Als Krebszelle hast du es etwas schwerer, wenn du in einem weiblichen Körper steckst. Im Schnitt erkranken Männer häufiger an Krebs als Frauen. Ursachen für die unterschiedliche Quote können hormonabhängige Auslöser und die weibliche Einstellung zum eigenen Körper sein.
Die Statistik ist ungerecht: Das Lebenszeitrisiko für eine Tumorerkrankung beträgt beim Mann 51, bei der Frau sind es „nur“ 43 Prozent. Männer erkranken also häufiger an Krebs und die entarteten Zellen übernehmen schneller die Kontrolle über den Körper, wie aus den Zahlen des Robert-Koch-Instituts „Krebs in Deutschland“ hervorgeht.
Auch die Überlebensrate nach fünf oder zehn Jahren ist bei Frauen höher als bei Männern. Schaut man sich die Zahlen etwas genauer an, zeigt sich, dass der Vorteil des weiblichen Geschlechts nicht über das ganze Leben hin gleich ist. Wie eine Doppel-S-Kurve schlägt das Krebsrisiko im Verlauf des Lebens einmal nach der einen, einmal nach der anderen Seite aus. Während bis zum 20. Lebensjahr mehr Männer an Krebs erkranken, sind es bis zum 40. Lebensjahr wesentlich mehr Frauen. Besonders im Alter zwischen 35 und 40 lässt der weibliche Körper im Vergleich zum männlichen wesentlich mehr Tumoren wachsen. Im höheren Alter sind dann jedoch wieder die Männer weitaus mehr als Frauen gefährdet.
Schaut man auf das Risiko für einzelne Tumorarten, sieht man auch hier beim ersten Blick die Dominanz der Männer. Die EUROCARE-4 Studie zeigte deutlich bessere Chancen für Frauen bei 16 von 26 Krebsarten. Unterschiede in der Häufigkeit gibt es vor allem bei Tumoren der Gallengänge und Gallenblase, der Harnblase und bei Leukämien. Dort ist sowohl die Erkrankungshäufigkeit als auch die Mortalität signifikant höher als bei Männern. Umgekehrt sieht es bei den häufigen Tumoren von Kolon und Lunge, aber auch Leber und Magen aus. Sowohl bei der Erkrankungsrate als auch bei der Sterberate sind die Männer hier den Frauen deutlich voraus. Die Dominanz bei Tumoren der Gallenblase, so vermuten Experten, könnte darauf zurückgehen, dass sich besonders häufig nach Schwangerschaften Gallensteine bilden, die zu einer Entzündung des umliegenden Gewebes führen. Chronische Entzündungen aber begünstigen die Entwicklung von Tumoren. Ein eher seltener Tumor, der vor allem bei Männern vorkommt, ist das Pleuramesothelium. Seine Ursachen liegen bei Asbestfasern, mit den vor allem Männer bis 1993 in Berührung kamen. Aufgrund der langen Latenzzeit erkrankten im Jahr 2013 aber immer noch jährlich rund 1.000 Männer und 320 Frauen daran. 70-80% der Mesotheliome gehen wohl auf Asbest zurück. Frauen sind vor allem davon betroffen, wenn sie die Kleidung ihrer Männer abgebürstet hatten.
Beim malignen Melanom der Haut unterscheiden sich die Erkrankungsraten nicht erkennbar zwischen den Geschlechtern. Allerdings sterben weitaus mehr Männer an diesem aggressiven Tumor. Das könnte daran liegen, so spekulieren Experten, dass auch aufgrund der Unterschiede bei der Bekleidung entsprechende Veränderungen der Haut eher auffallen – und vielleicht auch daran, dass Frauen generell eher auf ihren Körper Acht geben. Wolf-Dieter Ludwig beim Bundeskongress für Gender-Gesundheit 2016 © Georg Lopata/ Institut für Gender-Gesundheit e.V. „Das Immunsystem ist bei Frauen wirksamer in der Bekämpfung des Krebses.“ Wolf-Dieter Ludwig vom Helios Klinikum in Berlin-Buch fasste die bisherigen Erkenntnisse anlässlich des Bundeskongresses für Gender Medizin in Berlin im Mai letzten Jahres zusammen, der unter dem Motto stand, „Geschlechtsspezifische Aspekte in der Onkologie“. Auch wenn die molekularen Ursachen eines Melanoms noch weitgehend unbekannt sind, ruft der Hautkrebs doch eine starke Immunreaktion hervor. In einem Melanom-Modell der Maus profitierten weibliche Mäuse weitaus mehr von einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren gegen PD-L1 und einer damit aufgehobenen Hemmung von regulatorischen T-Zellen. Zusätzlich könnte die unvollständige Inaktivierung des zweiten X-Chromosoms zum Krebsstart beitragen. Hier finden sich doppelt so viele Konzentrationen an microRNA (miRNA) wie auf Autosomen. Sie spielen bei der Regulation der meisten proteinkodierenden Gene nach der Transkription eine wichtige Rolle. Ein Verlust dieser Kontrolle ist eng mit der Krebsentstehung verknüpft. Für Melanome ist diese Rolle nachgewiesen.
