In den USA hat eine Revolution begonnen: Seit einigen Jahren verbreiten sich dort sogenannte „walk-in medical clinics“. Sie übernehmen die kostengünstige Behandlung von trivialen Erkrankungen und machen Ärzten Konkurrenz. Wann kommt die Revolution in Deutschland an?
1948 - Fastfood erblickt das Licht der Welt. Die McDonald-Brüder entwickeln eine innovative und rationelle Art der Hamburger-Zubereitung. Das Resultat: auf der ganzen Welt die selbe Qualität, der gleiche Geschmack. Heute werden in den USA Diagnostik und Behandlung optimiert, standardisiert und von nicht-ärztlichem Personal kostengünstig angeboten. Das ist keine medizinische Fähigkeit. Das ist die Geburtsstunde der Fastfood-Medizin.
Billige Behandlungen jederzeit
„Walk-in medical clinics“ stellen ein neues Modell der schnellen Patientenversorgung dar. In Apotheken- und großen Einkaufszentren plaziert, benötigt man bei diesen Kliniken keinen Termin. Sie sind an Wochenenden und am Abend geöffnet. Ihr Angebot ist auf Impfen, die Behandlung leichter Erkrankungen, wie akute Halsschmerzen oder Ohrenentzündung, und die Nachsorge chronischer Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und hohe Cholesterinwerte beschränkt. Vor allem aber sind die Kosten über die Hälfte niedriger als bei einem normalen Arzt. Alle diese Leistungen werden durch Pflegespezialisten erbracht.
Pflegespezialisten (Nurse Practitioner) in den USA sind Krankenpfleger oder Krankenschwestern, die zusätzlich über Expertenwissen und klinische Kompetenzen für eine erweiterte Praxis verfügen. Das Gros der Patienten in den USA, die eine dieser Kliniken besuchen, sind jung (zwischen 18 und 44 Jahren), ohne Versicherung und haben keinen eigenen Hausarzt. Zur Zeit gibt es über 1000 „walk-in medical clinics“ in den USA und diese Zahlen steigen stetig. Umfragen zeigen, dass in der Zukunft ungefähr 19% der Patienten eher eine dieser Kleinstkliniken als ihren Hausarzt oder die Notaufnahme besuchen würden.
Die erste dieser Kliniken wurde im Jahre 2000 eröffnet und war sofort Gegenstand großer Diskussionen. „Walk-in medical clinics“ behaupten, dass sie eine preisgünstige und vor allem durch hohe Qualität gekennzeichnete Hilfe anbieten. Diese Kliniken sind davon überzeugt, kein neues Gesundheitssystem zu schaffen, sondern sich in das aktuelle zu fügen. „Es gibt klare, klinische Vorschriften, wann man sich an einen Arzt oder eine Notaufnahme wendet“, sagt Web Golinkin, CEO der RediClinic Kleinstkliniken-Kette. Obwohl sie nur kleine Gewinne mit den Behandlungen machen können, arbeiten die Kliniken in der Regel trotzem zur Qualitätssicherung unter der Aufsicht eines Arztes. Außerdem halten sie sich an klinische Richtlinien und Empfehlungen, so dass die die Versorgung, die einem in New York zuteil wird, möglichst die gleiche ist wie in Florida.
Ärzte äußern Bedenken
Trotzdem haben einige Ärzteorganisationen, darunter die American Medical Association und die American Academy of Pediatrics, Bedenken zu der tatsächlichen Qualität geäußert: Durch die Platzierung in Apotheken kann es zu einer übermäßigen Verschreibung von Medikamenten kommen. Weiterhin könnte der Besuch einer dieser „walk-in medical clinics“ bei unvorhergesehenen Komplikationen zu erhöhten Gesundheitskosten führen. Da es keine dauerhafte Betreuung, wie bei einem Hausarzt, gibt, ist es schwerer, präventiv tätig zu werden. 1948 wurden noch die Erfolge des Fastfood-Essens gefeiert, die heute zum Teil so gefürchtet sind, dass politische Maßnahmen und Kampagnen den Schaden nur noch begrenzen können. Fastfood-Medizin dagegen könnte einen noch größeren Schaden anrichten.
Diesen berechtigten Befürchtungen stehen aktuelle Untersuchungen gegenüber: In einer Studie aus dem Jahre 2009 mit 2100 Probanden konnte gezeigt werden, dass es keinen sichtbaren Unterschied zu niedergelassenen Ärzten bei der Qualität der Versorgung gibt. Fraglich dabei ist: Sind diese Kliniken tatsächlich gut oder die niedergelassen Ärzte einfach nur schlecht?
Vorteile für Deutschland?
Kommt die Revolution Fastfood-Medizin trotzem auch in Deutschland an? Bisher gibt es in Deutschland keine ähnlichen Angebote. Sowohl die Diagnosenstellung, als auch die medikamentöse Therapie ist monopolartig in ärztlicher Hand. Dabei könnte eine Änderung hier tatsächlich Vorteile bringen: Gerade überlastete Hausärzte könnten von dieser Entwicklung profitieren, da Patienten mit einfachen Erkrankung, für die der klinische Blick reicht, nur noch selten vorstellig werden würden. Weiterhin könnte es zu geringen Einsparungen im Gesundheitssystem kommen, durch günstigere Arbeitskräfte. Doch dies sollte nicht der entscheidende Grund sein!
Diesen mageren Pros stehen zahlreiche Contras gegenüber. In Deutschland gibt es derzeit noch keine äquivalente Ausbildung zum Pflegespezialisten. Weiterhin sichern Interessenverbände, dass die historisch freie Ausübung der Heilkunde approbierten Ärzten vorbehalten bleibt. Dies verhindert zwar den schnellen Fortschritt, sorgt aber für einen hohen qualitativen Standard, um den es gerade im Gesundheitssystem gehen sollte. Zu guter Letzt fehlt in Deutschland auch die nötige Infrastruktur, wie große Apotheken oder Apotheken in Supermarktketten, die häufiger Anbieter der „walk-in medical clinics“ in den USA sind.
Fazit
Revolutionen können alles verändern, aber sie benötigen trotzdem einen Boden, auf dem sie entstehen können. Eine Entwicklung in Deutschland zu Fastfood-Medizin ist, zumindest im Moment, höchst unwahrscheinlich. Was bleibt ist die Frage, ob Deutschland nun eine Weiterentwicklung verpasst oder unfreiwillig zur Erhaltung der Qualität im Gesundheitssystem beiträgt.