Bisher gilt sie als vernachlässigte Tropenkrankheit: die Chagas-Krankheit, die von Raubwanzen übertragen wird. Nun zeigt sich, dass sie häufiger zu Todesfällen führt als bisher angenommen. In Europa bleibt die Infektion oft unerkannt, ist sie hier doch vermeintlich selten.
Die Chagas-Krankheit (Trypanosomiasis) ist eine Tropenkrankheit, die in ganz Süd- und Mittelamerika bis in den Süden der USA verbreitet ist. Sie wird durch den Parasiten Trypanosoma Cruzi hervorgerufen und von blutsaugenden Raubwanzen übertragen. Insgesamt sollen mehr als 18 Millionen Menschen mit dem Erreger infiziert sein. Am häufigsten tritt sie bei Bewohnern von Slums in Großstädten auf. Die Menschen schlafen nachts teilweise auf dem Boden, wo sich die Raubwanzen bevorzugt aufhalten. Durch Migration, Tourismus und internationalen Warentransport wurde die Chagas-Krankheit in den letzten 40 Jahren auch in andere Kontinente eingeschleppt. Die WHO listet sie als eine der 17 wichtigsten vernachlässigten Tropenkrankheiten auf. Eine neue Untersuchung von Spinello Antinori und seinem Team von der Universität Mailand zeigt jetzt, dass die Chagas-Krankheit auch in Europa immer häufiger vorkommt – insbesondere in Ländern mit vielen Einwanderern aus Lateinamerika, dazu zählen Spanien, Italien, Frankreich, die Schweiz und Großbritannien. So beträgt die Infektionsrate mit Trypanosoma Cruzi bei lateinamerikanischen Einwanderern in Europa etwa vier Prozent, wobei sie bei Einwanderern aus Bolivien mit etwa 18 Prozent am höchsten ist. Insgesamt leben zur Zeit etwa 3,5 Millionen lateinamerikanische Einwanderer in Europa. Neben der Übertragung durch Raubwanzen kann die Erkrankung auch durch Bluttransfusionen, von der infizierten Mutter auf den Embryo, durch infizierte Muttermilch oder in seltenen Fällen durch Organtransplantationen übertragen werden, berichtet das Forscherteam. Auch Lebensmittel, die mit dem Kot der Raubwanze verunreinigt sind, können ein Ansteckungsweg darstellen. „Durch das inzwischen weit verbreitete serologische Screening von Blutspenden in den betroffenen Ländern wird das Risiko der Übertragung durch Bluttransfusionen zwar vermindert, aber nicht völlig ausgeräumt“, so die Experten.
Bisher ging man davon aus, dass das Sterberisiko im nicht-symptomatischen Stadium der Erkrankung nicht höher ist als in der gesamten Bevölkerung. So tritt zwischen der akuten Erkrankung und einem späteren chronischen Stadium meist eine Latenzphase auf, in der die Betroffenen keine Symptome haben. Eine aktuelle Studie aus Brasilien kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass das Sterberisiko auch in der symptomfreien Phase mehr als verdoppelt ist. Die Forscher um Ligia Capuani von der Universität São Paulo analysierten rückblickend die Daten von Personen, die zwischen 1996 und 2000 in São Paulo Blut gespendet hatten. Dabei verglichen sie 2.842 Blutspender, bei denen der Chagas-Erreger nachgewiesen worden war, mit 5.684 Blutspendern ohne den Erreger. Von den Probanden mit Chagas-Erreger starben 5,6 Prozent im Lauf der Studie, während es bei den übrigen Teilnehmern nur 1,8 Prozent waren. Wurden nur Todesfälle berücksichtigt, die direkt auf die Chagas-Krankheit oder damit verbundene Herzprobleme zurückzuführen waren, hatten Probanden mit dem Erreger sogar ein 18-fach erhöhtes Sterberisiko. „Allerdings wurde die Erkrankung selbst bei Patienten, die positiv getestet worden waren und an Herzproblemen starben, oft nicht als Todesursache genannt“, berichten die Forscher. „Vermutlich wird die Chagas-Krankheit in den brasilianischen Todesregistern zu selten als Todesursache angegeben.“
