Die Ära der „Blockbuster“ mit Milliarden-Umsätzen ist in der Herzkreislauf-Therapie wahrscheinlich vorbei. Aber spannende Entwicklungen gibt es weiterhin. Dies gilt vor allem für Gerinnungs- und Plättchenhemmer zur Prävention von Schlaganfällen, Herzinfarkten und Embolien.
Der Bedarf an solchen neuen Wirkstoffen ist groß. Denn ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen haben Millionen von Menschen. Allein in Deutschland gibt es rund eine Million Menschen mit Vorhofflimmern, einem der wichtigsten Schlaganfall-Risikofaktoren. In Europa sind es um die sechs Millionen Menschen, die von der Herzrhythmusstörung betroffen sind. 2050 werde es sogar mehr als doppelt so viele Patienten mit Vorhofflimmern geben, warnten vor einem Jahr Kardiologen der Initiative „Action for Stroke Prevention“ und des „Kompetenznetzes Vorhofflimmern“. Hinzu kommen noch die Patienten, die wegen einer großen Gelenk-Operation oder einer künstlichen Herzklappe Gerinnungshemmer benötigen. Und Plättchenhemmer wie ASS oder Clopidogrel sind seit Jahren Standardpräparate bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit und implantierten Stents.
Die Klassiker: gut, aber nicht optimal
Die verfügbaren Medikamente, Vitamin-K-Antagonisten wie Warfarin und Plättchenhemmer wie Clopidogrel, sind zwar unstreitig ein Fortschritt, haben aber - wie alle Medikamente - auch Nachteile. Die Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten ist sehr schwierig, da die Gerinnung äußerst präzise gesteuert werden muss, damit keine Thromboembolien oder zerebralen Blutungen auftreten. Clopidogrel etwa hat, außer, dass er natürlich ebenfalls mit einem erhöhten Blutungsrisiko einhergeht, das Problem, bei zwei bis 14 Prozent der Bevölkerung nicht ausreichend zu wirken.
Seit Jahren bemühen sich daher Wissenschaftler, bessere Wirkstoffe zu entwickeln. Schon relativ weit in der Entwicklung sind etwa Apixaban (Bristol-Myers Squibb/Pfizer) Edoxaban (Daiichi-Sankyo), TAK-442 (Takeda), Betrixaban (Portola/MSD) und Darexaban (Astellas). Ihre Nasen ganz weit vorne, etwas salopp formuliert, haben allerdings Dabigatran, Rivaroxaban und Ticagrelor.
Dabigatran - besser als der Klassiker
Besonders gut im Rennen liegt Dabigatran (Pradaxa®), von dem es 2009 bei der Präsentation von Studiendaten hieß, dass es eine neue Ära der Gerinnungshemmung einleite. Die im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte RE-LY-Studie hatte nämlich ergeben, dass Dabigatran in der 150-Milligramm-Dosierung (2x täglich) bei der Prävention von Schlaganfällen und Embolien dem Klassiker Warfarin überlegen ist und dies nicht mit einer höheren Rate an Hirnblutungen bezahlt wird. Aufgrund der Ergebnisse vor allem dieser Studie und obwohl der Vergleich von Dabigatran und Warfarin nicht verblindet war, erhielt der Gerinnungshemmer von Boehringer-Ingelheim im Oktober die Zulassung für die Prävention thromboembolischer Komplikationen bei Vorhofflimmern.
Aktualisierte Daten: mehr Herzinfarkte
Vor der Zulassung hatte die FDA jedoch um eine erneute Analyse der RE-LY-Daten gebeten. Der Grund war die Befürchtung, dass möglicherweise nicht alle Komplikationen erfasst worden waren. Die Studienautoren holten diese Analyse selbstverständlich nach. Die aktualisierten Daten erschienen Anfang November in einem Brief an das „New England Journal of Medicine“. Nach Angaben der Studienleiter ändern die neuen Daten nichts an dem positiven Gesamtresultat. So blieb unter der 150-Milligramm-Dosis die relative Risikoreduktion beim primären Endpunkt mit 35 statt 34 Prozent so gut wie gleich. Keine Änderung gab es zudem beim Parameter „schwere Blutungen“: Der Unterschied blieb nicht-signifikant. Beim Faktor Herzinfarkt ergab die Re-Analyse sogar Positives für Dabigatran: Aus dem signifikant erhöhten Risiko (plus 38 Prozent im Vergleich zu Warfarin) wurde ein nicht-signifikant erhöhtes (plus 27 Prozent). Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die, dass die Herzinfarktrate unter Dabigatran zugenommen hatte - von 0,74 auf 0,81 Prozent pro Jahr (unter 2x 150 mg). Allerdings ergab die neue Analyse auch bei Warfarin mehr Infarkte (0,64 statt primär 0,53 Prozent pro Jahr). Die höhere Infarktrate unter Dabigatran führte jedoch zu keiner Zunahme der kardiovaskulären Sterblichkeit. Der geringe Anstieg bei den Infarkten habe, so die Studienautoren, nur eine begrenzte Relevanz.
