Millionen Menschen in der dritten Welt sind auf günstige Generika angewiesen. Doch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien könnte den Zugang zu medizinischer Versorgung weiter erschweren.
Der Gang zur Apotheke bleibt in Deutschland kaum jemandem verwehrt. Wer krank ist, bekommt medizinische Hilfe. Das garantiert unser Gesundheitssystem. In großen Teilen der Welt sieht das ganz anders aus. Wer in Ghana, Ecuador oder den Philippinen erkrankt, hat an dem medizinischen Fortschritt und neuen Medikamenten meist keinen Anteil, denn die regulären Preise der Pharmafirmen sind für den Großteil der Bevölkerung unerschwinglich. So sterben jedes Jahr Millionen Menschen, weil ihnen die grundlegendsten Medikamente fehlen.
Eine einfache und faire Möglichkeit sind da Generika. Der Vorteil: Die Kosten der Zwillingspräparate sind um ein vielfaches geringer, da die aufwändige Entwicklungsarbeit wegfällt. Indien ist weltweit einer der größten Generika-Produzenten und beliefert einen Großteil der Entwicklungsländer mit günstigen Medikamenten.
Im Jahr 2001 wurde die Aids-Behandlung für Patienten in Afrika und in Teilen von Asien revolutioniert. Einer der indischen Generika-Hersteller konnte ein Kombinationspräparat gegen HIV/Aids für einen Dollar pro Tag produzieren. Zur gleichen Zeit verlangten namhafte Pharma-Unternehmen für das Original gut 10.000 Dollar pro Jahr. Möglich machten das damals so genannte Zwangslizenzen. Mit ihnen autorisiert in besonderen Fällen das betroffene Entwicklungsland einen Dritten, wie beispielsweise eine Generika-Firma in Indien, einer der größten Generikaproduzenten der Welt, ein Medikament ohne die Zustimmung des Patentinhabers herzustellen. Die indische Firma tritt dafür eine Lizenzgebühr an den Patentinhaber ab, der meist eine große Pharmafirma in der EU oder den USA ist. Vor allem der Preis von antiviralen Medikamenten der ersten Generation ist durch Generika so um 90 Prozent gefallen. In anderen Fällen müssen Generika-Hersteller jedoch erst abwarten, bis das Patent regulär abgelaufen ist, bevor sie es kopieren dürfen.
Auf Zugang zu kostengünstigen Generika angewiesen
Nur durch die preisgünstige Nachahmung von Medikamenten konnten Regierungen und humanitäre Organisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" ihre Behandlungen ausweiten. "Wir sind auf den Zugang zu kostengünstigen Generika, wie sie in Indien produziert werden, angewiesen, um verschiedenste Krankheiten behandeln zu können“, sagt Dr. Unni Karunakara, internationaler Präsident von Ärzte ohne Grenzen. „Wir kaufen 80 Prozent unserer HIV/Aids-Medikamente in Indien. Das sind Medikamente, die heute 160.000 Menschen am Leben erhalten.“
Nun könnte es für diese Ländern schwerer werden, an medizinische Hilfe zu kommen. Seit drei Jahren verhandeln die EU und Indien ein Freihandelsabkommen. Indien erhofft sich dabei besseren Zugang auf den westlichen Markt und die Pharmaindustrie der EU versucht, durch stärkere Patente, ihre Interessen zu wahren. In Indien sowie einigen anderen Entwicklungsländern muss der Hersteller für die Zulassung seines Generikums bislang nachweisen, dass der Wirkstoff genauso schnell und in gleicher Menge aus dem Generikum aufgenommen und umgesetzt wird wie das Original. Dass die Medikamente wirken, haben die Studien der Originalhersteller bereits gezeigt. Doch auch Generika müssen den strengen Kriterien der Zulassungsbehörde entsprechen. Erst wenn sie alle Tests bestanden haben, dürfen sie verkauft werden. Fünf Jahre nach der Zulassung muss das Medikament erneut überprüft werden, wenn es auf dem Markt bleiben soll. Eigentlich ein sicheres Verfahren.
