Bei kaum einem Studiengang wird so viel gedopt wie bei den Medizinstudenten: Der Griff zu Stimulanzien im Lernalltag wird immer häufiger. Der Ausbau der eigenen Leistungsfähigkeit durch die Einnahme von Medikamenten ist längst kein rein US-amerikanisches Phänomen mehr.
Kaum ein Arzt kann ohne Kaffee leben. Kein Wunder, denn der Koffeinkonsum ist bereits während des Studiums nahezu obligatorisch. Wer in Deutschlands Lernräume schaut, kann beobachten was für die meisten Studenten Normalität ist: Wer keinen Kaffee verträgt, trinkt Tee. Wer keinen Tee mag, trinkt Energiedrinks. Die tägliche Ration Koffein zu erhalten ist einfach und gesellschaftlich akzeptiert. Koffein, eines der wirksamsten Stimulanzien überhaupt, ist nicht vom Dealer sondern in der Mensa subventioniert zu beziehen. Und das schon seit Jahrhunderten. Langsam aber sicher schwappt jetzt allerdings auch der Trend des "Hirndopings", der von den Fachleuten Brain- oder Neuro-Enhancement genannt wird, aus den USA hinüber.
Laut aktuellen Umfragen lernen mehr und mehr Studenten unter Medikamenteneinfluss. Gerade Pharmazie- und Medizinstudenten seien anfällig. Allerdings stiegen auch die Zahlen bei Schülern beständig. Bereits 2005 gaben in einem Paper 8,2% der US-amerikanischen Studenten an, mindestens einmal Stimulanzien im Rahmen von Prüfungsvorbereitungen genommen zu haben. Auch in Deutschland nimmt dieser Trend zu. Aus den vorläufigen Ergebnissen einer Studie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Mainz geht hervor, dass ca. 1,8% der befragten Medizinstudenten bereits Hirndoping praktiziert hätten. Mit dieser Zahl liegen sie allerdings noch hinter den Studenten der Pharmazie und Wirtschaftswissenschaften. Interessant ist auch, dass fast zwei Drittel hierbei auf illegale und nur ein Drittel auf verschreibungspflichtige Stimulanzien zurückgreifen.
Was ist Neuro-Enhancement?
Aber wo fängt Neuro-Enhancement eigentlich an? Um diese Frage zu erörtern muss man zunächst die häufigsten Mittelchen und ihre gewünschte Wirkung einteilen. Große Verbreitung haben Stimulanzien wie Koffein oder Ginkopräparate, die noch durch verschreibungspflichtige Medikamente wie Ritalin und auf der illegalen Seite von Drogen wie Kokain ergänzt werden. Sie sind sogenannte „Wachmacher", durch die das Konzentrationsvermögen länger aufrechterhalten werden kann. Dass uns im Studium beigebracht wird, dass Methylphenidat, der Wirkstoff von Ritalin, zu einem der am wenigsten risikobehafteten und bestuntersuchtesten Medikamente zählt, trägt sicherlich auch zu dem hemmungslosen Gebrauch unter den Studenten bei. Aktuelle Studien zweifeln diese Wirkung von Ritalin in Gesunden allerdings an. Doch alles nur Placebo?
Die zweite Gruppe beschränkt sich auf Präparate, die Aufregung und Prüfungsängste lindern sollen. Das prominenteste Beispiel hierbei sind wahrscheinlich Beta-Blocker, die von einigen Studenten kurz vor der Prüfung genommen werden. Aber auch hier ist Vorsicht geboten. Jeder reagiert anders auf die Präparate und eine Überdosierung passiert schnell. Nebenwirkungen wie Kreislaufprobleme, aber auch psychische Phänomene wie eine ausgeprägte Gleichgültigkeit, sind nicht selten.
Besser, schneller, weiter?
In der dritten Klasse findet man Präparate die sogar die kognitiven Fähigkeiten nicht nur unterstützen, sondern sogar verbessern. Hierbei taucht vor allem der Wirkstoff Modafinil in der Literatur auf, der für die Behandlung von bestimmten Schlafstörungen zugelassen ist. Wissenschaftliche Untersuchungen berichten hierbei unter anderem von Verbesserungen des Arbeitsgedächtnisses, der visuellen Merkfähigkeit und Planungsfertigkeiten. Das US-Militär, das im übrigen schon seit langem ausführliche Untersuchungen zu dem Thema macht und deren Ergebnisse sogar veröffentlicht, empfiehlt die Einnahme von Modafinil ihren Jetpiloten.
Schaut man weiter in die Giftschränke der Studenten, findet man Medikamente, die im weitesten Sinne auch noch zum Hirndoping gezählt werden können. Zumindest führen sie zu einer Anpassung der Verhaltensweisen. Zum Beispiel findet man Beruhigungs- und Schlafmittel, die während der Lernphasen genommen werden. Viele haben durch die Aufregung Probleme mit dem Ein- und Durchschlafen oder kommen abends nicht zur Ruhe, wenn sie den ganzen Tag gelernt haben. Das Spektrum reicht auch hier von Baldriantee bis zu Benzodiazepinen. Vielleicht würde auch eine Runde Joggen von dem Schlafengehen funktionieren?
Weiterhin haben viele auch das Aspirin für sich entdeckt. Es hilft nicht nur gegen die Katerkopfschmerzen, sondern führt, vor dem Alkoholkonsum genommen, über die Blockade bestimmter Transporter im Tubulussystem der Niere zu einem geringerem Wasserverlust durch den Alkohol und damit einem nicht so schlimmen Kater. Trotz Party kann am nächsten Tag weitergelernt werden.
Keine Hemmung - man weiß ja wie es wirkt
Ganz offensichtlich scheinen Medizinstudenten und auch Studenten anderer medizinnaher Studiengänge eine niedrigere Hemmung bei der Einnahme von Medikamenten zu haben. Sie glauben zu wissen, wie die Präparate wirken und das Risiko damit einschätzen zu können. Der Umgang wird auch dadurch begünstig, dass viele Medizinstudenten einen vereinfachten Zugang zu den Mitteln besitzen. Im Krankenhaus haben sie Zugriff auf die Medikamentenschränke und ein großer Faktor ist sicherlich auch, dass viele aus einem Medizinerelternhaus kommen. Sie haben Eltern oder Verwandte, die nicht nur Rezepte ausstellen können, sondern den Lernalltag noch aus ihrer eigenen Ausbildung kennen. Dennoch ist mit dem Medikamentenmissbrauch nicht zu spaßen, denn nicht nicht jede Substanz wirkt sich auch positiv auf dem Körper auf.