Arzneimittelfälschungen sind auf dem deutschen Markt selten. Immun ist er dagegen aber nicht: Erst kürzlich tauchten Fälschungen von Harvoni und Epclusa auf. Ab 2019 wird es für Kriminelle deutlich schwerer, gefälschte Medikamente in die EU zu schleusen.
Zuletzt geschah es in Dortmund: Eine Patientin brachte ein Medikament in die Apotheke, weil die Farbe der Pillen plötzlich weiß war statt orange. Sie deckte damit den jüngsten Fall von Arzneimittelfälschung auf. Sie hielt eine Packung Harvoni 90 mg / 400 mg Filmtabletten von Gilead in den Händen, die sich in keiner Weise vom Original unterschied – bis auf die Farbe der Tabletten. Harvoni enthält die Wirkstoffkombination Ledipasvir und Sofosbuvir und wird bei Erwachsenen zur Behandlung von chronischer Hepatitis C (CHC) verschrieben. Die Apotheke schlug Alarm und meldete den Fall am 1. Juni dem zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der Großhändler Phoenix veranlasste noch am selben Tag, dass alle am Lager befindlichen Präparate mit der Charge 16SFC021D in Quarantäne genommen wurden. Kurze Zeit später tauchten weitere Falsifikate in anderen Bundesländern auf. Nur die Farbe der Pille war anders. © BfArM Schon Mitte Mai waren Fälschungen des Hepatitis-C-Medikaments Epclusa 400 mg/100mg auf den deutschen Markt gelangt. Es wird ebenfalls von Gilead hergestellt. Beide Medikamente sind wirksam bei der Behandlung der Krankheit, aber wegen ihrer Preise umstritten. Eine Monatspackung Harvoni kostet 17.666,23 Euro, der Preis von Epclusa für den gleichen Zeitraum beträgt 18.851,40 Euro. Ein lohnendes Geschäft für Betrüger. „Es bereiten uns Arzneimittelfälschungen gerade bei hochpreisigen Arzneimitteln Sorgen“, sagt BfArM-Sprecher Maik Pommer: „So sehen wir zum Beispiel bei Krebsmedikamenten, dass sich Fälschungen verstärkt zu einem Handlungsfeld der organisierten Kriminalität entwickeln.“ Insgesamt aber seien die Zahlen seit dem Fall der 2014 in Italien gestohlenen Arzneimittel aktuell vermindert, so Pommer, 2016 gab es in Deutschland nur drei Fälle. Damals deckten die Behörden in Italien insgesamt 390 illegale Transaktionen auf. Sie waren, teilweise mit Zwischenhändlern, über Diebstähle und Fälschungen illegal in die Vertriebskette gelangt. Mehr als 20 Medikamente waren betroffen, darunter Avastin, Vercade und Herceptin.
Derart große Deals gibt es immer wieder. Der Polizeifahndung Essen gelang im September 2015 der bisher größte Coup gegen Arzneimittelfälscher. Sie beschlagnahmte Millionen illegale Medikamente, bevor sie in die Lieferkette eingeschleust werden konnten: 3,5 Millionen Tabletten, darunter Psychopharmaka, Viagra und Antibiotika. Geschätzter Wert: 14 Millionen Euro. Ursprungsland: Indien. Die Qualität der Fälschungen unterscheidet sich stark. Im Fall von Harvoni waren sowohl die Verpackungen als auch die Tabletten bis auf die Farbe originalgetreu. Gilead prüfte die Zusammensetzung der falschen Pillen und fand heraus, dass sie der Zusammensetzung des Originals entsprachen. Das Unternehmen gab bekannt, dass Harvoni-Tabletten nur innerhalb Europas orange seien, im Ausland würden weiße Tabletten verkauft. Offenbar war das echte Medikament illegal in den europäischen Markt gelangt - wie, wird derzeit von den Behörden untersucht. Anders lag der Fall bei Epclusa. Die gefälschten Arzneien waren einem Großhändler angeboten worden und sofort aufgefallen.Die Chargen-Nummer war nicht legal, zu lesen standen die Abkürzungen „Ch./s.“ oder „CH./s.No:“ statt „Ch.-B“. Auf Verpackungen und Flasche standen auffällige Rechtschreibfehler, zum Beispiel „Deutchland“ statt „Deutschland“.
