Der schwarze Reiter fuhr im 14. Jahrhundert reiche Ernte ein: Rund ein Drittel der Bevölkerung starb an der Pest. Zwar hat die Medizin seither diagnostische und therapeutische Fortschritte vollbracht, zur Geschichte gehört das Bakterium Yersinia pestis aber nicht.
Entsprechende Zahlen legt die Weltgesundheitsorganisation WHO regelmäßig vor. In den Papieren ist von jährlich bis zu 3.000 Pestfällen die Rede, meist in Afrika, Russland, China, Indien, Süd- und Mittelamerika. Lediglich Einzelfälle werden aus den USA gemeldet, betroffen sind vor allem die Regionen Arizona, New Mexiko bzw. Utah.
Kleiner Biss, große Wirkung
Neben den allseits bekannten Ratten stellen auch andere Nagetiere wie Eichhörnchen oder Präriehunde ein natürliches Reservoir des Pesterregers dar. Ihre bakterielle Fracht bekommen Flöhe dann beim Biss erkrankter, wildlebender Nager. Ist erst einmal die Magen-Darm-Passage durch Yersinien verklumpt, beißt der Blutsauger, immer noch hungrig, erneut zu und das nächste Tier wird infiziert. Eine neue Erkenntnis: Flöhe nutzen auch Haustiere als Zwischenstation und gelangen selbst in die Nähe von Siedlungen mit hohen hygienischen Standards.
Wie der Klimaforscher Nils Stenseth von der Uni Oslo herausfand, verschlechtern sich die Lebensbedingungen der blinden Passagiere immer weiter. Er analysierte dazu Wetterdaten der letzten 56 Jahre. Durch die immer früher einsetzende Schneeschmelze in den Bergen, so Stenseth, sinke die Luftfeuchte in den Höhlenbehausungen der Nagetiere immer weiter ab. Schlechte Karten für die Flöhe – sie benötigen eine gewisse Mindestfeuchte zum Überleben. Steigt der Wassergehalt der Luft aufgrund lokaler Klimaphänomene, schnellt auch die Zahl der Pestfälle in die Höhe, wie Stenseth anhand von den Pazifikanrainerstaaten anschaulich demonstrieren konnte.
Kampf im Körper
Für die Infektion ist die Zahl der Bakterien entscheidend. Mittels molekularbiologischer Techniken hatten David Engelthaler und Kenneth L. Gage vom U.S. Department of Health and Human Services rund 100.000 Yersinia pestis-Keime in einem Floh nachweisen können. Wenige Stunden bis Tage nach einem Biss treten beim Menschen Symptome wie Kopf- und Gliederschmerzen bzw. Fieber auf. Beulen entstehen vor allem im Bereich der Lymphknoten und Lymphgefäße. Nachdem die Erreger in die Blutbahn gelangt sind, breiten sie sich in allen Organen aus, es kommt durch Toxine zu einer lebensbedrohlichen Sepsis.
Dabei werden die Beulen- und Lungenpest prinzipiell vom gleichen Erreger hervorgerufen, Unterschiede sind noch nicht mit letzter Konsequenz verstanden. Über das hoch infektiöse Sputum können beim Befall der Lunge gesunde Menschen angesteckt werden – eher unwahrscheinlich bei der Beulenpest. Im Gegensatz zu Influenza-Viren sind Yersinien aber in der Luft mehreren Studien zufolge nicht sonderlich stabil. Ein weiteres makaberes Kriterium: Da Patienten unbehandelt sehr rasch sterben, die Mortalitätsrate liegt bei über 90 Prozent, sind größere Epidemien unwahrscheinlich. Weitaus harmloser ist die abortive Pest – sie klingt nach leichten bis mittelschweren Symptomen von selbst ab und verschafft den Patienten eine gewisse Immunität.
Messfühler mit Mehrfachwirkung
Doch zwischen Floh und Mensch liegen biochemische Welten. Besonders trickreich: Ein Pestbakterium erkennt quasi, wo es sich gerade befindet. Rattenflöhe sind eher kühlere Artgenossen, und bei 24 Grad Körpertemperatur heißt es, erst einmal abwarten. Als Thermometer dient das Eiweiß RovA, wie Forscher am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung an verschiedenen Yersinia-Spezies herausfanden. Damit nicht genug: Diese Eiweiß-Sonde bestimmt auch die Nährstoffe und die Stoffwechselaktivität. „Die Funktion von RovA in dieser Form ist bei Bakterien einzigartig“, sagt Arbeitsgruppenleiterin Petra Dersch. „Umso überraschender war dann, dass RovA als Thermometer verschiedene Prozesse steuert und sich dabei selbst reguliert.“ RovA erleichtert das Eindringen in die Zellen. Nach einer Infektion schlägt bei 37 Grad Celsius für das Bakterium die Stunde der Wahrheit. Da unser Immunsystem verräterische Oberflächeneiweiße schnell erkennen könnte, werden dieses kurzerhand vom Bakterium abgebaut. Der Eindringling macht sich quasi unsichtbar für die körpereigene Abwehr.
