Die Transkutane Elektrische Nervenstimulation ist ein „spannende“ adjuvante Therapie bei Schmerzzuständen. Für viele Indikationen existieren Studien. Nicht für alle Schmerzarten ist die Datenlage evident, aber für viele.
Das Prinzip der Transkutanen Elektrischen Nervenstimulation basiert auf der Gegenirritation. TENS-Geräte arbeiten als Tongeneratoren. Statt eines Lautsprechers werden elektrisch leitfähige Elektroden auf die Haut gedrückt oder geklebt. Mit "höheren Frequenzen" werden die höheren Töne generiert. Die niedrigeren Frequenzen entsprechend den tiefen Tönen. Die verursachten Empfindungen unterhalb der Elektroden, im Gewebe oder im Muskel, sind der Tonhöhe angemessen: Hohe Töne verursachen ein schnelles Zucken oder Kribbeln, tiefe Töne ein intensives, langsames Zucken oder sattes Klopfen.
Die hohen Frequenzen finden bei der TENS-Behandlung Anwendung, die sich auf die Linderung von Schmerzen konzentriert. Die mittleren bis tiefen Frequenzen werden in der EMS (Elektrische Muskelstimulation) zum Aufbau und zur Regeneration von Muskelgruppen angewendet.
Tor zu, Schmerz draußen
In den 1960er Jahren entwickelten die Wissenschaftler Ronald Melzack und Patrick D. Wal die "Gate-Control-Theory" des Schmerzes. Diese geht von der Existenz von "Schmerz-Toren" aus, die unter bestimmten Umständen ein Schmerzempfinden zum Gehirn weiterleiten, aber auch blockieren können. Kerngedanke der Theorie ist es, dass die dicken Nervenfasern die Schmerz-Tore schließen, während die dünneren Nervenfasern sie öffnen.
Ohne Stimulation verhalten sich die dünnen und dicken Fasern reaktionslos und das „Tor“, die sogenannten inhibitorischen Interneurone, blockieren das Signal. Es kann nicht zur mit dem Gehirn verbundenen Projektionsnervenfaser geleitet werden. Die Folge des „geschlossenen Tores ist das Ausbleiben einer Schmerzempfindung. Bei einer nicht-schmerzhaften Stimulation (z.B. Tastreiz) wird das Signal über die dicken Nervenfasern weitergeleitet und das Tor geschlossen. Bei schmerzhaften Signalen erfolgt die Signalweiterleitung über die dünnen Nervenfasern. Das Schmerztor wird geöffnet und das Signal gelangt bis zum Gehirn, Schmerz wird wahrgenommen. Die TENS-Anwendung stimuliert die dicken A-Nervenfasern, „schließt das Tor“ und lindert so Schmerzen. Vermutlich führt TENS, indes genau wie Akupunktur, zu einer Freisetzung von Endorphinen. Je nach Erkrankung berichten 30-75 Prozent der Patienten von einer Besserung.
Die 4 TENS-Arten
Konventioneller TENS Am bekanntesten zur Schmerzlinderung ist die konventionelle TENS, auch High Frequency Low Intensity TENS, oder einfach Hi-TENS genannt. Bei dieser TENS-Anwendung werden Frequenzen zwischen etwa 40 bis 150 Hz und Impulsen mit einer Dauer zwischen 10 und 150 µs verwendet, die zu kurz sind, um schmerzleitende A-delta und C-Fasern zu reizen. Die Intensität wird so eingestellt, dass der Patient ein leichtes bis mäßiges Kribbeln im schmerzhaften Gebiet verspürt, die Behandlung kann, falls notwendig, stundenlang durchgeführt werden.
Die Elektroden werden meistens nach der „Davoser-Methode“ platziert: Da-wos weh tut. Dies nennt man auch die regionale Anwendung. Außerdem können die Elektroden auf Triggerpunkten oder Akupunkturpunkten platziert werden. Bei Phantomschmerzen wird die kontralaterale Seite behandelt. Ziel der Anwendung ist die schmerzfreie Aktivierung segmentaler und wahrscheinlich deszendierender Schmerzhemmungsmechanismen wie Melzack und Wall diese 1965 beschrieben haben. Eine Schmerzlinderung sollte sofort eintreten und hält in der Regel so lange an, wie der Strom fließt.
