Eine Studie mit niedrig dosiertem THC zeigt: Der altersbedingte Verlust von Lern- und Gedächtnisleistungen kann vollständig umgekehrt werden. Bisher wirkt der Einsatz von Cannabinoiden nur im Mausmodell. Kommt jetzt die neue Therapie für Demenzerkrankungen?
Mäuse eignen sich aufgrund ihrer kurzen Lebenszeit als gutes Modell für Alterungsprozesse. Bereits im Alter von 24 Monaten zeigen sie starke kognitive Defizite. Bislang waren zwei Fakten bekannt: Zum einen verringert sich mit zunehmenden Lebensjahren die Menge der im Gehirn natürlich gebildeten natürlichen Liganden des Endocannabinoid-Systems (CB1 oder CB2). Zum anderen vergreisen transgene Tiere ohne CB1-Rezeptoren wesentlich schneller. CB1 ist häufig im periphären Nervensystem, im Kleinhirn, in den Basalganglien sowie im Hippocampus zu finden. CB2 wird unter anderem auf Zellen des Immunsystems exprimiert.
„Wenn die Aktivität des Cannabinoidsystems abnimmt, dann finden wir ein rasches Altern des Gehirns“, so Professor Dr. Andreas Zimmer vom Institut für Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn. Er untersuchte jetzt, ob extern zugeführtes Tetrahydrocannabinol (THC) aus Cannabis die Wirkung körpereigener Cannabinoide nachahmen könnte. Für seine Studie gab Zimmer Mäusen im Alter von zwei, zwölf oder 18 Monaten vier Wochen lang geringe Mengen an THC oder Placebo. Die Dosis führte nicht zu psychotropen Effekten. Danach testete er zusammen mit Kollegen das Lernvermögen und die Gedächtnisleistungen von Versuchstieren. Nager mit der Scheinmedikation zeigten altersabhängige Leistungen. Mit wachsender Zahl an Lebensmonaten nahmen auch Lern- und Gedächtnisverluste zu. Unter Verum zeigten sich allerdings Leistungen, die Zimmer mit zwei Monate alten Kontrolltieren vergleicht. „Die Behandlung kehrte den Leistungsverlust der alten Tiere wieder komplett um“, berichtet der Forscher. Bei jüngeren Nagern fand er keine Veränderungen durch THC.
Um herauszufinden, wie sich der Effekt biologisch erklären lässt, untersuchte Zimmer Gewebeproben von Versuchstieren und von Kontrolltieren ohne THC-Gabe. Die molekulare Signatur entsprach nach THC-Gabe nicht mehr der von alten Tieren ohne Arzneistoff, sondern glich eher jungen Tieren. Gleichzeitig gab es mehr neuronale Verschaltungen: eine Tatsache, die Forscher mit besseren Lernleistungen beim Experiment in Verbindung brachten. „Es sah so aus, als hätte die THC-Behandlung die molekulare Uhr wieder zurückgesetzt“, fasst Zimmer zusammen.
Er will jetzt im Rahmen einer klinischen Studie untersuchen, ob sich die Wirkung bei Menschen reproduzieren lässt. Dabei profitieren Forschern von umfangreichen Daten. Tetrahydrocannabinol ist lange bekannt und gut charakterisiert. Im Unterschied zu neuen Molekülen aus dem Labor gelten die Risiken von niedrigen Dosen THC als gering. Zimmer hofft, einer neuen Strategie auf die Spur gekommen zu sein, um dem kognitiven Abbau im Alter entgegenzuwirken.