Wenn sich Studien mit vielen Teilnehmern über Jahre hinziehen, kostet das die Firmen ein Vermögen. Arzneimitteltests nach dem Drei-Stufen-Modell nehmen vielen die Lust am Mitmachen. In den Labors entstehen Modelle, Wirkstoffe in der Klinik zu testen.
Die Bilanz des „National Cancer Institute“ (NCI) der USA ist erschütternd: Zwei von fünf klinischen Studien scheitern vor ihrem vorbestimmten Ende. Für einen Teil der rund 25.000 betroffenen Patienten, 3.100 Versorgungseinrichtungen und 14.000 beteiligten Forscher des NCI ist der ganze Aufwand eines Therapie-Tests vergebens. Allein die finanziellen Schäden, die dabei entstehen, werden von Jahr zu Jahr immer größer.
Klassische Studien: Zeitaufwand steigt, Motivation sinkt
Die Probleme betreffen dabei nicht nur die Studien, die mit öffentlichen Geldern gesponsert werden, sondern auch Wirkstoff-Tests der Arzneimittelindustrie. Mehr als 90 Prozent aller Studien beginnen später als geplant. Die Gründe sind vielfältig: Durchschnittlich vergehen drei Jahre vom ersten Konzept der Studie bis zur Genehmigung des Protokolls durch die Zulassungsbehörden. Neue Wirkstoffe sind im Zeitalter der personalisierten Medizin immer mehr auf eingegrenzte Patientengruppen zugeschnitten. Das macht es aber besonders bei eher seltenen Krankheiten recht schwer, genug Teilnehmer für die Studie zu rekrutieren. Viel Arbeit gegen eine sehr mäßige Aufwandserstattung - kein Wunder, dass in den USA weniger als 15 Prozent der Ärzte an klinischen Studien teilnehmen. Die vermeintlichen wissenschaftlichen Lorbeeren überlassen sie lieber jüngeren und ehrgeizigeren Kollegen. Die aber haben noch weitaus größere Probleme, geeignete Patienten aufzutreiben.
Auch in Deutschland ist die Motivation für die Teilnahme an Studien immer weiter abnehmend, wie DocCheck vor einiger Zeit anhand eines Beispiels demonstrierte. Wegen der steigenden Anforderungen der Zulassungsbehörden an Sicherheit und Effektivität eines neuen Wirkstoffs müssen die Beteiligten auch länger als früher auf ihre Ergebnisse warten. Im Vergleich zwischen 1999 und 2006 nahm die durchschnittliche Dauer einer Studie um rund 70 Prozent zu und dauerte schon vor fünf Jahren mehr als 25 Monate vom Start bis zum Schließen der Datenbank. Von inzwischen etwa einer Milliarde Dollar Aufwand für einen neuen Erfolgsbringer der Pharmaindustrie entfallen rund 400 Millionen auf die klinischen Studien.
Alternative: Adaptive Design
Das dreistufige System der klinischen Prüfung, das über Jahrzehnte hinweg funktioniert hat, rechtfertigt den enormen Aufwand vor der Zulassung anscheinend nicht mehr. Formal ist für die Zulassungsbehörden in Amerika und Europa ein bestimmter Weg der Arzneimittel-Überprüfung nicht vorgeschrieben. Daher hat die amerikanischen Zulassungsbehörde FDA schon 2004 eine „Critical Path Initiative“ gestartet, um die aufwändige und überlange Test-Prozedur zu reformieren. Schon seit den Achtziger-Jahren des letzten Jahrhunderts taucht immer wieder der Name „Adaptive Clinical Trial“ auf, wenn von einem neuen Studiendesign die Rede ist.
