Wer beim Neurofeedback auf dem Monitor seinen eigenen Gedanken zusieht, kann bestimmte Denkmuster ausschalten oder trainieren. Dass das etwa bei Konzentrationsschwächen oder Schlafstörungen funktioniert, haben nicht nur Pilotstudien erwiesen.
Ein ganz normales EEG? Mit zahlreichen Elektroden am Kopf sitzt der Patient gemütlich im Stuhl. Vor ihm beschreibt der Rechner auf dem Monitor die Signale, die von den elektrischen Lauschern ins Kopfinnere kommen. Aber etwas ist anders. Der Patient interessiert sich wesentlich mehr als der Arzt für die angezeigten Grafiken aus verarbeiteten Rohdaten. Sie verändern sich ständig: Mal erscheint ein Blumenfeld mit leuchtenden Farben, mal dann wieder wird das Bild blass und grau.
Sich beim Denken zusehen
Die Daten aus dem EEG des Patienten wandern nicht einfach in die Patientenakte, sondern sind hier Mittel zum Zweck. Wenn der Patient fast gleichzeitig - real time - das Ergebnis der Aktivität seines zentralen Nervensystems zu sehen bekommt, kann er es mit etwas Übung auch selber beeinflussen. Leuchtende Farben, wenn die Nervenzellen entsprechend der Vorgabe bestimmte Gehirnregionen dämpfen oder mit Volldampf arbeiten lassen. Trübes Winterwetter, wenn der Patient seine Gedanken in die falsche Richtung lenkt. Das ist Neurofeedback - sich selber beim Denken zusehen.
Mentale Störungen ohne die Erzeugnisse der Pharmaindustrie behandeln und die Nervenzellen im Gehirn fast einzeln anzusprechen - das erinnert an Münchhausen, der sich an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht - das klingt für einige nach wie vor nach Scharlatanerie und Quacksalberei. Dabei finden sich zu dieser Behandlungsstrategie immer mehr Erfolgsberichte auch in renommierten Fachzeitschriften - und immer mehr Krankheitsbilder, in denen diese Methode zu signifikanten Verbesserungen führt.
Ausbalancierte Theta- und Betawellen
Beispiele? Nicht nur einzelne Berichte wundersamer Heilungen, sondern systematische Untersuchungen gibt es unter anderem für die Aufmerksamkeits-Defizit-Störung ADHS. Holger Gevensleben von der Uniklinik Göttingen publizierte im letzten Jahr eine große Studie mit mehr als 100 Kindern. Auch mehr als ein halbes Jahr nach den Neurofeedback-Übungen waren die Testergebnisse noch besser als etwa bei einem computergestützten Aufmerksamkeitstraining. Im Mittelpunkt des Trainings stand dabei ein Gleichgewicht von Beta- und Theta-Wellen, das bei ADHS-Patienten gestört ist. „Auch Kinder mit ADHS können lernen, ihre Gehirnströme zu kontrollieren“, erläutert etwa Ulrike Leins von der Universität Tübingen in Gehirn und Geist.
In der Praxis betrachtet der Schüler den Bildschirm, auf dem ein Junge auf einem Seil balanciert. Um das „Spiel“ zu gewinnen, muss er seine Gedanken so in Ordnung bringen, sodass die Theta-Aktivität verringert und die der Betawellen erhöht wird. Jedes mal, wenn das gelingt, bringt er den Artisten einen Schritt weiter in Richtung Ziel. Ähnlich verläuft das Training für langsame kortikale Potentiale (SCP), die für die kortikale Exzitabilität stehen. Hier besteht die Aufgabe etwa darin, eine Kugel von ihrer Geraden nach oben (= Abnahme der Exzitabilität) oder unten (Zunahme) abzulenken. Andere Programme arbeiten mit Bildern wie einer Blumenwiese und welkenden Pflanzen. „Buzz: A Year of Paying Attention“ ist ein Buch der ADHS-betroffenen Pulitzer-Preisträgerin Katherine Ellison über die Therapie ihres Sohns - auch mit Hilfe von Neurofeedback, von dem sie in einem großen Artikel in der New York Times erzählt.
