit von auch ökonomisch großer Bedeutung
Mehr als zweieinhalb Prozent der Menschheit sind mit HCV infiziert; die WHO spricht von weltweit 130 bis 170 Millionen Betroffenen, jährlich 350.000 Toten und drei bis vier Millionen Neu-Infektionen. In Deutschland ist die Infektion bei rund 500.000 Menschen diagnostiziert worden. Doch wahrscheinlich tragen noch mehr Menschen das Virus in sich, da die Infektion meist asymptomatisch verläuft und oft nicht erkannt wird. 50–90 Prozent der Infizierten entwickeln eine chronische Infektion, der Erreger ist also auch sechs Monate nach der Infektion noch nachweisbar. Gefürchtete Folgen sind eine Leberzirrhose und ein hepatozelluläres Karzinom. Die Infektion kann nicht allein der Leber schaden, sondern auch anderen Organen, etwa den Nieren. Man unterscheidet bei HCV sechs Genotypen. In Deutschland sind knapp zwei Drittel der Patienten mit dem Genotyp 1 infiziert, die übrigen mit den Genotypen 2, 3 und 4. Die bisherige Standardtherapie mit pegyliertem IFN-α und Ribavirin führt jedoch beim in Europa überwiegenden HCV-Genotyp 1 nur in etwa der Hälfte der Fälle zur Heilung - definiert als HCV-Negativität sechs Monate nach Therapieende. Die Behandlung hat darüber hinaus viele Nebenwirkungen. Eine Impfung zur Prophylaxe gibt es nicht. Kommt es zu einer Leberzirrhose und einem Karzinom, ist eine Lebertransplantation notwendig, ein Eingriff, der zwischen 150.000 bis 200.000 Euro kostet. Im vergangenen Jahr erhielten laut Eurotransplant allein in Deutschland knapp 1.200 Menschen eine neue Leber (einschließlich Teilorganen), darunter etwa 300 Hepatitis-C-Kranke. Fast 2.100 Leberkranke stehen auf der Warteliste für ein neues Organ. Allein dadurch schon, von den Kosten einer Chemotherapie ganz abgesehen, gewinnt die Hepatitis C auch enorme gesundheitsökonomische Relevanz.
In Europa bereits auf dem Markt: Boceprevir
Große Hoffnungen setzen Patienten und Ärzte nun auf eine Wirkstoff-Gruppe, die aus der Therapie von HIV-Patienten bekannt ist: auf die Gruppe der so genannten Protease-Hemmer, die durch Blockade eines Schlüsselenzyms - der NS3/4A-Serinprotease - die Virus-Vermehrung unterdrücken. Zwei Protease-Hemmer sind in den USA seit Mai - zur Kombitherapie mit Interferon und Ribavarin - für Patienten mit dem HCV-Genotyp 1 verfügbar: Telaprevir (Incivek) und Boceprevir. In Europa ist bislang Boceprevir (Victrelis®) vom Unternehmen MSD zugelassen. Die Zulassung des Konkurrenz-Präparates wird für den Herbst dieses Jahres erwartet. Eine positive Empfehlung hat der Ausschuss für Humanmedizin (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) im Juli schon ausgesprochen. Telaprevir wird von Tibotec, einem der Janssen-Pharmaunternehmen, in Zusammenarbeit mit Vertex und Mitsubishi Tanabe Pharma entwickelt. In Europa wird das Medikament von Janssen Pharmaceuticals als Incivo™ vermarktet werden. In den USA wird es als Incivek™ vertrieben.
