Mit der physischen Leistungsfähigkeit gehe es spätestens ab Mitte 30 zwangsläufig rasant bergab, meinen viele. Ein Irrglaube! Kraft und Ausdauer schwinden so langsam, dass selbst alte Menschen noch Erstaunliches leisten. Nicht das Alter, die Lebensweise ist das Problem.
Um 15 Prozent pro Dekade nimmt angeblich die Ausdauerleistungsfähigkeit nach dem 30. Lebensjahr ab. Mit Kraft und Schnelligkeit soll es kaum anders sein. Doch selbst alte Menschen können enorme physische Leistungen vollbringen. So berichteten laut dem Althistoriker Professor Robert Lane Fox schon Autoren in der Antike, dass die Elitesoldaten von Alexander dem Großen - die makedonischen Schildträger - selbst als über 60-Jährige noch Tagesmärsche in der Wüste von mehr als 30 Kilometern absolviert hätten - mit vollem Marschgepäck und Bewaffnung natürlich. Ähnlich erstaunlich ist auch die Leistung des Japaners Yuichiro Miura, der im Mai 2003 im Alter von bereits 70 Jahren den Mount Everest bestieg. Aber auch das wurde noch „getoppt“: 2008 stand mit dem Nepalesen Min Bahadur Sherchan sogar ein fast 77-jähriger Mann auf dem höchsten Gipfel der Erde.
Alt nicht gleich krank
Was im hohen Alter physisch noch möglich ist, hat zum Beispiel der finnische Wissenschaftler Professor Harri Suominen untersucht. Eine seiner Hauptfragen war, ob es tatsächlich das Alter an sich ist, das die Kräfte rasch schwinden lässt, oder ob die wahren Schuldigen nicht jene Phänomene, vor allem Krankheiten, sind, die mit dem Alter oft, aber nicht zwangsläufig einhergehen. Ausgewertet hat der finnische Wissenschaftler dafür Leichtathletik-Weltrekorde in unterschiedlichen Altersklassen. Ein Grund für diese Wahl war natürlich, dass Inhaber von solchen Weltrekorden, etwa im 100-Meter-Sprint oder Marathon-Lauf, aller Wahrscheinlichkeit nach sehr gesund sind, also weder Übergewicht haben noch Herzerkrankungen. Was natürlich nicht allein von der Lebensweise, sondern bekanntlich auch von den Genen abhängt, wie unter anderen Dr. Urho M. Kujala, ein Kollege von Suominen berichtet.
Selbst mit 70 noch ein Speedy Gonzales
Die Ergebnisse der Auswertung sind wahrlich erstaunlich: Die Leistungen werden mit dem Alter bei Männern wie Frauen zwar erwartungsgemäß schwächer, aber nur sehr langsam; erst im hohen Alter (über 70 Jahre) werden die Unterschiede zu den 30 bis 40 Jahre alten Top-Athleten recht deutlich. Gleichwohl liegen die Leistungen der älteren Athleten immer noch über dem, was die meisten untrainierten jungen Menschen erreichen. Bewerber um einen Studienplatz an der Kölner Sporthochschule müssen bei der Eignungsprüfung zum Beispiel den 100-Meter-Sprint in maximal 13,4 (die Männer) oder 15,5 (die Frauen) Sekunden absolvieren, was keineswegs alle Bewerber schaffen. Zum Vergleich: der Weltrekord in dieser Disziplin liegt bei den Männern der Altersklasse M70 bei 12,77 Sekunden, bei den Frauen sind es 14,76 Sekunden. Ähnlich ist es in einer weiteren Laufdisziplin, dem 3000-Meter-Lauf: Hier müssen die männlichen Aspiranten nach spätestens 13 Minuten im Ziel sein. Der Weltrekord bei Männern der Altersklasse M80 liegt derzeit nur elf Sekunden darüber. Und noch ein Beispiel: Der Kanadier Ed Whitlock lief im Alter von 73 Jahren 2004 in Toronto einen Marathon unter drei Stunden, was selbst für einen gesunden und halbwegs trainierten Hobby-Sportler mehr als nur eine Herausforderung wäre.
Alter an sich kein Grund für ein Schneckentempo
Laut Suominen belegen die ausgewerteten Daten zum einen die enorme Plastizität der körperlichen Leistungsfähigkeit und dass diese nur langsam abnimmt. Zum anderen zeigen die Daten, dass Alter per se nicht der wichtigste Grund für die bei den meisten Menschen relativ rapide sinkende Leistungsfähigkeit ist. Sehr viel wichtiger ist offensichtlich - außer der genetischen Ausstattung - vor allem unsere Lebensweise. Bestätigt hat dies unter anderen auch eine große Untersuchung mit dem Akronym PACE von Wissenschaftlern der Kölner Sporthochschule, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Anhand von mehr als 900.000 Laufzeiten von 20- bis 79-jährigen Marathon-/Halbmarathon-Teilnehmern untersuchten die Forscher um Professor Dieter Leyk die Ausdauerleistungen sportlich aktiver Männer und Frauen. Mit Hilfe von Fragebögen wurden zudem rund 13.000 Marathon-/Halbmarathon-Läufer unter anderem zu Sport, Lebensgewohnheiten und Gesundheit befragt.
Hier die nach Angaben der Wissenschaftler wichtigsten Erkenntnisse in Kürze: Vor dem 55. Lebensjahr treten keine signifikanten Leistungsminderungen auf. Die Leistungsverluste der älteren Herrschaften fallen zudem gering aus: 25 Prozent der 65- bis 69-jährigen Ausdauertrainierten sind sogar schneller als die Hälfte der 20- bis 54-jährigen Langstreckenläufer.
„It’s never too late“
Die Befragungen hätten darüber hinaus gezeigt, dass mehr als ein Viertel der 50- bis 69-Jährigen erst in den letzten fünf Jahren mit ihrem Lauftraining begonnen hätte. Schlussfolgerung von Leyk und seinen Kollegen: „Leistungseinbußen im mittleren Lebensalter sind primär auf eine inaktive Lebensweise, nicht aber auf biologische Alterung zurückzuführen.“ Anders formuliert: Es ist eigentlich nie zu spät. Und auch für die körperliche Leistungsfähigkeit gilt: Jeder ist seines Glückes Schmied. Zumindest ein bisschen.