Kritische Stimmen gibt es dennoch. Bei den veröffentlichen RE-LY-Daten fehlten Angaben zur Gesamtrate schwerer Komplikationen, kritisierte kürzlich der Pharmakologe Dr. Aaron Tejani von der „Therapeutics Initiative“ der Universität von „British Columbia“ in Vancouver unter anderem im „Canadian Journal of Hospital Pharmacy“. Ohne genaue Informationen zur Rate aller schwerwiegenden Komplikationen sei es aber nicht möglich, das Nutzen-Risiko-Verhältnis korrekt zu bewertet. Nur ein Problem sei zudem die erhöhte Rate an gastrointestinalen Blutungen. Unter der 150-Milligramm-Dosis sei die Rate schwerer gastrointestinaler Blutungen um 47 Prozent erhöht, die Rate lebensbedrohlicher Magen-Darm-Blutungen sogar um 62 Prozent. Gastrointestinale Symptome (Dyspepsierate rund zehn Prozent) waren wahrscheinlich auch ein Grund dafür, dass in RE-LY ein Fünftel der Patienten von Dabigatran auf Warfarin wechselten.
Rivaroxaban: mindestens so gut wie der Klassiker
Der Gerinnungshemmer von Boehringer-Ingelheim ist aber nicht das einzige Präparat, in das Kardiologen große Hoffnungen setzen. Als viel versprechend gilt auch Rivaroxaban, ein oraler Faktor Xa-Hemmer von Bayer-Schering. Im Gegensatz zu Dabigatran muss er nur einmal täglich eingenommen werden, was aber nicht unbedingt ein Pluspunkt ist: Eine Tablette kann leicht vergessen werden. Bei Rivaroxaban wären dies 100 Prozent der Tagesdosis, bei Dabigatran 50.
Ein Grund für die großen Erwartungen sind die Ergebnisse einer doppelblinden Vergleichsstudie mit Warfarin bei Patienten mit Vorhofflimmern, die im November auf dem Kongress der US-Kardiologen in Chicago präsentiert wurde: Diese Studie (ROCKET AF) ergab, dass Rivaroxaban Schlaganfällen mindestens ebenso gut wie Warfarin vorbeugt und das Risiko für Blutungen nicht erhöht. Anders formuliert: Der Faktor Xa-Hemmer ist nicht schlechter. Ob er allerdings überlegen ist, kann nicht sicher gesagt werden. Die Auswertung der Daten ergab je nach Methode signifikante wie auch nicht-signifikante Ergebnisse. Die Studie ist außerdem bislang nur punktuell veröffentlicht worden.
Ticagrelor: die EMA sagt ja, die FDA vorerst nein
Als Hoffnungsträger - und zwar beim akuten Koronarsyndrom - gilt auch der Plättchenhemmer Ticagrelor. In Europa wurde der Konkurrent von Clopidogrel und dem seit 2009 zugelassenen Prasugrel Anfang Dezember zur Prävention atherothrombotischer Komplikationen zugelassen. Die Entscheidung der Zulassungsbehörde, der „EMA“, basierte unter anderem auf der PLATO-Studie, in der sich das Präparat im Vergleich zu Clopidogrel als klar wirksamer erwiesen hatte, ohne mit mehr schwerwiegenden Blutungen einherzugehen. Die Studien-Daten zu Ticagrelor sind 2009 im „New England Journal of Medicine“ und Anfang 2010 im „Lancet“ publiziert worden. Von der FDA jedoch hat Ticagrelor noch nicht die Zulassung erhalten. Die US-Behörde fordere zwar keine weiteren Studien, aber eine neue Analyse der PLATO-Studie, teilte das Unternehmen Mitte Dezember mit.
Sicher keine Schnäppchen, aber...
Welcher „Hoffnungsträger“ das Rennen machen und vielleicht den Klassiker Warfarin ablösen wird, kann derzeit niemand mit Gewissheit sagen. Mangels direkter Vergleichsstudien ist ohnehin keine seriöse Aussage möglich, welche Substanz die beste ist. Bedarf gibt es nach Einschätzung vieler Kardiologen für eh für mehrere Präparate. Wesentlich entscheidend für den Erfolg werden die Arzneimittel-Kosten sein. Und da haben Klassiker wie die Vitamin-K-Antagonisten und das als Generikum verfügbare Clopidogrel natürlich die Nase vorne. Doch auch bei medizinischen Therapien gilt: Das beste Schnäppchen kann sich langfristig als sehr teuer erweisen. Insofern gilt auch hier der Spruch des Kaisers: „Schau‘n mer mal“!