Deutlich verbesserte Heilungschancen
Für beide Wirkstoffe liegen mehrere Phase-III-Studien vor, die alle deutlich verbesserte Heilungsraten bei Patienten mit dem Genotyp 1 belegen. Für das MSD-Präparat sind dies die Zulassungsstudien RESPOND-2 bei erfolglos vorbehandelte Patienten und SPRINT-2 (bislang unbehandelte Patienten). In der SPRINT-2-Studie galten nach der 48-wöchigen Behandlung mit Boceprevir zwei Drittel der Patienten als geheilt. Mit der Standardtherapie gelang dies nur bei 38 Prozent. Ähnliche Ergebnisse wurden bei primär erfolglos behandelten Patienten erreicht. Darüber hinaus wurde die Therapiedauer von 48 Wochen um bis zu 20 Wochen verkürzt. Als stärkster Prädiktor für eine Heilung erwies sich bei den erfolglos vorbehandelten Patienten das so genannte Ansprechen zur Woche 4. Eine retrospektive Analyse beider Studien bestätigte zudem, dass eine Anämie als positiver Vorhersagefaktor für den Therapieerfolg angesehen werden kann. Von entscheidender Bedeutung für den Therapieerfolg ist nach Angaben von Professor Michael R. Kraus, Hepatologe am Kreisklinikum Altötting, dass sich die Patienten an die vorgesehene Behandlungsdauer halten. Weniger relevant sei das Einhalten der Boceprevir-Dosierung. Wie jede wirksame Behandlung hat natürlich auch die Dreifach-Therapie Nebenwirkungen. Die häufigsten Nebenwirkungen in den Studien waren Müdigkeit, Übelkeit, eine Anämie, die bei manchen Patienten die Gabe von EPO erforderlich machte, darüber hinaus Kopfschmerzen und Geschmacksstörungen. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten bei etwa jedem zehnten Patienten auf.
Die positive Beurteilung für Telaprevir durch das CHMP basiert auf den Phase-III-Studien ADVANCE, REALIZE und ILLUMINATE mit über 2.000 bislang unbehandelten sowie bereits behandelten Genotype-1-Patienten. In der ADVANCE-Studie war bei 75 Prozent der bislang unbehandelten Patienten nach dreimonatiger Telaprevir- plus Standardtherapie (Behandlungsdauer maximal 48 Wochen) das Virus nicht mehr nachweisbar; unter Peginterferon plus Ribavarin betrug diese Heilungsrate nur 44 Prozent. Deutlich höhere Heilungsraten wurden mit Telaprevir auch bei primär erfolglos behandelten Patienten erzielt (REALIZE-Studie). Zu den häufigsten Nebenwirkungen unter dem Protease-Hemmer gehörten vor allem Hautausschläge, Anämien, Übelkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Durchfall.
Eine neue Ära in der HCV-Therapie
Mit den beiden Protease-Hemmern habe eine neue Ära in der Therapie von Hepatitis-C-Kranken begonnen, schrieb im März der US-Hepatologe Professor Donald M. Jensen im „New England Journal of Medicine“. Trotz des Fortschritts sind beide Protease-Hemmer aber noch nicht das berühmte „Ei des Kolumbus“. Beide Substanzen sind gegen andere HCV-Genotypen als HCV-1 nur gering wirksam. Die Triple-Therapie erhöht zudem die ohnehin mit 20.000 bis 30.000 Euro nicht gerade billige Standardtherapie noch um einige tausend Euro. Gleichwohl besteht Einigkeit darüber, dass diese Mehrausgaben sich auch ökonomisch lohnen. Das größte Problem dürfte die Tatsache sein, dass das HC-Virus gegen beide Protease-Hemmer resistent werden kann. „Die größte Gefahr der Zukunft liegt im Auftauchen von Viren, die resistent sind“, mahnten etwa 2010 die Infektiologen Dr. Laura Milazzo und Dr. Spinello Antinori von der Universität Mailand im „Lancet“. „Schon jetzt sollte man an das Management der zu erwartenden Resistenzen gegen die neuen Substanzen denken“, schreiben auch die beiden Wissenschaftler der MHH Dr. Ingmar Mederacke und Dr. Thomas von Hahn.