Die Entwickler haben dabei im Prinzip eine lange und umfangreiche Studie in einzelne Teilstudien aufgeteilt, die aufeinander folgen und einzeln ausgewertet werden und sich nicht gegenseitig beeinflussen. Entsprechend den (Zwischen-)Ergebnissen der Teilstudie verändert sich dann das Design der darauf folgenden Sequenz. Deuten etwa die Daten bei einer Studie mit mehreren Testkombinationen darauf hin, dass ein bestimmter Wirkstoff aller Wahrscheinlichkeit nicht effektiv ist, können die Planer die Teilnehmerzahl verringern oder diesen Arm ganz fallenlassen. Diese Strategie ermöglicht es damit, die Studie flexibel an ein wahrscheinliches Endergebnis anzupassen und dabei keine unnötigen Ressourcen an Mensch und Kapital zu vergeuden. Um aber der Verdacht einer Manipulation auszuschließen, müssen die entsprechenden Veränderungen schon beim Start der Studie eingeplant sein.
Biomarker: Schlüssel zum Studienerfolg?
Ein vom Pharmaunternehmen Wyeth verfolgter Ansatz heißt „Learn and Confirm“, eine zweistufige Alternative zu den klassischen Testphasen I bis III. Nahezu gleichzeitig arbeiten dabei ein Forscherteam („Learn“) an der klinischen Entwicklung des Arzneimittelkandidaten, entsprechend den Phasen I und II, während das Praxisteam („Confirm“) die Entwicklung bis zur Zulassung weiterbetreibt - oder auch frühzeitig abbricht. Zumindest über den Faktor „Zeit“ kann sich damit das Unternehmen Kosten sparen.
Für die Entwickler neuer Medikamente geht der Weg kaum mehr an der modernen Diagnostik vorbei. Biomarker charakterisieren die Phasen einer Erkrankung oder weisen auf Patienten-Subgruppen mit abweichenden Therapiemöglichkeiten hin. Sie verkleinern zwar die Zahl der möglichen Teilnehmer für die Studie, erhöhen aber die Erfolgsaussichten. Dementsprechend investieren Unternehmen sehr viel in die präklinische Forschung mit Biomarkern, die die Einsatzmöglichkeiten abgrenzen oder Auskunft über die Wirkung des Arzneimittel-Kandidaten geben. Ziel ist das Medikament, das nicht für alle geeignet ist, aber einem kleinerem Patientenkreis wirklich hilft.
Immer öfter vertrauen Firmen auch auf externe Expertise oder lagern ihren Studienbetrieb ganz aus. Berater mit guten Kontakten zu großen Kliniken und erfahrenen und willigen Ärzten sind gefragter als je zuvor. Denn eine wirklich gute Studie ist auch eine, die nicht alle denkbaren Parameter abfragt, nur um im Bedarfsfall die Zulassungsbehörde zu beeindrucken. In den letzten 15 Jahren hat die Zahl der Aktionen am Patienten für entsprechende Daten um mehr als die Hälfte zugenommen, von durchschnittlich 96 auf mehr als 160. Viele davon sind unnötig.
Ergebnisse „Just in Time“
Aber auch die neuen Studiendesigns haben ihre Tücken, wie Karl Wegscheider vom Kompetenznetz Vorhofflimmern schon vor längerer Zeit auf einem Kardiologenkongress erläuterte. Zwischenanalysen beim adaptiven Design müssten „just in time“ vorliegen, also möglichst schnell ausgewertet werden und zu einer schnellen Entscheidung über die Fortsetzung der Studie führen. Oft geht das zu Lasten der Diagnosesicherheit und erfordert viel Personal, um die Studie und die Ärzte zu betreuen. Etwas, was in der Praxis nicht immer funktioniert. „Die kleinstmögliche Studiendauer kann nicht das Ziel sein“, sagt Wegscheider.
Wichtige Utensilien zukünftiger erfolgreicher Studiendesigns wären damit der Papierkorb für überflüssige bürokratische Anforderungen und die Datensammelwut für die strengen Anforderungen der Zulassungsbehörde. Vor allem aber die Motivation für Ärzte und Patienten, sich aktiv an der Entwicklung zukünftiger Heilmittel zu beteiligen.