Seit rund 100 Tagen sorgt das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes, kurz AMNOG, für Ärger bei den Kunden und Angst bei den Apothekern. Jetzt werden die wirtschaftlichen Folgen immer deutlicher sichtbar. Zumindest bei der Packungsgrößenkennzeichnung rudern die Verantwortlichen zurück.
Im Zuge des AMNOG wurden die aut-idem-Kriterien überarbeitet. Nicht mehr der tatsächliche Inhalt einer Packung, sondern deren geänderte N-Größe wurde zum entscheidenden Kriterium. Einige pharmazeutische Hersteller hielten jedoch Aktualisierungen ihrer N-Kennzahlen zurück. Die Apotheken-Software listete daraufhin entsprechende Arzneimittel, obwohl sie nicht den neuen Vorgaben entsprachen, und Retaxationen drohten.
Kein Scherz: Zum 1. April änderte sich der Rahmenvertrag erneut. Der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband beschlossen, dass in bestimmten Fällen auch die bis 2010 gültigen Normgrößen abgegeben werden können. Eine Überarbeitung der entsprechenden Verordnung wird zum 1. Mai rechtskräftig. „Viele Patienten können die neuen Packungsgrößen kaum nachvollziehen“, so Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV). „Mit der neuen Regelung können die Apotheker nun besser auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen und ihnen die Umstellung erleichtern.“ Ein weiteres Ziel ist, den Apothekern im Rahmen der Rabattverträge auch noch die Abgabe alter N-Packungen zu ermöglichen.
Gesetzlich Versicherte erhalten jetzt ihre altbekannten Medikament, wenn auf dem Rezept keine Stückzahl vermerkt wurde, sondern lediglich eine N-Größe. Wie so oft sind weitere Voraussetzungen zu beachten: Gibt es Rabattarzneimittel mit der bis Ende 2010 gültiger N-Zahl, dürfen Apotheken diese auch weiter abgeben. Und spuckt der Computer kein Rabattpräparat aus, können Kollegen selbst entscheiden, ob die alte oder neue N-Spanne zum Zuge kommt. Existieren aber ausschließlich rabattfähige Präparate im neuen N-Bereich, sind nur diese abzuverkaufen.
Wenig Freude mit der Mehrkostenregel
Patienten können auch seit April ein lieb gewonnenes, aber nicht in Rabattverträgen gelistetes Medikament gegen Vorkasse bekommen. Einigen GKVen wird jetzt schon angst und bange: Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Dr. Christopher Hermann, sieht vor allem das Problem, dass Apotheker ihre Kunden in Richtung hochpreisiger Medikamente beraten könnten. Kritische Töne kommen auch aus der Politik: Malu Dreyer (SPD), Gesundheitsministerin in Rheinland-Pfalz, warnt: „Es ist gut möglich, dass Versicherte dabei auf einem nicht unerheblichen Teil ihrer Kosten sitzen bleiben“. Kunden empfiehlt sie, sich in der Apotheke oder Arztpraxis beraten zu lassen – ein schier unmöglicher Vorschlag angesichts der verworrenen Situation.
Das Sterben hat begonnen
Mittlerweile lassen sich auch die wirtschaftlichen Folgen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes beziffern. Im Februar 2001 sanken die Ausgaben der gesetzlichen Versicherer um 5,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Des einen Freud – des anderen Leid: Die Krankenversicherungen jubeln, zeitgleich werden immer mehr Apotheken in die Enge getrieben. Kürzlich brachte eine Umfrage des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg erschreckende Zahlen zu Tage: 96 Prozent der Kollegen erwarten für 2011 deutlich sinkende Erträge. Beispielsweise haben sich die Großhandelskonditionen bei drei Viertel der Befragten verschlechtert. Ein Drittel der Chefs befürchtet zudem, Angestellte entlassen zu müssen oder freie Stellen nicht nachbesetzen zu können. Auch scheinen im Bundesland rund 600 Lehrstellen bzw. Praktikumsplätze für PKA und PTA in Gefahr zu sein. Ähnliche Datenerhebungen laufen nun in mehreren Kammerbezirken, die Ergebnisse werden sich kaum von den kürzlich veröffentlichten Zahlen unterscheiden.
Bei Experten gilt diese Entwicklung als gefährlich, verlieren deutsche Apotheken auf lange Sicht wichtige Fachkräfte. Pharmazeutischer Nachwuchs überlegt sich genau, ob der Weg in Richtung öffentliche Apotheke einschlagen wird. Dabei geht in den nächsten zehn Jahren laut ABDA-Prognose jeder dritte Apothekeninhaber in den Ruhestand, bei den angestellten Apothekern wird es jeder fünfte sein. Auch die im Vergleich zu anderen akademischen Jobs niedrigen Gehälter machen das Berufsbild nicht gerade attraktiv. Die Zeche zahlen bald alle: „Weniger Personal bedeutet auf Sicht auch längere Wartezeiten“, so DAV-Chef Fritz Becker. „Wenn hier nicht gegengesteuert wird, muss die Politik den Bürgern erklären, warum bewährte Versorgungsstrukturen und familienfreundliche Arbeitsplätze vernichtet werden.“
Gesund geschrumpft?
Dennoch gehen die abstrusen Ideen nicht aus. Professor Dr. Justus Haucap, der Vorsitzende der Monopolkommission, will die Konkurrenzsituation unter Apotheken weiter verschärfen. Vor allem sind ihm „der mangelnde Wettbewerb und die Überregulierung“ ein Dorn im Auge. Der Ökonom fordert einen stärkeren Preiskampf, um „Effizienzreserven zu aktivieren“. Sein Modell sieht statt Zuzahlungen, Zwangsrabatten, Fixbeträgen und Logistikpauschalen nur noch eine Apothekentaxe in Höhe von maximal zehn Euro vor. Dieser Obolus ist allein von Kunden zu berappen, kann von der Apotheke aber auch verringert werden. Zudem sollte, so das Gutachten, das Fremd- und Mehrbesitzverbot komplett aufgehoben werden. Ginge es nach Haucap, würden über kurz oder lang bis zu 1000 Apotheken über die Klinge springen. Allein das Einsparungspotenzial ist fraglich – Experten rechnen mit allerhöchstens 1,5 Prozent, eine verschwindend geringe Summe im Vergleich zu anderen Kostenpunkten der Versicherer.
Angesichts dieser Entwicklung wird der Ruf nach einem Honorar für den Versorgungsauftrag der Apotheken immer lauter. Den wirklichen Aufwand, den Kollegen haben, erkannte jetzt auch die Schiedsstelle. Ihre Aufgabe ist, bei der Höhe der Abschlagszahlungen für 2009 zu vermitteln. Gutachter teilten dem Berliner Sozialgericht kürzlich mit, dass die Kosten von Apotheken stärker gestiegen seien als die Honorare, und dass eine Verringerung der Abschlagszahlungen auf sage und schreibe 1,66 Euro gerechtfertigt sei. Selbst der alte Wert von 1,75 Euro wird mittlerweile als zu hoch angesehen. Von einem Ungleichgewicht zu Gunsten der Apotheken könne nicht die Rede sein.