Tele-Neurofeedback
Epilepsie, Autismus und chronische Schmerzsyndrome wie Fibromyalgie sind andere Experimentierfelder für diese Technik. Neurofeedback, ernsthaft als Therapieoption eingesetzt, sollte immer unter der Aufsicht eines Experten stehen, muss aber nicht in dessen Praxis stattfinden. Die Untersuchungen von Aisha Cortoos aus Brüssel zeigen, dass inzwischen sogar Tele-Feedback erfolgreich ist. Unter ihrer Anleitung bei den ersten Kontakten mit dem EEG und dann unter telefonischer und Online-Betreuung trainierten Patienten, die unter Schlaflosigkeit litten, zu Hause ihre Theta-Wellen und steigerten damit ihre effektive Schlafzeit.
In die Klinik kommen muss dagegen auf jeden Fall, wer eine genauere Lokalisation der Nervenzentren braucht, die es zu trainieren gilt. Im Gegensatz zum „oberflächlichen“ EEG sitzen die Elektroden bei der Elektrokortikografie unter der Schädeldecke auf der Kortexoberfläche. Fehlende Störsignale erhöhen die Empfindlichkeit und Spezifität. Der direkte Gehirn-Kontakt birgt aber auch Gefahren, wie etwa die einer Infektion. Bisher beschränken sich deswegen die Erfahrungen auf Kurzzeit-Implantate bei chirurgischen Eingriffen an Epilepsie-Patienten und an Tierversuchen mit Affen. Schon weiter ist man mit einer Technik, bei der funktionelle Magnetresonanz die Daten generiert. Sie erlaubt es, sich beim Mentaltraining an der Aktivität bestimmter Gehirnstrukturen zu orientieren. Nora Volkow vom amerikanischen „National Institute for Drug Abuse“ gelang es so, das Verlangen nach Suchtbefriedigung mit Alkohol oder Nikotin von der vermeintlichen „Belohnung“ abzukoppeln.
FDA: Entspannungshilfe ohne medizinische Indikation
All diese Trainingssitzungen kosten aber viel Geld, zumeist liegt der Betrag im vierstelligen Bereich. Mangels großer Studien ist auch die US-Gesundheitsbehörde FDA noch nicht von der Wirksamkeit des Neurofeedback überzeugt und stuft es als Hilfe zur Entspannung, aber noch nicht wirksam für medizinische Indikationen ein. Dementsprechend zahlen die Kassen auch bei uns nur in Ausnahmefällen die Behandlung. Dort, wo die Grenzen zwischen Biofeedback einschließlich Neurofeedback und etwa Bioresonanz verwischen, sind die Fronten zwischen Kritikern und Anhängern noch ziemlich starr, wie auch die Reaktionen auf einen Biofeedback-Artikel bei DocCheck im Herbst letzten Jahres gezeigt haben. Wenn es etwa um die motorische Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten mittels Elektromyografie-Feedback geht, kommt auch ein systematischer Cochrane-Review zu keinen klaren Ergebnissen und verlangt nach mehr Studien.
Jenseits aller medizinischen Indikationen forschen Feedback-Experten bereits an weiteren Anwendungsmöglichkeiten. fMRI-Neurofeedback könnte soziopathischen Verbrechern helfen, fehlende Signale von der Amygdala wiederzugewinnen. Denn ohne negative Einordnung ihrer Taten durch den Mandelkern könnten viele Kriminelle ihre Schuld gar nicht erkennen, davon ist Niels Birbaumer von der Universität Tübingen überzeugt.
Um den Vorwurf teurer Scharlatanerie loszuwerden, müssen sich Biofeedback-Anwender wohl in Zukunft einer strikten Qualitätskontrolle unterziehen. Die amerikanische „International Society for Neurofeedback and Research“ hat damit bereits begonnen. Einige Mitglieder sind vom Biofeedback Institute of Amerika zertifiziert und haben sich zu einem „Code of Ethics“ für ihre Therapien verpflichtet. Zusammen mit weiteren Studienbeweisen und sinkenden Kosten könnte das vielleicht auch die Kassen von der Wirksamkeit von Neurofeedback überzeugen.