Wenn keine Behandlung mehr anschlägt, können Ärzte trotzdem noch viel leisten: Palliativmediziner versuchen, die Lebensqualität schwerstkranker Patienten zu verbessern. Langsam geben gesetzliche Rahmenbedingungen auch größeren Spielraum.
Krebs, Lungenerkrankungen oder Demenz im Endstadium: Palliativmediziner lindern körperliche und seelische Beschwerden wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Angst oder Unruhe. Auch soziale bzw. spirituelle Aspekte spielen dabei eine große Rolle. Das Konzept: Es gehe nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben, so Cicely Saunders, eine der Begründerinnen des Gebiets.
Untersuchungen der Deutschen Hospiz Stiftung brachten jetzt eklatante Defizite zu Tage: Rund 60 Prozent, in Zahlen etwa eine halbe Million Menschen, bräuchte im letzten Lebensabschnitt eine Begleitung durch Palliativmediziner. Lediglich 71.000 Patienten hätten diese aber bekommen. Im europaweiten Vergleich erreichte Deutschland bei der Verfügbarkeit von palliativmedizinischen Leistungen lediglich den dürftigen 18. Platz, ermittelte die britische Zeitschrift „The Economist“.
Einsatz für das Spezialteam
Den steigenden Bedarf sollen künftig neben Hospizen und Kliniken vor allem Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) decken. In diesen Palliative Care-Teams arbeiten neben Kollegen auch Apotheker, Pflegedienste bzw. Vertreter stationärer Einrichtungen. Entsprechende Leistungen wurden mit der Gesundheitsreform von 2007 auf ein gesetzliches Fundament gestellt wurde. Allein an der Umsetzung hapert es – das Interesse der Kassen, Verträge abzuschließen, ist gering. Dabei läge der Mehrwert auf der Hand: Gesundheitsökonomen aus den USA verglichen die Kosten der SAPV mit den Aufwendungen einer stationären Betreuung: Durch eine ambulante Palliativversorgung lassen sich knapp 7.000 US-Dollar pro Patient einsparen. Doch auch für Kollegen muss sich Leistung lohnen. In Deutschland könnte ein Kollektivvertrag die Situation etwas entschärfen – vor allem für Hausärzte, die momentan Schätzungen zufolge etwa 90 Prozent der Betreuung übernehmen, aber nur über Hausbesuche abrechnen können.
Schmerzen lindern – oder Kosten sparen?
Der Häufigkeit verschiedener Beschwerden gingen Forscher der Eastern Cooperative Oncology Group bei Palliativpatienten mit Krebsleiden nach. Schmerzen erweisen sich als das größte Problem: Rund 70 Prozent der Patienten, die auf einer Palliativstation versorgt werden, kommen mit einer unzureichenden Therapie in die Klinik. Häufig waren zu schwache Opioide bzw. falsche Darreichungsformen das Problem. Dennoch ist Land in Sicht: Im letzten Jahr verzeichnete die Bundesopiumstelle die magische Grenze von zehn Millionen BtM-Rezepten – doppelt so viele wie noch im Jahr 2000. Dies sei laut Prof. Dr. Walter Schwerdtfeger, Chef des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, als Zeichen für die Verbesserung der schmerztherapeutischen Versorgung zu bewerten.
Doch die Rabattverträge bekommen nicht allen gut. Eine Studie mit 424 Patienten zeigte in 76 Prozent der Fälle eine deutliche Zunahme der Schmerzen beim Austausch gegen ein wirkstoffgleiches Präparat. „Die erzielbare Einsparung an Therapiekosten war minimal“, so Dr. Gerhard Müller-Schwefe, einer der Autoren. Dementsprechend fordert die Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie, Opioide aus der Austauschpflicht herauszunehmen. Eine entsprechende Online-Petition wurde mittlerweile von zahlreichen Ärzten und Apothekern unterstützt.
Zankapfel Dispensierrecht
Kürzlich hat die Bundesregierung BtM-Depots bei Palliativeinrichtungen den Weg geebnet. Eine entsprechende Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung ist unter Dach und Fach. Damit können Kollegen in Hospizen und in Einrichtungen der spezialisierten ambulanten Patientenversorgung Notfalldepots anlegen. Ähnlich wie bei der Versorgung von Stationen stellen sie den individuellen Bedarf per BtM-Anforderungsschein zusammen und entnehmen dann bei Bedarf die entsprechenden Präparate.
Doch nicht alle Schwerstkranken profitieren davon. „Es fehlt nach wie vor die Möglichkeit, Betäubungsmittel zur Überbrückung beim Patienten zu lassen“, gibt Heiner Melching von der Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin zu bedenken. Zu diesem Thema beraten momentan Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Ihr Vorschlag: Eigene „palliative Schwerpunktapotheken“ bevorraten BtMs und stellen so eine nahtlose Versorgung von Schmerzpatienten sicher. Auch das Dispensierrecht von Ärzten steht zur Debatte. Eine Anpassung des Betäubungsmittelgesetzes scheint nicht undenkbar zu sein. Bis dato hielt das BMG an der strikten Trennung zwischen Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln fest.
Hoffnungsschimmer Hanf
Die zweite gesetzliche Neuerung: Auch cannabishaltige Fertigarzneimittel können bald regulär zugelassen werden. Zumindest ein entsprechender Antrag liegt dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte bereits vor. Das berichtete die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestag. Das Präparat solle unter anderem bei Krebserkrankungen eingesetzt werden. Zwar fehlen momentan große klinische Studien zur Wirksamkeit bzw. zu möglichen Nebenwirkungen, einzelne Untersuchungen an kleineren Patientengruppen geben aber Anlass zur Hoffnung. Kanadische Ärzte etwa testeten den Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol bei Krebspatienten. Appetitlosigkeit und Übelkeit verbesserten sich in 75 Prozent der Fälle deutlich.
Wie weit gehen?
Lassen sich schwere Symptome nicht mehr lindern, bleibt die palliative Sedierung als letzte Alternative. Kollegen verabreichen dabei Sedativa, um das Bewusstsein der Patienten stark zu dämpfen. Ein italienisches Wissenschaftlerteam wertete jetzt zahlreiche Veröffentlichungen aus. Bei entsprechender Dosierung der Präparate und engmaschiger Kontrolle werde der Tod nicht schneller herbeigeführt, so die Forscher. Daten aus den Niederlanden geben aber zu denken. Statistisch gesehen sank die Zahl der dokumentierten Fälle von Sterbehilfe. Parallel dazu verschieden aber immer mehr Patienten während der palliativen Sedierung – nur Zufall?
In Deutschland führte eine kontroverse Debatte zum ärztlich begleiteten Suizid zu einem unbefriedigenden Ergebnis: Die der Bundesärztekammer stellte klar, dass eine Beihilfe zur Selbsttötung keine medizinische Aufgabe sei. Das Berufsrecht hatte diese Handlungsoption bis dato als unethisch verboten. Eine Änderung der Formulierung musste her, um den Widerspruch zwischen Strafrecht und Berufsrecht zu vermeiden. Jetzt gehe, so Kritiker, die Verantwortung allein auf Kollegen über. Zumindest biete der Deutsche Ärztetag Ende Mai die Chance, etwas mehr Klarheit zu schaffen.