Über das PJ wird viel geklagt: schlechte Bezahlung, schlechte Behandlung, kein Lernfortschritt. Im Internet lässt sich herausfinden, in welcher Stadt und in welchem Fach das PJ am schlimmsten ist. Die Erfahrungsberichte wecken nur wenig Vorfreude auf die lang ersehnte Praxis.
Das Praktische Jahr - das Jahr in dem die in 5 Jahren erlernte medizinische Theorie unter Anleitung erfahrener Ärzte praktisch angewendet werden kann oder ein frustrierendes Dasein als billige Arbeitskraft zum Blutabnehmen und Haken halten? In welcher Stadt und in welcher Fachrichtung leiden die PJ-ler am meisten?
Auf PJ-Ranking.de können Medizinstudenten ihr PJ benoten und einen Bericht hinterlassen. Aus den Noten wird ein Ranking erstellt, aus dem ersichtlich wird, in welchen Ländern, Städten, Krankenhäusern und in welchen Fachrichtungen die Lehre und Stimmung am besten oder schlechtesten ist. Diese Seite ist nicht nur praktisch, damit man sich vor einem anstehenden PJ ansehen kann, was auf einen zukommt, sondern gibt die Möglichkeit einer Evaluation und dadurch eine Hoffnung, dass die Bedingungen für die PJ-ler sich in Zukunft möglicherweise noch bessern.
Greifswald: Top - Lübeck: Flop
Wenn man die Universitätsstädte im Vergleich ansieht, stehen Greifswald und Hannover an erster und zweiter Stelle was die Gesamtnote und die Stimmung angeht. Auf dem vorletzten und letzten Platz rangieren Gießen und Lübeck. In Punkto Lehre steht Heidelberg an Platz eins. Natürlich ist diese Benotung nicht das Maß aller Dinge, sondern der Durchschnitt aller Bewertungen. Beispielsweise schneidet die Elite-Uni Heidelberg zwar insgesamt sehr gut ab, aber auch ein paar schlechte Bewertungen sind natürlich dabei. Außerdem ist es wichtig zu bedenken, dass die Bewertungen subjektiv sind und in den nicht aus allen Städten gleich viele Studenten bei der Evaluation mitmachen, was die Ergebnisse nicht völlig vergleichbar macht.
Chirurgen bekommen schlechte Noten
Signifikantere Ergebnisse sind bei den Bewertungen der Fachrichtungen zu finden. Fächer wie Psychsomatik, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychiatrie und Neurologie kommen sehr gut an und belegen die ersten Plätze. Neben den Nervenärzten scheinen aber auch die Augenärzte und Anästhesisten ein Herz für Studenten zu haben.
Wenn man das Ende der Ranking-Liste betrachtet, fällt eine Fachrichtung auf, die in all ihren Spezialitäten ziemlich schlecht ankommt: Chirugie. Allgmein-, Viszeral- und Unfallchirurgie stehen in der Gesamtbewertung, in Bezug auf die Lehre und die Stimmung auf den niedrigsten Rängen. Auch HNO, Angiologie und Gynäkologie sind insgesamt unbeliebt.
Etwas traurig ist es schon, da jeder Student ein PJ-Tertial in der Chirurgie absolvieren muss. Enttäuschend ist es für diejenigen, die an dem Fach Chirurgie interessiert sind und motiviert wären, im PJ mehr zu erlernen und sich aktiv an der Stationsarbeit und im OP zu beteiligen. Studenten, die sowieso nicht viel von Chirurgie erwarten und eine allgemeine Abneigung (vielleicht entstanden durch die Schwierigkeit ein solch handwerkliches Fach gut theoretisch zu vermitteln) gegen dieses Fach verspüren, werden in ihren Annahmen wahrscheinlich bestätigt werden.
Zum Blutabnehmen braucht man kein Studium
Interessant wäre doch nun zu wissen, was denn genau im PJ so enttäuschend an dem Fach Chirurgie ist. Dies kann man in Erfahrung bringen wenn man sich die Berichte auf der Internetseite durchliest. Immer wieder - in den verschiedensten Städten - fallen ähnliche Beschwerdepunkte auf. Und trotz des herzlosen Rufs der Chirurgen, kann man hier noch geschockt werden.
Klar herauszukristallisieren sind als Hauptaufgaben des PJ-lers Blutabnahmen, Viggos legen, Aufnahmen machen und Haken halten. „Man wird wie eine Blood-nurse und nicht wie angehender Kollege angesehen“, ist eine der Aussagen zu den Zuständen auf einer Station der Allgemeinchirurgie. Zum Teil gibt es am Morgen so viele Blutabnahmen, die erledigt werden müssen, dass der PJ-ler es nicht zu der Frühbesprechung oder zu den Visiten schafft. Vorteil ist natürlich, dass man nach dem PJ dann hoffentlich weniger Venen zersticht, aber wäre das die einzig wichtige Fähigkeit des Arztes, könnte das Studium auch weniger lang sein.
Die oft überlasteten Ärzte sind zwar sehr stark auf die Arbeit der PJ-ler angewiesen, zeigen aber zum Teil keinerlei Dankbarkeit oder Anerkennung. Anstatt den fleißigen Studenten mit Anleitungen, Erklärungen oder „Bed-side-Teaching“ zu belohnen, wird er eher angeschrien, sobald etwas nicht schnell genug oder nicht nach ihren Vorstellungen abläuft. Erschreckend ist das Zitat eines Arztes aus einem der Berichte: „Du bist hier um uns die Arbeit abzunehmen“. Da erkennt man die anscheinend weit verbreitete Vorstellung, der PJ-ler sei erfunden worden als eine billige Arbeitskraft um den Ärzten unter die Arme zu greifen.
