Rückenschmerzen können etliche Ursachen haben. Eine – wenn auch seltene – ist Morbus Bechterew. Vor allem bei Menschen unter 45, die keine schwere körperliche Arbeit verrichten, sollten Orthopäden dieses Krankheitsbild in Betracht ziehen.
„Fünf bis zehn Jahre vergehen in der Regel, bis Patienten mit Morbus Bechterew die richtige Diagnose und damit die passende Therapie bekommen“, weiß der Bremer Rheumatologe Professor Dr. Jens Gert Kuipers. Ärzte brächten Rückenschmerzen bei jüngeren Patienten zu selten mit Morbus Bechterew in Verbindung. Auch die typische morgendliche Steifheit wird nicht richtig eingeordnet. Entzünden sich Wirbel im Lenden- und Brustbereich, drohen unbehandelt Versteifungen bis hin zur extremen Verkrümmung des Rückens. Aber auch andere Organe sind betroffen, etwa die Iris, die Gelenke, der Darm oder die Sehnen. Entzündliche Prozesse erhöhen zudem das Osteoporose-Risiko. Eine bevölkerungsbasierte Fall-Kontroll-Studie mit 53.000 Frakturpatienten und 370.000 Mitgliedern der Kontrollgruppe brachte ein nahezu drei Mal höheres Risiko für Knochenbrüche bei entzündlichem Rheuma zu Tage. Morbus Bechterew-Patienten erlitten sogar vier Mal mehr Frakturen.
Gene gefunden, Patienten geheilt?
Auf der Suche nach den Auslösern von Morbus Bechterew sind Wissenschaftler im Erbgut fündig geworden. Hier scheint das Eiweiß HLA-B27, im altbekannten Gen HLA-B verschlüsselt, den Krankheitsprozess auszulösen. Ein internationales Forscherkonsortium hat jetzt in Kleinarbeit zwei weitere Abschnitte im Erbgut nachweisen können. Die Forscher verglichen genetische Informationen von 1.000 Bechterew-Patienten mit der DNA gesunder Menschen. Das Ergebnis: IL23R codiert einen Bestandteil von Immunzellen. Und aus dem Gen ARTS1 entsteht ein Enzym, das Bakterien oder Viren in Stücke zerlegt und mit den Schnipseln Fresszellen anlockt. Laut Professor Dr. John D. Reveille aus Houston, Texas, könne HLA-B27 rund 40 Prozent aller Fälle erklären. Zusammen mit den neuen Abschnitten IL23R und ARTS1 sind jetzt etwa 70 Prozent genetisch interpretierbar. Patienten hilft diese Erkenntnis derzeit allerdings reichlich wenig.
Vor Jahren galten Injektionen von löslichen Radium-224-Salzen als gute Option gegen Entzündungen und Schmerzen bei Morbus Bechterew. Das Isotop zerfällt mit einer Halbwertzeit von knapp vier Tagen unter Aussendung von Alphastrahlung – mit verheerenden Folgen, wie Langzeitstudien ergaben. Radium, chemisch mit Calcium verwandt, lagert sich in den Knochen ein und bestrahlt das blutbildende System. Eine Untersuchung mit 1.006 Patienten in der Expositionsgruppe und 1.072 anderweitig behandelten Morbus Bechterew-Fällen zeigte vor allem, dass sich Leukämien und präleukämische Erkrankungen deutlich erhöhten. Die Methode ist seitdem obsolet. Eine andere Therapie ist dennoch nicht auszurotten: Im einzigen deutschen Radonstollen nahe Bad Kreuznach können Rheumapatienten unter Tage das radioaktive Edelgas inhalieren. Studien zum Nutzen fehlen und Radon selbst wird zumindest bei längerer Exposition mit Lungenkrebs in Verbindung gebracht.