Low TENS Die Low Frequency High Intensity TENS hat ihre Wurzeln in der Elektro-Akupunktur. Ziel ist es, mit langen Impulsen A-delta und C-Fasern zu reizen und dadurch eine segmentale, deszendierende und zentrale Schmerzhemmung zu aktivieren. Dies gelingt am besten, wenn man in den Muskeln in denen die Schmerzen entstehen, Kontraktionen auslöst.
Dazu werden bei Frequenzen zwischen 2 bis 4 Hz Einzelimpulsen mit einer Phasendauer zwischen 200 und 400 µs verwendet. Die Intensität wird so eingestellt, dass mehr oder weniger deutliche Kontraktionen in den relevanten Muskeln ausgelöst werden. Dazu werden bei dieser Anwendung die Elektroden am besten auf die entsprechenden motorischen Punkten oder Nervenreizpunkten platziert. Die Methode ist recht intensiv, wegen der Beta-Endorphin-Ausschüttung aber auch sehr effektiv. Eine Schmerzlinderung tritt erst nach etwa 20 Minuten Behandlungsdauer ein, deshalb sollte eine Low-TENS Anwendung nicht weniger als 30 bis maximal 45 Minuten dauern. Eine Schmerzlinderung kann stunden- bis tagenlang andauern.
Bei Patienten in einer chronischen Stresssituation, bei denen das vegetative Nervensystem ergotrop ausgerichtet ist, ist diese Methode kontraindiziert. Das Nervensystem dieser Patienten arbeitet nicht differenziert und jede Reizung dieser Fasern kann eine weitere Zunahme der Stressreaktion bewirken.
Burst-TENS Weil die verwendeten Einzelimpulse von manchen Patienten als unangenehm empfunden wurden, haben Eriksson und Sjölund 1976 den Burst-TENS entwickelt. Bei dieser Anwendung werden die Muskelkontraktionen nicht durch Einzelimpulsen sondern durch tetanisierenden Impulssalven (Bursts) ausgelöst. Manche, aber bestimmt nicht alle Patienten, empfinden dies als angenehmer. Wie bei der Low-TENS wird die Schmerzhemmung durch Naloxone-Gabe aufgehoben, eine Beta-Endorphin Beteiligung ist also sehr wahrscheinlich.
Opiatresistenz gleich Stromresistenz
Patienten, die nicht auf Opiate wie Tramadol ansprechen, werden nicht oder nur wenig vom Low- und Burst-TENS profitieren. Die für die Schmerzhemmung verantwortlichen Endorphine und das Tramadol docken an die gleichen µ-Opioidrezeptoren an. Wenn diese Rezeptoren, wie es bei neuropathischen Schmerzen vorkommen kann, vermindert exprimiert werden, ist die Methode weniger wirksam oder sogar wirkungslos. Bei Schmerzpatienten, die ohne Erfolg mit Antidepressiva aus der Kategorie der Selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmer (SSRI) behandelt wurden, kann die Wirkung des Low- und Burst-TENS ebenso enttäuschen. Der Grund hierfür ist, dass die deszendierende Schmerzhemmung teilweise von der Serotonin-Produktion abhängt. Ist diese gestört, steht dieses Hemmsystem nicht oder nur reduziert zur Verfügung. Bei diesen und bei den oben erwähnten Patienten kann dennoch der Einsatz der High Frequency-Low Intensity TENS zum Erfolg führen.