Zum Teil wird den Studenten nicht einmal mit Respekt entgegen getreten. Einige machen die Erfahrung, nicht mit Namen, sondern nur in dritter Person angesprochen zu werden: „PJler? Viggo jetzt!“. Auch die Stimmung bei den Ärzten untereinander und mit dem Pflegepersonal ist in vielen Fällen angespannt, was bei solch einem Verhalten nicht sehr wunderlich ist.
Eine Arbeit für die der PJ-ler abgesehen von Blutabnahmen noch bestimmt ist, sind Patientenaufnahmen. Natürlich ist das eine wichtige Aufgabe und gute Übung. Schade ist nur, dass viele Studenten berichten, dass sie nach den täglich zahlreichen Aufnahmen nicht die Möglichkeit haben, die Patientengeschichte weiterzuverfolgen. Das heißt, dass sie erstmal wenig Beurteilung oder konstruktive Kritik über ihre Arbeit bekommen und auch von der weiteren Diagnostik und Behandlung nichts mehr mitbekommen.
OP-Erfahrung: Haken und Klappe halten
Im Laufe des Tages kann es sein, dass der PJ-ler in den OP gerufen wird und seine Aufnahmen und Blutabnahmen prompt unterbrechen muss – die natürlich im Anschluss unabhängig von der Tageszeit weitergeführt werden müssen. Im OP ist weder die Stimmung besser, noch die Motivation der Chirurgen dem Studenten etwas zu erklären oder gar beizubringen. Dort ist die Hauptaufgabe einen Haken oder eine Extremität zu halten. Und das gerne mehrere Stunden am Stück. Wenn mal die Kraft beim Halten nachlässt, wird man angeschrien, wenn man etwas fragt, wird man schräg angeguckt. Was eigentlich erwartet wird ist „Haken halten und Klappe halten“. Alternativ kann es aber auch sein, dass man steril in zweiter Reihe herum steht, ignoriert wird und sich fragt, was man eigentlich dort macht. Ob das besser ist, ist eine ganz andere Frage.
Aus Motivation wird Zeit absitzen
Die Fortbildungen und der Unterricht werden von den Studenten zwar gelobt, nur leider fällt dieser häufiger mal aus und oft verpasst der „biologische Hakenhalter“ diese auch wegen seiner „Tätigkeiten“ im OP. Wenn es mal einen netten Assistenzarzt gibt, der gerne etwas erklären würde, geschieht dies zwischen Tür und Angel und eher kurz, wegen des Zeitdrucks und der Arbeitsbelastung. Viele PJ-ler bemerken die Auswirkungen des Ärztemangels für das Stationsteam. Ein Assistenzarzt ist aber keine Garantie für einen Ansprechpartner: auch der Satz „Beschwer dich nicht, ich durfte im PJ auch nichts anderes machen!“ soll schon gefallen sein.
Dies alles resultiert in einer hohen Frustratration des PJ-lers. Nach anfänglichen Versuchen Eigeninitiative zu zeigen und nachzufragen, ob er dies und das mal sehen oder ausprobieren dürfe und dieses immer nur schlecht ankommt und die Stimmung verschlechtert, will er eigentlich nur durchhalten und die Zeit absitzen oder besser abarbeiten. Aussagen wie „Was Chirurgie ist, habe ich dort nicht kapiert“ und „Nach 4 Monaten konnte ich noch keine Wunde vernünftig beurteilen oder einen ordentlichen chirurgischen Status erheben“ lassen einen zweifeln, ob das Praktische Jahr für den Studenten unter diesen Umständen überhaupt irgendwie sinnvoll ist.
Nicht nur in den Berichten der Chirurgie-Tertiale sind solche Zustände aufzufinden. Auch in vielen anderen Fachrichtungen, besteht das PJ oft kaum aus Weiterbildung, sondern aus monotoner, anstrengender und nicht sehr lehrreicher Arbeit. In der Angiologie fühlen sich auch einige als Blutabnahme- und Aufnahmesklave. Durch den hohen Patientendurchlauf, beginnt der Berg an Arbeit jeden Tag von neuen und man verpasst Visiten oder Lehrveranstaltungen. In der Nephrologie muss man zwar keine Haken halten, aber manche PJ-ler wünschten sich auch Übungen in Sonographie oder im ZVK legen zusätzlich zu der täglichen Durchführung von oGTT und den Tätigkeiten als Blutsauger.
Fazit: ernüchternd
Wenn man in einer der Städte studiert, in dem das PJ generell eher schlecht bewertet wird, könnte man nun zu dem Schluss gelangen, man sollte sich lieber direkt ins Ausland absetzten, vor allem für das Chirurgie-Tertial. Oder sollte man die Strapazen einfach über sich ergehen lassen? Härtet es vielleicht ab und man muss einfach akzeptieren, dass man als PJ-ler ganz unten in der Krankenhaus-Hierarchie steht? Andererseits kann man auch über die schlechten Arbeitsbedingungen sprechen und hoffen, dass sich für die zukünftigen PJ-ler etwas ändert. Damit das PJ für alle ein lehrreiches Jahr wird, bei dem man auch mit Freude Blutabnehmen und Haken halten kann, wenn man dazu auch etwas lernt.