Klassiker aus dem Arzneimittelschrank
Vielversprechender sind nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). „Sie zeigen verschiedenen klinischen Studien zufolge eine gute Wirksamkeit gegen die Schmerzen und die Bewegungseinschränkungen bei Morbus Bechterew“, so Dr. In-Ho Song von der Berliner Charité. Und die Dauertherapie kann sogar der Neubildung von Knochen an Wirbelkörpern entgegenwirken. Speziell Coxibe haben dabei den Vorteil, dass sie den Magen-Darm-Trakt weitaus geringer belasten als klassische Wirkstoffe. Das fanden Kollegen im Rahmen der CONDOR-Studie – verglichen wurden die Effekte von Diclofenac plus Omeprazol mit der alleinigen Gabe von Celecoxib. Neuerdings wird auch Thalidomid wieder ins Spiel gebracht: Die Substanz zeigte in klinischen Studien deutliche entzündungshemmende Effekte. Hingegen erweist sich die Datenlage zu Methotrexat und Sulfasalazin, gut bekannt aus der Therapie diverser Autoimmunerkrankungen, als Blindgänger. Laut Professor Dr. Klaus Krüger, München, sind diese konventionellen Basistherapeutika bei Morbus Bechterew nahezu unwirksam.
Bio aus der Apotheke
Seit gut zehn Jahren gibt es aber Alternativen: „Die Biologicals sind für uns die erfolgreichsten Medikamente seit der Entdeckung des Cortison, sie haben die Rheumatherapie revolutioniert“, unterstreicht Professor Dr. Jörn Kekow vom MEDIGREIF-Fachkrankenhaus für Rheumatologie und Orthopädie. Diese Eiweiße neutralisieren den Tumornekrosefaktor (TNF) alpha im Blut. TNF wird mit Entzündungen in Verbindung gebracht und stimuliert die Entstehung weiterer Botenstoffe, der Zytokine.
Forscher haben dazu zwei Strategien entwickelt: Antikörper wie Adalimumab, Infliximab oder Golimumab binden an TNF alpha und verhindern so, dass dieses Eiweiß körpereigene Rezeptoren erreicht und quasi weiter Öl ins Feuer der Entzündung kippt. Ein aktuelles Beispiel: Golimumab, der jüngste Vertreter, überzeugte im Rahmen der GO-RAISE-Studie. Hier erhielten Patienten, die auf andere Behandlungsmethoden nicht ansprachen, einmal pro Monat 50 Milligramm des Antikörpers subkutan appliziert. Damit erreichten Kollegen bei 44 Prozent der Patienten eine deutliche Besserung, nach einem Jahr stieg der Wert auf 75 Prozent und nach zwei Jahren sogar auf 82 Prozent.
Etanercept hingegen imitiert als löslicher Rezeptor die natürliche Andockstelle von TNF alpha. „Er ist besser verträglich und weniger immunogen“, betont Professor Dr. Wolfram Sterry von der Berliner Charité. Gegen Etanercept würden seltener Therapie limitierende Antikörper gebildet als gegen TNF-alpha-Antikörper. Damit sank in Studien auch die Zahl der krankheitsbedingten Fehltage.
Der Preis dieser Therapien sind mehreren Veröffentlichungen zufolge vor allem Infekte, die wieder aufflammen. Auch entstehen signifikant häufiger Lymphome. Entsprechende Hinweise hatte auch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA veröffentlicht. Greift keine pharmakologische Therapie, können Chirurgen die Wirbelsäule begradigen und durch Metallplatten teilweise versteifen. Untersuchungen zeigten gerade in schweren Fällen eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität. Bei zerstörten Gelenken kommen zudem Endoprothesen zum Einsatz.
Wissenschaftswüste Deutschland?
Dennoch könnte es die Forschung leichter haben: Bürokratische Hürden und leere Säckel machen laut der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. so mancher klinischen Studie im Vorfeld den Garaus. Die Professorin Dr. Ina Kötter von der Uni Tübingen führte als Beispiel eine internationale Bechterew-Studie ohne deutsche Beteiligung an: Vor dem Einsatz von Biologicals muss ein Röntgenbild der Lunge angefertigt werden, um Tuberkulose auszuschließen. Allein dafür ist pro Patient ein separater Antrag erforderlich – viele Pharmaunternehmen überlegen gut, ob sie deutsche Patienten überhaupt mit aufnehmen. Auch seien laut Kötter die Aufwandsentschädigungen viel zu niedrig.