Experten loben die neuen Wirkstoffe für die Rheumabehandlung, Pharmafirmen sind wegen der Umsätze begeistert. Dass es aber bei Biologika immer wieder zu schweren Nebenwirkungen kommt, verunsichert Ärzte und Patienten.
Ihre Einführung „hat zu andauernden und beeindruckenden Verbesserungen im Krankheitsverlauf geführt, ganz besonders bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis im Frühstadium“. So lobte ein Artikel im „Lancet“ im Jahr 2008 Biologika, Präparate, produziert mit Biotechnologie, die ganz gezielt in das Immunsystem des Menschen eingreifen.
„Wir konnten in den letzten 15 Jahren auch durch klinische Studien sehen, dass diese Medikamente deutlich effektiver sind und häufig sehr sehr schnell zu einer Wirkung führen“, lobte Andrea Rubbert-Roth von der Uniklinik Köln in einem DocCheck-Video 2009 die neuen Wirkstoffe. „Wir können damit Patienten helfen, denen wir vorher nicht mehr viel anbieten konnten.“ Wundermittel? Die Überschrift über dem damaligen Beitrag verrät, dass es da noch irgendwo einen Haken geben könnte: „Umstrittene Hoffnungsträger“.
Keine Immunsuppression ohne Infektionsrisiko
Einige Leser wiesen auf die Probleme hin: Risiko einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) und vermehrte Todesfälle unter Biologika-Therapie. Der Bitte um eine genauere Analyse der „Wundermittel mit Macken“ ist jetzt ein Cochrane-Review zu Nebenwirkungen der Behandlung mit Biologika nachgekommen.
Wer die Aktivität des Immunsystems unterdrückt, der muss damit rechnen, dass die Infektionsgefahr steigt. So bestätigte etwa die amerikanische Arzneimittel-Zulassungsbehörde FDA schon 2008, dass die Hersteller Warnungen vor Pilzinfektionen im Beipackzettel von Inhibitoren des Tumornekrosefaktors α (TNF-α) aufnehmen mussten, nachdem einige Patienten daran gestorben waren. Ebenso klar ging die Reaktivierung von latenten Tuberkulosen bei den entsprechenden Patienten auf die Rechnung der neuen Immunmodulatoren. Vor einem konsequenten TBC-Screening war das bei Patienten unter Infliximab immerhin einer in 2000.
Die Vielfalt an Nebenwirkungen und deren Ausmaß hängt eng mit den Zielobjekten der entsprechenden Wirkstoffe zusammen. Bei menschlichen Immunsystemen findet sich etwa TNF-α vor allem bei Makrophagen aber auch in Lymphozyten und anderen Zellarten. Andere Biologika greifen aber auch in den Stoffwechsel von Botenstoffen wie etwa Interleukin-6 oder Schlüsselproteine von B- und T-Lymphozyten ein.
Nebenwirkungen: Selten, aber häufiger als bei der Kontrolle
Die Autoren des Cochrane-Reports nahmen 163 randomisierte kontrollierte Studien zu neun verschiedenen Wirkstoffen unter die Lupe. Neben der Hauptanwendung bei Rheumatoider Arthritis (63 Studien) untersuchten die Studien die entsprechenden Wirkstoffe auch bei Krebserkrankungen (26), Psoriasis (15) oder entzündlichen Darmerkrankungen (12). Im Vergleich zu den Kontrollen kam es dabei unter der Therapie mit Biologika allgemein zu mehr unerwünschten Ereignissen als unter anderen Behandlungen. Etwa jeder dreißigste Patient war dabei von einer Nebenwirkung zusätzlich zu der Kontrollgruppe betroffen. Biologika-Patienten steigen deshalb auch öfter aus den entsprechenden Studien aus. Einige der Wirkstoffe hatten dabei ein deutlich erhöhtes Risiko als andere. Bei Certolizumab pegol ist die Infektionsgefahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 3,5 gegenüber den Kontrollen deutlich höher als beim Rest der untersuchten Substanzen. Im Vergleich zu anderen Biologika kommen unerwünschte Ereignisse dagegen bei Abatacept oder Anakinra seltener als bei anderen vor. Allerdings scheint Anakinra auch in der Wirkung den übrigen untersuchten Substanzen etwas hinterherzuhinken. Am wenigsten Therapie-Abbrüche aufgrund von Nebenwirkungen verzeichnete Etanercept, das damit in seiner Verträglichkeit in der Spitzengruppe liegt.
Einen Schluss auf die Häufigkeit ganz spezieller Nebenwirkungen lässt diese Metaanalyse jedoch nicht zu, dazu sind die einzelnen Ereignisse zu selten und erfordern weitaus höhere Patientenzahlen. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen die Cochrane-Autoren in einer zweiten Untersuchung auch nichtrandomisierte Studien in ihre Analysen aufnehmen.
Register sammelt unerwünschte Ereignisse
Bereits im Jahr 2001 baute das Deutsche Rheumaforschungszentrum in Berlin ein Biologika-Register auf, um Daten zu Wirkung und Nebenwirkung der Präparate zu sammeln und auszuwerten. Die Mitarbeiter an diesem Projekt publizierten 2009 Ergebnisse, nach denen es bei TNF-α-Hemmern deutlich öfter zu einer Gürtelrose kommt, ausgelöst durch Herpes Zoster-Viren. Englische Wissenschaftler bestätigten diese Ergebnisse und beschrieben auch etliche Fälle, in denen es mit diesen Substanzen zu Windpocken gekommen war, die bei Erwachsenen sonst sehr selten auftreten. Keine Anhaltspunkte gibt es bisher für ein signifikant höheres Auftreten von Krebserkrankungen mit dieser Wirkstoffgruppe im Vergleich zur üblichen Rheumatherapie.
Biologika: Sieger bei Arzneimittel-Umsätzen
Über der Hoffnung, endlich etwas für aussichtslose Fälle beim Versagen einer Therapie unter Methotrexat oder DMARDs zu haben, dürfen jedoch die enormen Kosten der Behandlung nicht vergessen werden. Ein Jahr unter Biologika kostet die Kassen zwischen 16.000 und 24.000 Euro. Damit mag es auch zusammenhängen, dass die Strategien bei der Behandlung von Rheumatoider Arthritis in Europa unterschiedlich sind. Während die Ärzte in Deutschland und Großbritannien etwa in der Regel mit einer Methotrexat-Monotherapie beginnen, bekommt ein finnischer Patient schon am Beginn eine Kombination mit einem Biologikum.
Adalimumab und Etanercept belegen im Arzneimittelreport 2010 die ersten beiden Plätze bei den umsatzstärksten Medikamenten in Deutschland. Einige der erfolgreichen Wirkstoffe sind erst in den letzten zwei bis drei Jahren zugelassen worden. Noch keine zwei Monate ist es her, dass Science von einem neuen TNF-Blocker mit noch besserer Wirkung im Tierversuch berichtete. Wenn mögliche Nebenwirkungen auch über längere Zeit hinweg genau beobachtet werden und die Kosten möglicherweise durch auslaufende Patente und vermehrte Konkurrenz sinken, könnten in den nächsten Jahren aus den umstrittenen noch nachgewiesene Hoffnungsträger werden.