Neuropsychobiologische Daten der Stressforschung liefern neue Einblicke in die Ursachen von Burnout: Bei der ätiologischen Spurensuche finden sich eindeutige Indizien dafür, dass die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse eine Schlüsselrolle spielt.
Eigentlich ist es ja gar nicht existent: in den gängigen medizinischen Klassifikationssystemen des ICD 10 und DSM IV sucht man das Burnout-Syndrom vergeblich. Doch was "es bislang diagnostisch nicht gibt", hat sich laut Prof. Dr. Wolf-Dieter Gerber, Direktor des Instituts für medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie des Uniklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel, in den letzten Jahren zu einer Volkskrankheit entwickelt: "Fast dreißig Prozent der Bevölkerung leiden unter Erschöpfungszuständen, die bei vielen der Betroffenen zum Verlust ihrer Berufs- und Arbeitsfähigkeit führen". Neben dem medizinischen Psychologen und Soziologen aus Kiel konstatieren zahlreiche weitere Experten einen regelrechten Burnout-Alarm.
Hyperaktivität der HHNA
Hinter Burnout, dem "Infarkt der Seele", sah man zunächst überwiegend berufliche Belastungsfaktoren, so Prof. Gerber. Besonders in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden berufliche Gratifikationskrisen und hohe berufliche Anforderungen als wesentliche Ursachen verantwortlich gemacht. Erst seit kurzem rücken neuropsychobiologische Aspekte in den Fokus der Ursachenklärung. Jüngste Befunde aus der Stressforschung zeigen nach den Worten von Prof. Gerber, dass die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde-Achse einen wichtigen ätiopathogenetischen Faktor darstellt: Dieser zweiten hormonellen Stressachse, kurz HHNA, wird bei der Entstehung des Burnout-Syndroms eine wesentliche Bedeutung zugesprochen. Das neuroendokrine Steuerungs- und Rückkopplungssystem moduliert die Effekte von Stress, indem es für die bedarfsgerechte Produktion und Freisetzung von Steroidhormonen aus der Nebennierenrinde sorgt. Dauerhafte Stressexposition lässt die Regulation der hormonellen Stressreaktion jedoch entgleisen. Chronischer Stress führt laut Prof. Gerber "zur deutlichen Erhöhung der Aktivität der HHNA und steigert auch deren Sensitivität, was weitreichende Folgen hat".
Schädliche Prozesse bereits im Mutterleib
Die Hyperaktivität der neuroendokrinen Stressachse und die in Folge gestörte Homöostase der Stresshormone versetzen Betroffene in einen anhaltenden Alarmzustand. Dieser führt zu einem langfristig erhöhten Kortisolniveau und seinen zahlreichen negativen Effekten wie allen voran Immunsuppression, Abbau von Muskel- und Knochengewebe sowie erhöhtem Blutzuckerspiegel. Außerdem wirken sich Störungen im Regulationsmechanismus der HHNA auch direkt im zentralen Nervensystem aus. Insofern ist Burnout laut Prof. Gerber eine "Stresserkrankung mit zentral-nervösen Konsequenzen". So zeigte sich unter anderem in PET- und MRT-Untersuchungen, dass bei Burnout-Patienten die Aktivität der Amygdala erhöht ist. Darüber hinaus reduziert sich das Volumen des Hippocampus.
Diese schädlichen Prozesse können bereits im Mutterleib einsetzen, wie erstmals 1989 durch den britischen Wissenschaftler Dr. David Barker nachgewiesen wurde. Die Barker-Theorie der so genannten fetalen Programmierung gilt auch für die Auswirkungen von Stress. Pränataler mütterlicher Stress beeinflusst das Gehirn des Ungeborenen: Im Zuge des "fetal programming" steigern sich Aktivität und Sensibilität der HHNA. Damit kann ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen im späteren Leben vorprogrammiert werden, so Prof. Gerber. Der Weg zu einer erhöhten Prädisposition für Burnout wird also schon vor der Geburt geebnet.
Die Stressantwort liegt auch in den Genen
Wie stark die neuroendokrine Stressachse auf einen Stressreiz reagiert, ist individuell sehr unterschiedlich. Vor diesem Hintergrund werden nach den Worten von Prof. Gerber gegenwärtig "auch genetische Faktoren diskutiert, welche die Reagibilität der HHNA determinieren". Diesen Ansätzen zu Folge beeinflussen Genpolymorphismen die Reaktivität der Stressachse. Mit anderen Worten: die Stärke und Regulationsfähigkeit der neuroendokrinen Stressantwort ist auch genetisch bedingt. Dies wurde beispielsweise für eine weitverbreiteten Variante des Gens nachgewiesen, dass den Mineralokortikoidrezeptor (MR) codiert. Bei Trägern dieses MR180V-Allels fällt die neuroendokrine Antwort auf einen Stressor signifikant stärker aus, als bei jenen, die diese Genvariante nicht besitzen. Daneben fand sich auch für einen Polymorphismus im BDNF-Gen, Val66Met, ein direkter Einfluss auf die Reaktivität der HHNA.
Der BDNF, kurz für Brain Derived Neurotrophic Factor, bestimmt maßgeblich die synaptische Plastizität von Neuronen. Derartige "Stress-Gene" – Genpolymorphismen, die auf die Stressantwort einwirken – finden sich laut Prof. Gerber bei dreißig Prozent der Bevölkerung. Die überwiegende Mehrheit von ihnen, etwa siebzig Prozent, sind dabei Frauen. Diese Gene müssen nicht zwangsläufig negative Auswirkungen haben – solange die Bewältigung von Stress, das so genannte Coping, funktioniert. Versagt dieses, können die Stress-Gene dann allerdings bereits bei geringen Belastungen "angeschaltet" werden.