Seit Jahren predigen Experten, Salz sei ein Risiko, da es den Blutdruck ansteigen lassen soll. Und nun das: Forscher fanden heraus, dass Patienten mit geringerem Salzkonsum ein größeres Risiko für Infarkte und Schlaganfälle haben. Was stimmt denn nun?
Nach einer Modellrechnung im New England Journal of Medicine würde allein in den USA der tägliche Verzicht auf drei Gramm Salz pro Person 44.000 bis 92.000 weniger Todesfälle pro Jahr bedeuten. Kirsten Bibbins-Domingo und ihre Kollegen von der Universität von Kalifornien in San Francisco rechnen mit 54.000 bis 99.000 weniger Herzinfarkten und 32.000 bis 66.000 weniger Schlaganfällen im Jahr. Dem US-Gesundheitssystem blieben jährlich Kosten von zehn bis 24 Milliarden Dollar erspart.
Doch jetzt sieht alles anders aus: Die Mediziner um Jan Staessen von der Universität Leuven beobachteten fast 3.700 Erwachsene, die nicht an einer Herzerkrankung litten und bestimmten ihren Salzkonsum indirekt über den Natriumgehalt des Urins. Nach sieben Jahren dann die Überraschung: Sowohl der Anteil der Todesfälle als auch die Anzahl der nicht tödlichen Infarkte und Schlaganfälle war in der Gruppe am größten, die am wenigsten Salz aß.
WHO: Den Salzkonsum konsequent zurückdrängen
Doch kaum, dass die Studie im Fachblatt Jama veröffentlicht wurde, meldeten sich Kritiker zu Wort. Die Studie sei schlecht gemacht. Das Sammeln von Urin sei problematisch, da etwa nicht sicher gestellt werden kann, dass die Teilnehmer wirklich die ganze Flüssigkeit aufheben. Zudem wären die Probanden zu Beginn der Studie mit teilweise unter 40 Jahren zu jung gewesen und so auch die Zahl der gesundheitlichen Zwischenfälle wie Schlaganfälle oder Herzinfarkte zu gering.
Graham MacGregor von der Queen-Mary-Universität sagte zudem im Tagespiegel: „Stets hat sich gezeigt: Alles, was den Blutdruck senkt, ist nützlich gegen Herzinfarkt und Schlaganfall." Die Belege für einen günstigen Effekt durch weniger Kochsalz seien überwältigend. Die Verringerung des Salzkonsums sei nach dem Kampf gegen den Tabak die nächste große Aufgabe. Eine große Metaanalyse aus dem vergangenen Jahr stützt diese Ansicht. Bei insgesamt 13 Studien mit 177.025 Teilnehmern und einer Studiendauer zwischen 5 und 19 Jahren erhöhte sich die Rate von Schlaganfällen um 23 Prozent und von Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems um 17 Prozent, wenn die Teilnehmer sehr salzig aßen. Und so hat sich auch die Weltgesundheitsorganisation auf die Fahne geschrieben, den Salzkonsum konsequent zurückzudrängen. Sie empfiehlt für Erwachsene eine Salzaufnahme pro Person und Tag von maximal fünf Gramm. Derzeit liegt die in Europa jedoch deutlich höher, nämlich bei acht bis zwölf Gramm.
Reaktionen auf die große Salzschwemme
Doch nicht alle Forscher sind für diese pauschale Verurteilung unseres liebsten Gewürzes. Es stimmt zwar, dass Bluthochdruck auch in Deutschland eine Volksseuche ist: Etwa 44 Prozent der Frauen und 51 Prozent der Männer leiden unter einem zu hohen Druck in ihren Gefäßen. Einige Wissenschaftler bezweifeln jedoch seit längerem, dass die Menge des Salzes im Essen zum Bluthochdruck beiträgt. Zudem sei der Effekt von salzarmer Ernährung äußert gering. Tatsächlich zeigte eine Analyse des weltweit anerkannten Cochrane-Instituts, dass der Blutdruck im Schnitt systolisch nur um etwa 1 mm Hg fiehl, wenn die tägliche Kochsalzaufnahme vermindert wurde. Die diastolischen Werte sanken noch weniger. Nur bei Menschen mit Bluthochdruck war der Effekt deutlicher. Die Autoren erwarten bei diesen Ergebnissen „keinen größeren Nutzen für die Gesundheit“. Zudem sei es sehr schwer, sich kochsalzarm zu ernähren. Denn der Großteil des Salzes, das wir aufnehmen kommt nicht aus dem Salzstreuer, sondern steckt in verarbeiteten Produkten, wie Tütensuppen, Fertigsoßen, Tiefkühlpizza, Käse oder Wurstwaren. Einige Länder haben bereits vor Jahren auf diese Salzschwemme aus der Industrie reagiert. Finnland etwa kennzeichnet den Salzgehalt seiner Lebensmittel.
Auf Verpackungen von Käse, Brot oder Fertiggerichten steht ein kleines rotes Herz für geringen Salz- und Fettgehalt. Der finnische Schriftzug „voimakassuolainen“ warnt dagegen vor stark gesalzenen Speisen. So können die Verbraucher im Supermarkt mit einem Blick erkennen, was bei ihnen auf dem Teller landet. Seit dieser Kennzeichnung und Sensibilisierungskampagnen ist die Rate an Herzinfarkten und Schlaganfällen in Finnland signifikant gesunken.
Unbedenklich oder gefährlich? Bislang scheint niemand die Frage nach dem Risiko Salz abschließend beantworten zu können. Das mag auch daran liegen, dass dafür mehr große Studien notwendig wären, mit denen sich wirklich die Kausalität zwischen Salzkonsum und höherer Sterblichkeit nachweisen lässt. Die meisten der Studien stehen jedoch entweder methodisch auf wackeligen Beinen oder sind zu kurzfristig angelegt, um beurteilen zu können, ob wirklich weniger Menschen sterben, wenn sie weniger Salz essen. Zudem gilt es auch physiologisch nachzuweisen, wie Salz genau dem Körper schadet.