Beim Schilddrüsenkrebs ist die Erkrankungsrate bei Frauen höher, bei Männern ist der Krebs aggressiver. Auf der Suche nach den Hintergründen nutzte eine Gruppe des amerikanischen National Cancer Instituts ein transgenes Mausmodell. Kastration führt dort zu deutlich geringeren Raten bei Weibchen und „harmloserem“ Krebs bei Mäusemännern. Marker dafür waren die höhere Expression einzelner Tumorsuppressorgene und in der Folge eine gesteigerte Anti-Tumor-Aktivität von CD8 T-Zellen und Makrophagen. Die betreffenden Tumorsuppressorgene haben regulatorische Bindungsstellen für Testosteron. Eine Zugabe des Sexualhormons bei den kastrierten Tieren förderte wiederum den entstehenden Tumor. Sexualhormone könnten auch beim häufigen Kolorektalkarzinom eine Rolle spielen. Östrogene könnten dort möglicherweise vor dem Tumor schützen. Bei Frauen nach der Menopause sind die Raten bei jenen um rund 40 Prozent niedriger, die sich für eine Hormonersatztherapie entschieden haben. Gleichzeitig ist die Überlebenszeit gegenüber Männern im Alter von 18 bis 44 Jahren sogar bei Spätphasen des Krebses deutlich länger. Blasenkrebs tritt zwar bei Männern deutlich häufiger auf, bei Frauen finden sich bei der Diagnose hier jedoch häufiger fortgeschrittene Tumorstadien. Auch hier beeinflussen Sexualhormone die Entwicklung des Tumors, dazu werden betreffende Karzinogene in der Leber wohl unterschiedlich schnell abgebaut. Schließlich wird die zugehörige Hämaturie bei Männern meist deutlich früher als Zeichen für entartete Urothelialzellen erkannt.
Auch bei der Tumortherapie gibt es zwischen den Geschlechtern erhebliche Unterschiede. So wird die Dosierung von Zytostatika seit mehr als einhundert Jahren zumeist nach der Körperoberfläche berechnet, nicht jedoch nach anderen wichtigen Faktoren wie Fett- oder Muskelmasse. Einige Wirkstoffe wie etwa 5-Fluorouracil werden aber bei Frauen und Männern unterschiedlich schnell abgebaut. Der schnellere Einbau in die Nukleinsäurestränge und die längere Halbwertszeit nutzt zwar meist den Frauen, sorgt aber für stärkere Nebenwirkungen. Anthrazykline sind bei Frauen stärker kardiotoxisch. Der unterschiedlich schnelle Abbau gilt jedoch nicht universell für Zytostatika: Bisherige Studien fanden bei Paclitaxel und Docetaxel keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Im Hinblick auf Nebenwirkungen bei pädiatrischen Tumorerkrankungen sind Frauen generell im Nachteil: Mehr als Männer reagiert ihr Gehirn auf Bestrahlung mit geringerer kognitiver Leistungsfähigkeit oder mit Osteoporose bei der Gabe von Steroiden. Mädchen neigen nach einem Tumor des zentralen Nervensystems mehr als Jungen zu Übergewicht.
Dass Frauen bessere Chancen bei einer Krebserkrankung haben, hängt nicht zuletzt auch mit ihrer Psyche zusammen. Im Allgemeinen verfügen sie über mehr Bewusstsein für ihren Körper und tun sich auch leichter, mit ihrem Arzt offen darüber zu sprechen – eine gute Voraussetzung für eine wirksame Therapie. Insgesamt, so machten die Referenten auch auf dem Bundeskongress für Gender Medizin vor einem Jahr deutlich, haben sich die Überlebenschancen bei Krebs für beide Geschlechter deutlich verbessert. Beim Ausbruch einer Krebserkrankung vor fünf Jahren leben zur Zeit noch 62 Prozent der Männer und 67 Prozent der Frauen. Dennoch lässt sich auch an der Gender-Schraube in der Onkologie noch weiter drehen. Dabei geht es vor allem um geschlechtsangepasste Chemotherapie und unterschiedliche Strategien bei der Prävention. Aufgrund des höheren Risikos sollten Männer einige Jahre früher mit der Darmkrebsvorsorge beginnen. Auch wer sich die Geschlechterverteilung bei onkologischen Studien ansieht, sieht ganz ohne Mühe noch einigen Verbesserungsbedarf. Öffentlich finanzierte Studien sind der angestrebten Quote an weiblichen Teilnehmern meist näher als privat finanzierte. In den allermeisten Fällen liegt die Rate der Teilnehmerinnen unter der Inzidenz für ihr Geschlecht. Aber nur wenn mehr Informationen über unterschiedliche Mechanismen bei der Entstehung, dem Verlauf und der Behandlung von Krebs bei Mann und Frau verfügbar sind, sinken die Überlebenschancen für entartete Zellen unabhängig davon, ob sie sich in einem männlichen oder weiblichen Körper befinden.