Bei der Chagas-Krankheit tritt nach dem Stich einer infizierten Raubwanze und der Übertragung des infizierten Kots in die Wunde zunächst eine Schwellung um die Einstichstelle auf. Diese befindet sich oft in der Nähe des Auges oder der Lippen. Als nächstes kommt es bei etwa einem Drittel zu einer akuten Infektion mit Fieber, Schwellungen der Lymphknoten, Kopfschmerzen und Quaddeln auf der Haut. Weitere Symptome können Luftnot, Ödeme, Durchfall und Bauchschmerzen sein. Die Symptome klingen nach etwa vier Wochen wieder ab. Sie können mit einem grippalen Infekt verwechselt werden. Etwa 70 Prozent der Infizierten bleiben für den Rest ihres Lebens symptomfrei, während es bei etwa 30 Prozent nach einer Latenzphase, die mehrere Jahre dauern kann, zu einer chronischen Erkrankungsphase kommt. Typische Veränderungen sind eine Vergrößerung des Herzens (Kardiomegalie), die zu Symptomen wie Herzrasen und Leistungsschwäche führt. Häufig kommt es auch zu einer Zerstörung von Nervenzellen im Verdauungstrakt und zu einer massiven Vergrößerung der Speiseröhre (Megaösophagus) und des Dickdarms (Megakolon). Die Veränderungen können schließlich zum Tod durch Darmverschluss, Darmdurchbruch oder Bauchfellentzündung führen. Unbehandelt sterben etwa 10 Prozent der Infizierten an der Chagas-Krankheit. Säuglinge, Kleinkinder und Menschen mit Immunschwäche sind besonders gefährdet. Die Chagas-Krankheit ist zudem die häufigste infektiöse Ursache für Erkrankungen des Herzmuskels (Kardiomyopathien). Antinori und sein Team berichten, dass in Europa bei etwa 11 bis 19 Prozent der Patienten mit chronischer Chagas-Krankheit eine Kardiomyopathie vorliegt.
Die Chagas-Krankheit sei in Europa vor allem deshalb ein Problem, weil viele Ärzte sie nicht kennen und bei der Behandlung von betroffenen Patienten folglich auch nicht an diese Erkrankung denken würden, so die Mailänder Forscher. Bisher gebe es in Europa weder Screening-Programme für die Chagas-Krankheit noch eine gezielte Ausbildung zu Diagnostik und Behandlung. Dabei könnte die Zahl der Patienten im chronischen Stadium in Europa in Zukunft sogar noch deutlich zunehmen – etwa durch die Alterung der Bevölkerung oder durch eine Behandlung mit immunsuppressiven Medikamenten, die zum Ausbruch der chronischen Phase führen können. „Die Einrichtung von Screening-Programmen in Europa könnte eine kosteneffektive Methode sein, um eine Infektion rechtzeitig zu erkennen“, schreiben die Forscher. „Wenn ein Verdacht auf die Chagas-Erkrankung besteht, sollten die Betroffenen an entsprechend spezialisierte Zentren verwiesen werden, wo die Diagnose gestellt und eine Behandlung eingeleitet werden kann.“ Die Autoren listen am Ende ihres Artikels solche Zentren auf. In Deutschland sind dies die Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité Berlin, das Institut für Tropenmedizin und internationale Gesundheit der Charité und die Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin der LMU München. Darüber hinaus sei es wichtig, Aufklärungskampagnen durchzuführen, um eine weitere Ausbreitung der Erkrankung in Europa zu vermeiden, schreiben Antinori und sein Team. Sinnvoll sei auch eine durchgehende Kontrolle von Blutspenden. Weiterhin sollten Ärzte – insbesondere Internisten – stärker auf die Erkrankung aufmerksam gemacht werden. So sollten Ärzte und andere Fachkräfte im Gesundheitssystem das Risiko der Übertragung von Chagas-Erregern durch Blutspenden und Organtransplantationen sowie von der Mutter auf den Embryo kennen. „Schließlich sollten Ärzte in der Lage sein, die häufigsten und schwerwiegendsten Komplikationen der chronischen Chagas-Krankheit zu erkennen und zu behandeln – insbesondere die krankhafte Vergrößerung des Herzens, der Speiseröhre und des Dickdarms“, so die Forscher.
In der akuten Phase erfolgt die Behandlung der Chagas-Krankheit mit Benznidazol oder Nifurtimox. Beide Medikamente sind in Europa bisher nicht zugelassen und beide können starke Nebenwirkungen mit sich bringen. Wegen einer möglichen schädigenden Wirkung auf den Embryo sollten sie nicht in der Schwangerschaft genommen werden. Bisher sind sie jedoch die einzig wirksamen und von der WHO empfohlenen Arzneimittel gegen die Chagas-Krankheit. Allerdings hat eine aktuelle Studie ergeben, dass Benznidazol bei der chronischen Form der Erkrankung nur eine geringe Wirksamkeit hat. „Es ist daher dringend weitere Forschung notwendig, um bessere Maße für das Fortschreiten der Erkrankung zu finden und neue Behandlungsmöglichkeiten mit weniger Nebenwirkungen zu entwickeln“, betonen die Forscher um Ligia Capuani.