In Deutschland werden Frauen jenseits der 35 immer häufiger schwanger. Spätes Babyglück bleibt dennoch ein Risikofaktor. Daran ändern weder molekularbiologische Erkenntnisse noch Empfehlungen auf Basis von Kohortenstudien etwas.
Schauspielerin Caroline Beil (50) erwartet momentan ihr zweites Kind. Und Sängerin Gianna Nannini brachte ihre Tochter mit 54 Jahren auf die Welt. Auch wenn die genannten Beispiele Extreme zeigen, steigt auch insgesamt das Alter von Müttern bei der Geburt von Kindern weiter an. Immer häufiger erfreuen sich Mütter jenseits der 40 später Babyfreuden. Wissenschaftler diskutieren kontrovers über Chancen und Risiken später Schwangerschaften.
Immer häuiger kommt der Nachwuchs in späten Jahren. Altersspezifische Geburtenziffer je 1.000 Frauen © Destatis Humangenetiker wissen schon lange, dass mit zunehmendem mütterlichen Alter die Häufigkeit von Erbkrankheiten sprunghaft ansteigt. Mit 40 Jahren liegen bei mehr als einem Drittel aller Schwangerschaften embryonale Chromosomendefekte vor. Dazu zählen primär Aneuploidien, also die fehlerhafte Verteilung von Chromosomen bei der Eizellbildung, und daher die falsche Anzahl von Chromosomen in Oocyten. Wissenschaftler erklären dieses Phänomen vor allem mit Cohesinen. Diese Proteinkomplexe stabilisieren in Zellen das Chromatingerüst und damit die Struktur von Chromosomen. Im Zellkern wird die Erbsubstanz zu Schleifen gefaltet. Cohesine umschließen den DNA-Strang zunächst an einer beliebigen Position. Anschließend wird die DNA durch den Ring gepresst, bis molekulare Barrieren dies stoppen. Sinn und Zweck dieses Mechanismus ist, entfernte Abschnitte im Genom gezielt in direkten Kontakt zu bringen, um die Genaktivität zu regulieren: Mechanismus der Schleifenbildung durch Cohesine © IMP - Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie Risiko einer Trisomie 21 in Abhängigkeit vom mütterlichen Alter. © James Heilman, MD / Wikipedia, CC BY-SA 3.0 Schon vor mehreren Jahren fanden Wissenschaftler des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden Hinweise im Mausmodell, dass Cohesine während der embryonalen Oocytenentwicklung gebildet und später nicht erneuert werden. Sie erklären das altersabhängige Auftreten von Aneuploidien über die langsame Zerstörung von Cohesin-Molekülen.
Sarka Lisonkova, Wissenschaftlerin an der University of British Columbia, Vancouver, fand jetzt Hinweise auf weitere Komplikationen. Im Rahmen einer retrospektiven, populationsbasierten Kohortenstudie hat sie Daten von 828.269 Schwangeren analysiert. Bekannte Risikofaktoren, etwa Übergewicht oder künstliche Befruchtung, wurden vorab mathematisch korrigiert. „Die Morbidität stieg bei Frauen über 39 exponentiell mit dem Alter“, schreibt Lisonkova. Ab 40 war das Risiko 1,2-fach und ab 50 sogar 5,4-fach höher. Mütter zwischen 40 bis 44 Jahren hatten demnach ein dreifach höheres Risiko für einen Schock und ein achtfach höheres Risiko für eine Fruchtwasserembolie. Als Vergleich diente die Gruppe zwischen 25 und 29 Jahren.
Angesichts der zahlreichen Gefahren überrascht eine Veröffentlichung von Alice Goisis und Kollegen. Goisis forscht an der London School of Economics and Political Science. Basis ihrer retrospektiven Kohortenstudie war ein finnisches Populationsregister mit 124.098 Kindern der Jahrgänge 1987 bis 2000. Um statistische Verzerrungen auszuschließen, verglichen die Autoren identische Frauen unterschiedlichen Alters. Die Idee war, Risikofaktoren jenseits der Lebensjahre auszuschließen. Wie Goisis schreibt, gebe es zwar störende Einflüsse zwischen Familien, aber nicht zwischen mehreren Schwangerschaften der gleichen Frau. Bekamen Frauen mehrere Kinder, steigerte ein höheres Alter nicht das Risiko, früh zu gebären oder ein Kind mit geringem Gewicht auf die Welt zu bringen. Verglich Goisis jedoch Frauen aus unterschiedlichen Familien, sah sie den hinlänglich bekannten Effekt. Ab 40 Jahren war das Risko, ein Baby mit niedrigem Geburtsgewicht, zu bekommen, mit 4,4 Prozent doppelt so hoch wie bei Frauen zwischen 25 und 29 Jahren (2,2 Prozent). Coautor Mikko Myrskylä, Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock, erklärt die Beobachtungen mit „individuellen Lebensumständen und Verhaltensweisen“. Die tatsächlichen Gründe konnten Myrskylä und Kollegen anhand ihrer Datenbasis jedoch nicht in Erfahrung bringen. Denkbar wären individuelle, altersunabhängige Fruchtbarkeitsprobleme, ungesunde Verhaltensweisen oder Stress. Ob gegenläufige Tendenzen, etwa mehr Erfahrung respektive weniger Stress der Mutter, vielleicht protektiv wirken, lässt sich aufgrund der Daten nicht sagen. Sozioökonomische Tendenzen, etwa ein höheres Haushaltseinkommen mit zunehmendem Alter, wurden jedoch korrigiert.
Bekanntlich ist die Aussagekraft von Assoziationsstudien begrenzt. Zum praktischen Wert seiner Veröffentlichung sagt Myrskylä in einer Meldung: „Ein Arzt, der nur das Alter einer schwangeren Frau kennt, kann es weiterhin nutzen, um die Geburtsrisiken abzuschätzen.“ Trotzdem erstaunt Alice Goisis´ Resümee: „Für die einzelne Mutter ist ihr Alter aber nicht der tatsächliche Grund für eventuell erhöhte Geburtsrisiken.“ Bei Laien können derartige Statements verheerende Aussagen haben. Trotz individueller Unterschiede geht das späte Babyglück mit zahlreichen medizinischen Risiken einher.