In den Pipelines: Vor allem Hemmstoffe der Vermehrung
Da selbst das Gute bekanntlich noch verbessert werden kann, suchen weltweit Wissenschaftler und Pharmaunternehmen nach weiteren Wirkstoffen gegen HCV. Längst haben auch andere Firmen, etwa BMS sowie Roche und Pharmasset, Anti-HCV-Wirkstoffe in ihren Pipelines. Dabei geht es nicht allein um die Entwicklung weiterer Protease-Hemmer. Gesucht wird auch nach Substanzen, die die Virus-Vermehrung über einen anderen Mechanismus blockieren, und nach Substanzen, die HCV daran hindern, in die Leberzellen zu gelangen. Zu den Wirkstoffen, die die Vermehrung hemmen, zählen etwa Debio 025, ein nicht immunsuppressives Cyclosporin-Analogon, das die Interaktion des Virus mit dem essenziellen zellulären Replikationsfaktor Cyclophilin A blockiert, außerdem Polymerase- und auch so genannte Helicase-Hemmer (etwa Acridon-Derivate). „Eine neue, molekularbiologisch faszinierende therapeutische Zielstruktur ist“ laut Mederacke und von Hahn auch die zelluläre Mikro-RNA 122 (miR-122), ebenfalls ein essenzieller Replikationsfaktor für HCV. Erste tierexperimentelle Erfolge mit chemisch modifizierten Antisense-Oligonukleotiden gegen miR-122 seien bereits erzielt worden.
Grüner Tee - ein Trank, der auch gegen HCV etwas in sich hat
Ein anderer Wirkmechanismus als die Hemmung der Virus-Replikation ist, das Virus am Zelleintritt zu hindern. Hier haben vor kürzlich deutsche Forscher über Erfolge mit Epigallocatechin-3-gallat (EGCG), berichtet, einem bekannten Inhaltsstoff von Grünem Tee. Von dem Phenol ist bereits bekannt, dass es gegen Entzündungen, Arthritiden und Arthrose wirkt, außerdem bei Krebserkrankungen, Bluthochdruck, gegen HIV und auch gegen die mitochondriale Dysfunktion bei Morbus Alzheimer. Nun hat ein Team um Dr. Sandra Ciesek (MHH) und Dr. Eike Steinmann ( „Twincore Center for Experimental and Clinical Infection Research“) herausgefunden, dass EGCG das Virus daran hindert, sich an humane Leberzellen zu heften und in die Zellen einzudringen. Das Phenol wirke also schon sehr früh im Infektionsgeschehen - unabhängig von Virus-Genotyp, berichten die Forscher in „Hepatology“. Das Phenol ist übrigens nur ein Wirkstoff unter vielen, von dem beschrieben wurde, dass er den Eintritt des Virus in die Zelle verhindert. Weitere Substanzen sind etwa Haloperidol, Fluphenazin und Doxepin „Genetic Vaccines and Therapy“ und „PNAS“). Aber: „Für alle genannten neuen Wirkstoffe müssen zunächst weitere Studienergebnisse abgewartet werden, da die Vergangenheit – im Bereich der Hepatitis C wie auch in anderen therapeutischen Bereichen – eindrücklich gezeigt hat, dass die meisten vielversprechenden Substanzen auf dem Weg zur Zulassung aus verschiedenen Gründen (z. B. Nebenwirkungen, Toxizität, Ineffektivität, Unwirtschaftlichkeit) gestoppt werden“, erinnern Mederacke und von Hahn.
Dies gilt selbstverständlich auch für Impfstoffe. Trotz aller Schwierigkeiten, einen Impfstoff zu entwickeln, wird jedoch auch die Hoffnung auf eine Prophylaxe der Hepatitis C nicht aufgegeben. Über vorläufige Erfolge im Tierversuch haben kürzlich französische Wissenschaftler in „Science Translational Medicine“ berichtet. Klinische Studien mit der Vakzine vom Pariser Start-up-Unternehmen Epixis sollen 2012 beginnen. Die französische Biotech-Firma Transgene und das Wiener Biotech-Unternehmen Intercell testen sogar therapeutische Vakzine. Benötigt wird jedoch eher ein preiswerter Impfstoff zur Prophylaxe, vor allem in den armen Ländern Afrikas und Asiens. Sicher preiswerter als die Pharmakotherapie dürfte eine Prophylaxe sein, an der in Hannover der Hepatitis-C-Forscher Eike Steinmann arbeitet. Steinmann sucht unter anderem nach Methoden, das HCV durch Desinfektionsmittel unschädlich zu machen.