Immer mehr kleine Frühgeborene kommen erfolgreich über die Perinatalperiode. Doch wie kommen sie im späteren Leben klar? Eine Langzeitstudie aus den USA zeigt, dass sie sich ganz ordentlich machen: Sie werden – ganz US-amerikanisch – „produktive Erwachsene".
Die Fortschritte der Neonatologie gehören zu den eindrucksvollsten Entwicklungen in der Medizin der letzten Jahrzehnte. Very Low Birth Weight-Babies oder VLBW-Babies, also Frühchen mit einem sehr niedrigen Geburtsgewicht von weniger als anderthalb Kilogramm, sind zwar nicht medizinischer Alltag. Aber mit einem Anteil von rund einem Prozent an allen Geburten sind sie auch nicht wirklich selten. Und: Ein großer Anteil dieser Kinder schafft es heute durch die kritische Neugeborenenperiode hindurch. Darum, wie hoch genau dieser Anteil ist beziehungsweise unter idealen Bedingungen sein kann, gibt es derzeit einige Diskussionen, vor allem im Zusammenhang mit dem Thema Mindestmengen in der Perinatalmedizin. Grob gesagt überleben in den unterschiedlichen Statistiken etwa fünf von sechs Kindern, teilweise auch mehr. Portugal gilt international mit einer landesweiten Mortalität bei VLBW-Kindern von 15 Prozent als vorbildlich.
US-Ökonom betreibt Neugeborenenmathematik
Die Gruppe der VLBW-Babies wird heute in der Neonatologie noch weiter unterteilt. Kinder, die bei Geburt weniger als ein Kilogramm in die Waagschale werfen, werden als Extremely Low Birth Weight-Babies bezeichnet. Bisher wenig untersucht ist die Frage, was aus diesen sehr, sehr kleinen Neugeborenen später wird. Entwickeln sie sich ganz normal? Haben sie als Erwachsene eine ähnliche Ausgangsposition wie Kinder mit normalem Geburtsgewicht? Nachdem die Zahl der erwachsenen ehemaligen VLBW-Frühchen und damit auch die Zahl der ehemaligen extrem kleinen VLBW-Frühchen steigt und steigt, können entsprechende Untersuchungen mittlerweile gemacht werden. Die aktuellste Arbeit aus diesem Bereich wurde jetzt in der Fachzeitschrift Pediatrics veröffentlicht – nicht von Pädiatern, sondern von Ökonomen. Die Wissenschaftler um John Goddeeris von der Michigan State University (MSU) haben sich mit der Frage beschäftigt, ob aus extrem kleinen VLBW-Babies mit weniger als einem Kilogramm (2.2 pounds) Geburtsgewicht im späteren Leben denn auch wirklich produktive Erwachsene werden.
Der Hintergrund ist klar. Neugeborenenmedizin bei diesen sehr kleinen Kindern ist richtig teuer. Die Mortalität bei dieser nicht sehr großen Gruppe von Frühchen liegt um 30 Prozent. Die Frage an den Ökonomen lautete demnach, ob sich das für eine Gesellschaft rechnet. Mal unabhängig davon, wie man zu dieser utilitaristischen Herangehensweise an das Thema Frühgeborenenmedizin ethisch stehen mag, sind die Daten, die Goddeeris im Rahmen eines breiter angelegten Forschungsprojekts zusammengetragen hat, doch sehr aufschlussreich. Sie entstammen einer prospektiven (!) Kohorte von 149 VLBW-Kindern mit extrem geringem Geburtsgewicht, die an der McMaster University in Toronto Anfang der 80er Jahre auf die Welt kamen. Als Vergleich diente eine ebenfalls prospektive Kohorte von 133 Kindern mit normalem Geburtsgewicht derselben Geburtsjahrgänge. Solide Forschung also, die entsprechend hochrangig veröffentlicht wurde. Die Publikation steht auf dem MSU-Server zum Download bereit.
„Produktive Erwachsene“
Was kam raus? Grob gesagt kommt Goddeeris zu dem Schluss, dass sich die Fortschritte in der Neonatalmedizin aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive rechnen: „Einige extrem leichte Frühgeborene werden dauerhaft auf andere angewiesen bleiben. Aber die meisten schaffen einen erfolgreichen Übergang ins Erwachsenenalter und werden zu unabhängigen und produktiven Erwachsenen“, so der Ökonome.
Unterschiede zwischen den Gruppen gab es allerdings schon, auch wenn Goddeeris die relativ tief hängt. Konkret hat sich der Ökonom unter anderem Ausbildung und Einkommensverhältnisse der ehemaligen Mini-Frühchen angesehen. In der die Veröffentlichung begleitenden Pressemeldung klingt es so, als gäbe es hier kaum Unterschiede zu den normalgewichtigen Kindern. Die Originalpublikation klingt in diesem Punkt allerdings etwas anders, auch wenn Störgrößen, vor allem der unterschiedliche familiäre Hintergrund, heraus gerechnet wurden. So war die Wahrscheinlichkeit, dass ein junger männlicher Erwachsener, der ehemals ein Mini-Frühchen gewesen war, eine universitäre Ausbildung einschlug, um signifikante 22 Prozent geringer. Und die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen High School-Abschlusses war bei Jungen 14 Prozent geringer. Bei Mädchen/Frauen waren die Unterschiede zwischen ehemaligen Frühchen und ehemals normalgewichtigen Babies deutlich weniger ausgeprägt und überwiegend nicht signifikant.
Auch beim durchschnittlichen Arbeitseinkommen schneiden vor allem die männlichen ehemaligen Mini-Frühchen schlechter ab als ihre Altersgenossen. Sie verdienen rund 27 Prozent weniger. Goddeeris macht allerdings darauf aufmerksam, dass die Erhebung des Gehalts zwangsläufig zu einem relativ frühen Zeitpunkt im Erwerbsleben erfolgte und entsprechend begrenzt aussagefähig ist. Insgesamt seien die Unterschiede zwischen den Gruppen aus ökonomischer Sicht nicht besonders ausgeprägt, so Goddeeris in der Gesamtschau. Perinatalmedizin lohne sich demnach nicht nur menschlich, sondern auch ökonomisch.