Derart auffällige Fehler sind jedoch selten. Meist sind es kleine, eher unauffällige Indizien, die auf eine Fälschung hinweisen. Ein leichter Unterschied bei einer Farbe etwa, oder eine Veränderung der Sollbruchstelle einer Tablette. Es sind auch manche Medikamente öfter betroffen als andere, Viagra etwa, weil die Kunden sie lieber selbst im Internet bestellen, oder hochpreisige Arzneimittel gegen rheumatoide Arthritis, Krebs, oder eben Hepatitis C. Apotheker sehen auch Parallel- und Re-Importe mit Skepsis. Diese Arzneien sind eigentlich für das Ausland bestimmt und dort preiswerter. Da Apotheker mindestens fünf Prozent ihres Fertigarzneimittelumsatzes über Importe absolvieren müssen, kaufen sie diese bei Importhändlern ein. Die Lieferketten sind vergleichsweise lang und die Vertriebswege unübersichtlicher, damit steige auch die Gefahr von Fälschungen, so die Kritiker. Dass trotzdem recht selten gefälschte Medikamente auf den deutschen Markt gelangen, liegt an den vielen Sicherheitsvorkehrungen. So sind etwa die Landesbehörden zuständig für die Überwachung des Arzneimittelverkehrs einschließlich Herstellung und Vertrieb: „Schwerpunkte liegen dabei unter anderem auf der Erteilung von Erlaubnissen für die Herstellung, die Einfuhr oder den Großhandel von Arzneimitteln“, so BfArM-Sprecher Maik Pommer. „Die Länderbehörden unternehmen in diesem Zusammenhang regelmäßig Inspektionen von Produktionsstätten und prüfen die Gute Herstellungspraxis, die sogenannte Good Manufacturing Practice (GMP). Diese Inspektionen finden im In- und Ausland statt.“ Die Landesbehörde überprüfe dabei, ob in den Betriebsstätten die Herstellung und Prüfung der Arzneimittel in Übereinstimmung mit dem europäischen Good Manufacturing Practice-Leitfaden stattfinde und untersuche durch spezielle Arzneimitteluntersuchungsstellen, den Official Medicines Control Laboratories (OMCL).
Auf dem Weg zur Apotheke durchläuft ein Medikament einen durch das Arzneimittelgesetz (AMG) vorgeschriebenen Weg. Zunächst ist der Hersteller für die Freigabe und den Transport zum Großhändler verantwortlich. „Beim Großhändler erfolgt eine Wareneingangskontrolle. Dabei wird kontrolliert, ob die eingehende Sendung korrekt ist, die Arzneimittel von zugelassenen Zulieferern stammen und dass sie während des Transports nicht sichtbar beschädigt wurden“, erklärt Nalan Öztürk vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen. Beim Transport zur Apotheke ist der Großhändler verantwortlich für die richtige Temperatur sowie für den Schutz vor Bruch, Beeinträchtigung und Diebstahl. „Fertigarzneimittel, die nicht in der Apotheke hergestellt worden sind, sind stichprobenweise zu prüfen. Die Prüfung ist zu protokollieren“, so Öztürk. Ein Barcode sorgt künftig für Sicherheit © BfArM Ab 9. Februar 2019 wird es wesentlich schwerer werden, gefälschte Medikamente in die EU zu schleusen. Ab dann gilt eine neue EU-Verordnung zur Umsetzung von Sicherheitsmerkmalen auf der Verpackung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Schon 2013 hat sich deshalb die Initiative SecurPharm gebildet, ein Zusammenschluss von Apothekern, Herstellern und Großhändlern, der in einem Pilotversuch die Vorgaben der EU erfüllt und die Echtheit eines Medikaments in der Apotheke prüft. Jede Packung trägt einen Data-Matrixcode, den der Apotheker einscannen und damit verifizieren kann. Den Code bringt der Hersteller auf – für jede Packung einen anderen, so dass jede einzelne ein unverwechselbares Unikat ist, jederzeit von allen Beteiligten zu identifizieren.