Diagnostik to go
Umso wichtiger ist eine effektive Diagnostik. Gut ausgestattete Labors weisen Yersinien anhand ihres charakteristischen Erbguts nach. Auch bakteriologisch ist eine Identifizierung möglich. Gerade in den Entwicklungsländern besteht jedoch die Notwendigkeit einer schnellen und einfachen Methode. Braunschweiger Forscher kombinierten dazu einen spezifischen Antikörper, der an Oberflächenstrukturen von Yersinia andockt, mit kleinen, magnetischen Kügelchen. Vor Ort wird das Reagens mit einer Plasmaprobe des Patienten vermischt. Professor Mahavir Singh vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung: „Im Diagnosegerät koppeln sich diese Komplexe an eine speziell beschichtete Oberfläche an und werden einem Magnetfeld ausgesetzt. Ein Detektor misst anschließend nicht nur, ob Pestproteine in der Lösung vorhanden sind, sondern kann auch ihre Konzentration bestimmen.“ Das neue System solle auch in abgelegenen Landstrichen ohne funktionierende medizinische Infrastruktur einsetzbar sein.
Rasch eingreifen
Dann ist Schnelligkeit Trumpf. Ansonsten enden auch heute noch Yersinia-Infektionen tödlich, falls Kollegen diese nicht rechtzeitig erkennen. Kein Wunder, sind bei den anfänglichen Symptomen wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen zunächst etliche andere Krankheiten zu erwarten. Bei rechtzeitiger Diagnose, und genau das ist der Knackpunkt, kann eine Pestinfektion mit Antibiotika gut behandelt werden. Dabei haben sich Tetrazykline, Sulfonamide, Streptomycin oder Chloramphenicol bewährt. Auch eine Schutzimpfung steht mittlerweile zur Verfügung.
Lasst die Toten sprechen
Ein Blick zurück: War Yersinia pestis wirklich für die großen Epidemien des Mittelalters verantwortlich? Forscher hatten in der Vergangenheit gelegentlich auch Milzbrand oder Fleckfieber als Übelbringer in Erwägung gezogen. Eine Gruppe von Anthropologen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz wollte es genau wissen. Die Wissenschaftler organisierten Skelette aus vermeintlichen Pestgräbern in Deutschland, Italien, England, Frankreich und den Niederlanden. Alte DNA, aus Zähnen oder Knochen isoliert, überführte zusammen mit immunologischen Methoden den Übeltäter Yersinia pestis. Und nicht nur das. „Unsere Befunde lassen vermuten, dass die Pest über mindestens zwei Kanäle nach Europa eingeschleppt wurde und dann jeweils eine individuelle Route genommen hat“, so Dr. Barbara Bramanti, Institut für Anthropologie. Die Überraschung: Anhand von 20 Markern ließ sich weder die Varianten „Midevalis“ noch „Orientalis“ nachweisen. Stattdessen kamen die Forscher zwei bisher unbekannten Spielarten auf die Spur, von denen zumindest eine heute nicht mehr existiert. Die andere stimmt genetisch mit der Version überein, die bei lokalen Pestausbrüchen in Asien isoliert werden konnte. Mit den Daten gelang sogar die Rekonstruktion einiger Ausbreitungswege: Bereits 1347 wanderte das Bakterium aus Asien über klassische Handelswege ins französische Marseille, dann weiter durch Frankreich bis nach England. Hingegen ließ sich in den Niederlanden eine andere Variante nachweisen – Indizien für eine Infektionsroute via Norwegen und Norddeutschland.
Schönheitsfehler hat das Szenario dennoch: Die Geschwindigkeit, mit der die Epidemie über Stadt und Land zog, lässt sich nicht mit Ratten und ihren blinden Flohpassagieren in Einklang bringen. Tierärzte haben einen Ausbreitungsradius von maximal 20 Metern pro Woche ermittelt, historische Quellen lassen aber Rückschlüsse auf Strecken von 20 bis 25 Kilometern pro Woche zu. Eine mögliche Erklärung fanden Wissenschaftler der Uni Marseille. Didier Raoult, Chef der Abteilung Klinische Mikrobiologie, hält die Kleiderlaus für den Überbringer allen Übels. Das Tierchen scheidet nach einer Infektion nahezu zwei Wochen Pestbakterien mit dem Kot aus, und könnte so die Seuche über Kleidungsstücke übertragen. Damit sei, so Raoult, nicht die Wanderung der Ratten entscheidend für den schwarzen Tod gewesen. Vielmehr hätten Menschen selbst entlang der Reiserouten für die Übertragung gesorgt – ein Phänomen, damals so aktuell wie heute.