Einige Jahre dürfte es noch dauern, bis erste synthetische Zellen im Labor entstehen, deren Erbgut und Stoffwechsel nicht nur künstlich hergestellt, sondern auch am Reißbrett geplant wurde. Viele Bausteine sind aber bereits im Bio-Baumarkt erhältlich. Jedoch nicht für jeden.
„Und Gott machte alle Arten von Tieren des Feldes, von Vieh und von Kriechtieren auf dem Erdboden. Gott sah, dass es gut war.“ Auch wenn nur wenige Darwins Evolutionstheorie bestreiten, kennen die meisten Christen die Verse aus der Bibel. Nun aber schicken sich Menschen an, es Gott gleich zu tun. Das ganz große Ziel der Forscher im Bereich der Synthetischen Biologie: Leben in einer Weise kreieren, die es in der Natur bisher nicht gegeben hat.
Pockenvirus-Genom im Postfach
Im letzten Jahr gelang dem bekannten Humangenom-Sequenzierer Craig Venter die Erschaffung von Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0, eines Bakteriums mit normalem Stoffwechsel und Vermehrung. In der DNA-Synthesefabrik ließ das Team das gesamte Erbgut eines Mycoplasma mycoides Stamms nachbauen und setzte ihn in die Zellhülle einer verwandten Art ein.
Vier Jahre zurück: Die Redaktion der britischen Zeitung „The Guardian“ bestellt erfolgreich große Teile des Variola-Pockenvirus-Genoms und bekommt die DNA in den angegebenen Briefkasten. Schon ein Jahr vorher bauten Wissenschaftler den ausgestorbenen Stamm des Influenzavirus der Spanischen Grippe von 1918 zusammen. Wohin führt der Weg der Synthetischen Biologie, die es erlaubt, die gefährlichsten Feinde des Menschen zum Leben zu erwecken?
Neue Proteine aus neuen Aminosäuren
Die Werke von Craig Venter und seinem Team sind in den Augen vieler Experten nichts anderes als synthetische Kopien von bereits vorhandenem Material. Wenn es aber um die Neuschöpfung von Leben geht, das es bisher so noch nicht gegeben hat, so steht der neue Forschungs- und Biotechnologiezweig noch ziemlich am Anfang. Fragt man jedoch nach Visionen, dann sehen die Bio-Ingenieure eine goldene Zukunft voraus.
So bestehen viele natürliche Wirkstoffe wie die Antibiotika Vancomycin oder das Immunsuppressivum Cyclosporin aus zyklischen Peptiden mit Aminosäuren, die nicht von der DNA kodiert werden. Ein neuer genetischer Code mit vier statt drei Basenpaaren pro Aminosäure könnte das Repertoire der Synthesemöglichkeiten von 63 denkbaren Kombinationen (43 - Stop-Codon) auf 255 (44-1) ausdehnen. Entsprechend „umkonstruierte“ Ribosomen mit ähnlicher Effizienz bei konventionellen Basen-Triplets gibt es bereits. Die erweiterte Auswahlmöglichkeit von den bisher 20 natürlichen Aminosäuren auf viele weitere mit zahlreichen Modifikationen ermöglicht es, neue funktionelle Gruppen zu bauen und neue Eigenschaften für Proteine zu konstruieren.
Ein anderes Beispiel ist der Bau von neuen biologischen Schaltkreisen. Ein Signalmolekül der Wahl startet den Schaltkreis ein. Der produziert daraufhin ein bestimmtes Stoffwechselprodukt wie etwa einen Fluoreszenzfarbstoff. Über eine Rückkopplung schaltet sich der Schaltkreis auch wieder von alleine ab, ehe ihn weitere Signale wieder anschalten. Mitarbeiter der Universität Edinburgh stellten so etwa schon 2006 ein Bakterien-System zur Entdeckung von Arsen in Trinkwasser vor. Das Reaktionsprodukt dieses Sensorsystems war eine Säure, die sich mit einem pH-Meter einfach detektieren ließ. In Stanford arbeitet das Team von Christina Smolke an RNA-Sensoren, die auf Signale von Tumorzellen reagieren und sie via Gen-Schalter zum Absterben bringen oder die Immunabwehr entsprechend aktivieren sollen.
Bio-Baumarkt in Boston
Wenn bei der Synthetischen Biologie nicht jeder sein eigenes Synthesesüppchen kochen soll, ist es wichtig, standardisierte Bauteile zu verwenden. „Biobricks“ heißen sie in der entsprechenden Terminologie, der zugehörige Baumarkt ist das Registry of Standard Biological Parts, angesiedelt am Massachusetts Institute of Technology in Boston. Rund 3500 spezifische DNA-Sequenzen, Proteinketten oder RNA-Moleküle stehen dort Bastlern zur Verfügung, um ihren Ideen freien Lauf zu lassen.
Wie weit darf aber diese Freiheit gehen? Die Herausforderung, aber auch die damit verbundene Gefahr der Synthetischen Biologie liegt darin, dass auch Experten bisher nicht voraussagen können, wie zusätzliche Systeme mit der vorhandenen Zellmaschinerie interagieren. Ein Projekt, dem sich auch das Craig-Venter-Institut widmet, ist daher die Reduktion der genetischen Grundausstattung einer Zelle auf diejenigen Elemente, ohne die ein Überleben nicht mehr möglich ist. Aber auch dann sind selbst leistungsstarke Computer vorerst nicht in der Lage, ungeplante Wechselwirkungen anzuzeigen. Eine Freisetzung von manipulierten neuem Leben kommt damit nicht in Frage.
Gen-Datenbank-Screen und Schwarze Listen
Während Craig Venter mit dem Pharmakonzern Novartis über die nächsten drei Jahre zusammenarbeitet, um synthetische Influenza-Impfstämme für Grippeschutzimpfungen zu entwickeln, könnten sich unter den kreativen Zell-Architekten aber auch böswillige Subjekte finden. Aufgeschreckt vom „Erfolg“ des „Guardian“ haben sich amerikanische und europäische Unternehmen, die Bio-Bausteine wie DNA nach Maß vertreiben, auf Sicherheitsrichtlinien gegen Bioterrorismus geeinigt. Jede DNA-Sequenzorder wird mit Datenbanken für gefährliche Mikroorganismen abgeglichen. Tödliche Toxingene bekommen nur renommierte Institute mit nachweislichem Forschungsinteresse. Geneart in Regensburg, der weltweit größte synthetische Genproduzent, verschickt seine Aufträge grundsätzlich nicht an Postfächer, eine Praxis, die vor einigen Jahren noch üblich war. Der Auftraggeber für jedes DNA-Stücks muss sich einem Abgleich mit „Schwarzen Listen“ wie etwa die der „Australia Group“ stellen.
Eine absolute Sicherheit gegen den Werkzeugmissbrauch der Synthetischen Biologie wird es auch in Zukunft aber nicht geben. Vorerst, so meint der Sprecher von Genart, ist ein Einbruch in ein Forschungslabor wohl noch leichter als der Zusammenbau gefährlicher Erreger aus vielen kleinen Schnipseln. Dennoch hat sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften Acatech in diesem Forschungsbereich schon sehr früh, 2009, zu einer umfangreichen Stellungnahme zu Chancen, aber auch Risiken entschlossen. „Gott sah dass es gut war.“ betrifft im weiteren Sinn die Evolution von Pflanze, Tier und Mensch. Bei der Synthetischen Biologie sollten wir uns nicht auf Gott verlassen.