Bei Karies hilft Kollegen eine exakte Diagnostik, um möglichst zahnerhaltend intervenieren zu können. Röntgentechniken stoßen hier teilweise an ihre Grenzen. Kommt schon bald die Magnetresonanztomographie an den Behandlungsstuhl?
Rund neun von zehn Menschen sind laut Forschern des Robert Koch-Instituts von Karies betroffen. Ohne die klassische Untersuchung läuft momentan nichts: Kollegen tasten auf der Suche nach kariösen Defekten mit einer Sonde auffällige Strukturen ab. Ist das Dentin erweicht, besteht Handlungsbedarf. Bei unklarer Beweislage hingegen gilt das gute alte Röntgen immer noch als Standard, etwa in Form von Bissflügel- oder Einzelzahnaufnahmen. Auf den Bildern erscheinen Defekte als dunkle Stellen: Die Röntgenstrahlung wird von entmineralisierten Bereichen schwächer absorbiert als von gesunden Strukturen, und schwärzt den Film stärker bzw. wird bei digitalen Geräten vom Detektor in ein entsprechendes Signal umgewandelt.
Rätsel im Röntgenbild
Dennoch ist die Methode nicht ohne Tücken. Kleinere Stellen können leicht übersehen werden. Und verbauten Kollegen bei früheren Behandlungen Gold oder Amalgam, entsteht so oder so eine Schwärzung der Aufnahme. Das Metall schluckt nämlich aufgrund seiner hohen Dichte die Röntgenstrahlung. Und wie es darunter aussieht, erfährt dann niemand. Auch lässt sich die Ausdehnung von Dentinkaries nicht korrekt darstellen. Studien haben gezeigt, dass die tatsächlichen Schäden meist deutlich größer sind. Das liegt ebenfalls an der Physik: Nur Bereiche, die bereits stark entmineralisiert wurden, fallen auf. Ein weiteres Manko: Aus den Daten entstehen allenfalls zweidimensionale Abbildungen des Geschehens, problematisch bei komplizierteren Fällen.
Karies im Kernspin
Doch es gibt Hoffnung, denn mittlerweile kommen auch in der Zahnheilkunde neue Techniken ins Spiel. Die Magnetresonanztomographie (MRT) etwa ist aus der Diagnostik rund um Neurologie, Orthopädie oder Onkologie schon lange nicht mehr wegzudenken: Malade Knorpel, defekte Menisken, gerissene Sehnen oder entzündetes Gewebe kann schnell und präzise dargestellt werden. Auch Tumoren, die mehrere Millimeter groß sind, erscheinen klar und deutlich. Doch im Bereich von Mund und Kiefer?
Durch seine Forschungsarbeiten hat Professor Dr. Volker Rasche vom Ulmer Uniklinikum die Methode jetzt auf kariöse Läsionen übertragen – mehr oder minder durch Zufall. „Die Anforderung bei der Darstellung von Zähnen, vor allem der hier enthaltenen Mineralien, ist vergleichbar mit jenen bei kalzifizierten Gefäßen, für die wir eine spezielle Technologie entwickelt haben“, so der Physiker. Zusammen mit Professor Dr. Bernd Haller von der Ulmer Uniklinik für Zahnheilkunde und Paradontologie machte er die Probe aufs Exempel, und eine Studie mit 50 Patienten ebnete den Weg für weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Rasche: „Wir konnten dabei zeigen, dass die Detektion von kariösen Veränderungen in den Zähnen mittels MRT mit hoher Sensitivität erfolgen kann.“ Vor allem bei einer sekundären Karies, etwa unter bestehenden Füllungen, erzielte das Team weitaus bessere Resultate als mit der herkömmlichen Röntgenmethode. Im Rahmen einer Studie haben Kollegen die Dental-MRT speziell bei Approximalkaries, Fissurenkaries und ausgedehnten Läsionen untersucht. Der Mehrwert: Durch die dreidimensionale Darstellung erhielten Kollegen ein genaues Bild der Lage und konnten sowohl das Volumen kariöser Läsionen als auch deren Abstand zur Zahnpulpa bestimmen. Entsprechend schonendere Behandlungen waren möglich. Zum Glück erwiesen sich die meisten Dentalwerkstoffe als kompatibel, es sei denn, Komposite enthielten magnetische Eisenoxid-Partikel, oder kieferorthopädische Stahldrähte waren im Weg.