Die EU möchte die Studien seiner Industrie jedoch schützen und deklariert sie als ihr geistiges Eigentum. Ihr Vorschlag: Generikahersteller sollen für die Zulassung ihres Medikaments eigene klinische Studien durchführen. Das würde die Kosten jedoch erheblich in die Höhe treiben. Außerdem würde die Exklusivität von Studiendaten die Verhängung von Zwangslizenzen nahezu verhindern: Denn selbst wenn ein Hersteller also durch eine Zwangslizenz das Recht besitzt, ein Generikum herzustellen, müsste er zunächst sein Produkt mit teuren Studien zulassen, um die Möglichkeit zu haben, es tatsächlich auf den Markt zu bringen. Zudem Möchte die EU den Patentschutz noch ausweiten.
Der TRIPS Vertrag der Welthandelsorganisation sieht vor, dass ein Patent im Normalfall 20 Jahre vor Nachahmern geschützt ist. Der EU geht das nicht weit genug. Sie plant, den Patentschutz noch um die Zulassungs- und Bearbeitungszeit verlängern. Zudem möchte die EU Generikalieferungen, die nicht den europäischen Patentschutzrichtlinien entsprechen, weiterhin beschlagnahmen dürfen – selbst wenn sich diese nur im Transit durch die EU befinden und es in den Empfänger-Ländern keinen Patentschutz auf dieses Medikament gibt. Bereits jetzt wird diese Praxis umgesetzt: Seit Ende 2008 haben allein die niederländischen Behörden 17 Lieferungen aus Indien beschlagnahmt. Bestimmungsländer waren Brasilien, Peru, Kolumbien, Ecuador, Mexico, Portugal Spanien und Nigeria also überwiegend Entwicklungsländer. Die Lieferungen erreichten die Bestimmungsländer verspätet oder gar nicht. Ende letzten Jahres kritisierte die indische Delegation zum wiederholten Mal im TRIPS-Rat die Beschlagnahmung von Generika im Transit.
Offiziell setzt sich die EU mit ihren Zollkontrollen gegen gefälschte Medikamente und gegen Gesundheitsgefahren in Europa ein. Ein wichtiges Vorhaben, denn immer wieder gelangen gefälschte oder verunreinigte Medikamente in den Umlauf, die Menschen hier und in den Entwicklungsländern gefährden. Dennoch sollte die Lieferung von qualitativ hochwertigen Generika an Entwicklungsländer nicht unnötig erschwert werden. Diese drei Punkte sind ein alleiniger Vorstoß der EU, die weit über die Bestimmungen der Welthandelorgansition im TRIPS-Abkommen hinausgehen.
Eindruck eines Hinterzimmerabkommens
Noch laufen die Verhandlungen, aber spätestens Anfang 2011 soll das Abkommen unter Dach und Fach sein. Nicht-Regierungsorganisationen kritisieren die bekannt gewordenen Forderungen scharf. Gruppen wie der Evangelische Entwicklungsdienst befürchten, dass Ländern wie Indien so die Möglichkeit genommen wird, günstige Generika herzustellen und zu exportieren. Dabei sind nach einem Bericht der Corporate Europe Observatory (CEO), eine Gruppe, die sich die Überwachung der Lobbyisten zur Aufgabe gemacht hat die treibenden Kräfte des geplanten Freihandelsabkommen neben der Europäischen Kommission mächtige deutsche und europäische Lobbygruppen wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), das European Services Forum (ESF) und die European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA). Die übrige Zivilgesellschaft bleibt dagegen außen vor und von den Verhandlungen ausgeschlossen.
Damit entsteht jedoch der Eindruck eines Hinterzimmerabkommens und es wirft die Frage auf, wie wichtig der EU die Millennium-Entwicklungsziele sind, die vor zehn Jahren von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden. Denn dort heißt es, man wolle mit aller Kraft versuchen, Malaria, AIDS und Tuberkulose in den Entwicklungsländern bekämpfen und den Gesundheitszustand sowie den Zugang zu medizinischer Versorgung verbessern.