Eine spezielle Region im Gehirn sorgt dafür, dass wir uns noch lange an wichtige Dinge erinnern können. Forscher haben nun entdeckt, dass im Hippocampus ein Teil der Zellen frühzeitig auf ihre Aufgabe vorbereitet wird.
Der Hippocampus ist eine der wichtigsten Schaltzentralen im menschlichen Gehirn. Alle von uns wahrgenommenen Informationen werden hier verarbeitet und in den Neocortex übertragen. Störungen dieser Hirnregionen beeinträchtigen die Gedächtnisbildung, im schlimmsten Fall können Betroffene keine neuen Erinnerungen bilden. Welche der Millionen von Nervenzellen im Hippocampus einen Beitrag zu einer bestimmten Erinnerung leisten, darüber konnten Wissenschaftler lange Zeit nur rätseln.
Ein Forscherteam der Humboldt-Universität zu Berlin konnte nun am Beispiel des Ortgedächtnisses bei Ratten zeigen, dass es wohl kein Zufall ist, welche Zelle im Einzelfall aktiv ist und welche nicht. Wie die Wissenschaftler um Professor Michael Brecht in der Fachzeitschrift Neuron mitteilten, gibt es zwei Klassen von Zellen im Hippocampus: Solche, die aktiv werden, sobald eine Ratte neue Umgebungen erkundet, und solche, die grundsätzlich still bleiben.
Ratten orientieren sich anhand neuronaler Landkarten
Aus früheren Experimenten wusste man bereits, dass Ratten in ihrem Hippocampus eine Art neuronale Landkarte angelegen, wenn sie sich in unbekanntem Terrain bewegen. Jeder Ort durch wird dabei durch spezifische Zellen kodiert. „Mit Hilfe dieser unzweideutigen Beschreibungen kann sich eine Ratte lokalisieren“, sagt Brecht, der eine Arbeitsgruppe am Berliner Bernstein Center for Computational Neuroscience leitet. „Bisher dachte man, dass es der Zufall bestimmt, welcher Satz von hippocampalen Zellen ausgewählt wird, um eine spezifische Umgebung zu kodieren.“
Die Experimente der Berliner Forscher zeigen nun, dass im Hippocampus anscheinend von vornherein festgelegt ist, welche Zellen feuern und nicht. Für ihre Versuche verwendeten Brecht und seine Mitarbeiter Ratten, in deren Hippocampus sie eine Elektrode so eingesetzt hatten, dass sie bei jedem Tier jeweils eine einzelne Nervenzelle gezielt untersuchen konnten. Anschließend ließen die Forscher die Ratten eine neue Umgebung erkunden und maßen dabei jeweils das Membranpotenzial der Nervenzelle, die mit der Elektrode verbunden war. Bei ungefähr der Hälfte der Tiere zeigte sich, dass sich das Membranpotenzial deutlich veränderte, die Nervenzelle also feuerte, wie es im Fachjargon heißt. Bei der anderen Hälfte der Tiere unterblieb dagegen dieses Feuern, die Nervenzelle blieb still.
Neuronen unterscheiden sich in ihrer Erregbarkeit
Zur Überraschung der Wissenschaftler unterschieden sich die beiden Zelltypen aber bereits, ehe die Ratten die Erkundung des Areals aufnahmen: „Über die Elektroden leiteten wir jeweils ein bisschen Strom in die Nervenzelle, um zu sehen, wie erregbar diese ist“, berichtet Brecht. „Es zeigte sich, dass die späteren stillen Zellen auf diesen Reiz viel weniger als die Ortszellen reagierten.“ Brecht geht davon aus, dass es in den beiden Zelltypen zelleigene Faktoren gibt, die bestimmen, ob sich eine Nervenzelle wie eine Ortszelle oder wie eine stille Zelle verhält. Noch ist allerdings unklar, warum es überhaupt stille Zellen gibt und welche genaue Funktion sie haben.
Andere Experten äußern sich begeistert über die Ergebnisse der Berliner Forscher: „Die Arbeit ist bahnbrechend, da es dem Team um Brecht gelungen ist, intrazelluläre Messungen bei Tieren anzufertigen, die sich bewegen“, meint Professor Richard Kempter von der Humboldt-Universität zu Berlin, Leiter einer Arbeitsgruppe, die sich mit der Theorie neuronaler Systeme beschäftigt. Kempter kann sich vorstellen, dass die stillen Zellen im Hippocampus der Ratte nur deswegen keine Aktivität zeigen, weil sie überhaupt nicht für die Ausbildung des Ortsgedächtnisses benötigt werden. Vielleicht, spekuliert der Neurowissenschaftler, spreche dieser Typ von Nervenzellen bei Ratten auf andere Reize an wie zum Beispiel Gerüche oder Licht.
Modell für Gedächtnisbildung im menschlichen Gehirn
Ähnliche Prozesse, wie sie jetzt bei Ratten beobachtet wurden, laufen offenbar auch im menschlichen Hippocampus ab. Wie Ratten sich mit Hilfe der aktivierbaren Ortszellen räumliche Sequenzen merken, könnte ein plausibles Modell dafür sein, wie sich im menschlichen Gehirn aus verschiedensten Eindrücken das episodische Gedächtnis ausbildet. „Es spricht einiges dafür, dass wir von der Ratte auf den Menschen extrapolieren können“, findet Professor Peter Jonas, Leiter der Forschungsgruppe Neurowissenschaften am österreichischen Institute of Science and Technology Austria in Klosterneuburg.
Nicht nur Verletzungen sondern auch Krankheiten können die Funktion des Hippocampus stören. Neben einigen neurodegenerativen Erkrankungen, die aber nicht nur auf diese Gehirnregion beschränkt sind, gibt es bestimmte Formen der Epilepsie, die sehr eng mit dem Geschehen im Hippocampus assoziiert sind. Kein Wunder, so Jonas, denn aufgrund der ausgeprägten elektrischen Aktivität in diesem Bereich des Gehirns könne es leicht zu einer überschießenden Reaktion kommen.
Das Team um Brecht möchte auch in Zukunft die Geheimnisse der Gedächtnisbildung ergründen. Derzeit beschäftigen sich die Berliner Forscher damit, wie die Schaltkreise aussehen, die dafür sorgen, dass frisch gebildete Erinnerungen langfristig in der Hirnrinde niedergelegt werden. Vor allem Eindrücke, die mit starken Emotionen verbunden seien, so Brecht, würden dabei besonders stark berücksichtigt und blieben uns so noch lange in Erinnerung.