Auch sind Anwendungen in der Kieferorthopädie denkbar, um Bewegungen der Gelenke unter die Lupe zu nehmen. Liessen Kollegen beispielsweise ihre Patienten einseitig auf ein Bonbon beißen, das sie sich zwischen die Backenzähne geklemmt hatten, ergaben sich Hinweise auf mögliche Defekte. Dazu verglichen Kollegen in einer kleinen Studie neun gesunde Probanden mit sieben Patienten, die eine bekannte Fehlstellung aufwiesen.
Patienten freuen sich zudem über die fehlende Strahlenbelastung. Das macht die MRT auch zu der idealen Methode schlechthin für die engmaschige Diagnostik von Fehlbildungen beim Nachwuchs. Zähnen, die nicht durch den Kiefer brechen, lassen sich dreidimensional darstellen, und notwendige Eingriffe sind sich besser planbar. Eine Untersuchung mit 55 Kindern brachte detailreiche Aufnahmen, der natürliche Kontrast zwischen dem Weichteilgewebe und den Zähnen reichte für kontrastreiche Aufnahmen zur Therapieplanung völlig aus.
Kreisel aus Kernen
Dass die MRT ganz ohne Röntgen auskommt, hat physikalische Gründe: Wasserstoffkerne befinden sich überall im menschlichen Körper. Durch ihre Bewegung erzeugt jeder von ihnen ein schwaches Magnetfeld, das normalerweise statistisch verteilt ist. Erst ein starker äußerer Magnet bringt Ordnung in das Chaos. Dabei entstehen zwei Vorzugsrichtungen der kleinen Kreisel: parallel oder antiparallel zum äußeren Feld. Jetzt kommen Radiowellen ins Spiel. Sie beeinflussen das System und ändern ein paar Kreisel in eine energetisch ungünstigere Richtung. Nach dem Abschalten dieser Quelle normalisiert sich der Zustand wieder – abhängig vom Gewebetyp, was für den Kariesnachweis genutzt wird. Von den Effekten auf atomarer Ebene spüren die Patienten freilich nichts, sie hören lediglich Klopfgeräusche des Geräts.
Kronen aus dem Computer
Doch die MRT kann noch weitaus mehr als nur Karies oder Zahnfehlstellungen aufspüren. In der Prothetik erstellten Kollegen versuchsweise ein dreidimensionales Abbild der Zahnoberfläche – weitaus genauer als mit herkömmlichen Abdruckmassen. Das digitale Modell wanderte direkt zur Produktion. In der Feinwerktechnik ist dieser Prozess unter den Schlagworten Computer Aided Design / Computer Aided Manufacturing (CAD/CAM) bereits längst Routine, aber noch Zukunftsmusik im dentalen Bereich. Generell mussten dazu erst einmal Schwierigkeiten überwunden werden. Der Kontrast zwischen der gesunden Zahnoberfläche und der Luft im Mundraum erwies sich bei weitem als zu schwach, doch eine Erkenntnis aus der Neurologie half weiter: Gadoliniumsulfat, das sich als Kontrastmittel zur Untersuchung von Gehirnstrukturen bewährt hat, stellt auch in der Zahnmedizin Negativstrukturen gut sichtbar dar. Mit einer speziell konstruierten MRT-Spule gelangen dann hochauflösende Bilder. Im Rahmen einer Studie testeten Kollegen das Verfahren für Brücken, Inlays und Kronen. Mit den entsprechenden Datensätzen gelang Zahntechnikern die komplette Restauration mit entsprechender Passgenauigkeit.
Jetzt soll der Sprung in die Praxis folgen: Zusammen mit einem industriellen Partner planen die Ulmer Forscher den Prototyp eines dentalen MRT-Geräts. Dennoch werden sich Gesundheitsökonomen und Politiker bei Zeiten über die Frage der Kostenerstattung unterhalten müssen. Als Routinemethode ist das Verfahren zu teuer, und nur wenige Praxen werden sich selbst ein Gerät leisten können. Bleiben also begründete Fälle, die durch klassisches Röntgen nicht abgeklärt werden können und in speziellen Diagnosezentren abzuklären sind.