Hifi-TENS Die High Frequency High Intensitiy TENS ist eine sehr intensive, kurz wirkende TENS-Anwendung , die in der Sportphysiotherapie und zum Beispiel in der Triggerpunkttherapie ihre Anwendung findet. Die Wirkung basiert wahrscheinlich auf einer Hemmung der Leitungsmechanismen der Membran des den betreffenden Areal innervierenden Nerven. Es werden Frequenzen zwischen 60 und 100 Hz verwendet und Phasendauern zwischen 100 bis 300 µs. Die Intensität liegt bei der Schmerztoleranzgrenze oder gar deutlich darüber. Die Elektroden werden über dem den schmerzhaften Gebiet enervierenden Nerv platziert oder, bei der Triggerpunktbehandlung, direkt auf dem entsprechenden Punkt. Die Behandlung dauert etwa 15 Minuten, eine Schmerzlinderung hält etwa ebenso lange an.
Mögliche Indikationen für TENS
Gut bei Nacken-Knacken
Eine spanische, randomisierte Studie von Escortell-Mayor et al. wies nach, dass TENS und Manuelle Therapie bei Nackenschmerzen vergleichbar wirksam sind. Ein halbes Jahr später waren die Effekte jedoch nur noch bei einem Drittel der Probanden feststellbar.
Besser bei Neuropathie
Die Nationalen Versorgungsleitlinien zur Diabetischen Neuropathie gehen ausführlich auf TENS ein. In einer einfach verblindeten, placebokontrollierten, randomisierten Studie von Kumar et al. wurde eine signifikant bessere Schmerzreduktion unter TENS im Vergleich zu einer Scheinbehandlung bei 23 Patienten mit schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie dokumentiert.
Eine systematische Literaturrecherche bis 2009 identifizierte zwei klinische Studien zur hochfrequenten Muskelstimulation (HTEMS) bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie. In allen Studien wurde eine Verbesserung der Schmerzsymptomatik dokumentiert. Die Kommission der Versorgungsleitlinien betont jedoch auch, dass die Patientenzahlen einiger Studien zu gering sind, um eine endgültige Beurteilung treffen zu können.
In einer Anwendungsbeobachtung des Westdeutschen Diabetes und Gesundheitszentrums WDGZ (Prof. Dr. Stephan Martin) im Jahr 2007 erhielten 414 Diabetespatienten ein TENS-Heimgerät für die Behandlung zuhause. Bei 88,4 Prozent besserten sich die polyneuropathischen Beschwerden, dadurch wurden ebenfalls Schlafstörungen gelindert.
Bei Kindern Gute Ergebnisse
Nach den Empfehlungen des „Arbeitskreises Schmerztherapie bei Kindern der DGSS“ für Therapeuten wird TENS bei einigen Kopfschmerzarten für sinnvoll angesehen. Die Effektivität der TENS wird bei Spannungskopfschmerzen höher als bei der Migräne gewertet. Der Vorteil der Methode liegt vor allem in der Langzeitanwendung bei Kombinationskopfschmerzen, wobei die Unabhängigkeit vom Therapeuten (und von Medikamenten) im Sinn einer verbesserten Selbstkontrollüberzeugung und Emanzipation des Kindes zu verstehen ist. Eine Reduktion von mindestens 50% der Anfälle kann bei den Spannungskopfschmerzen nach 1-3 Monate bei ca. 4/5 der Kinder erwartet werden, eine Studie von Pothman.
Bei Rückenschmerzen kontroverse Ergebnisse
Eine Arbeitsgruppe der American Academy of Neurology ist der Auffassung, dass TENS nicht ausreichend in der Lage ist, chronische Rückenschmerzen zu lindern. Bei neuropathischen Schmerzen sei die Datenlage besser, so die Arbeitsgruppe um Richard Dubinsky vom Kansas University Medical Center. Als Nebenwirkung einer TENS-Behandlung treten manchmal unter den Elektroden leichte Hautirritationen auf, die nach einer mehrtägigen Pause normalerweise verschwinden. Manche Patienten reagieren allergisch auf bestimmte Klebelektroden. An Geräten für die Heimbehandlung sollte man Phasendauer, Phasenintervall und Burst-Frequenzen einstellen können, wodurch eine Vielzahl Programmvarianten zur Verfügung steht.