Die Zahlen sinken, doch noch immer leben tausende Menschen in Deutschland ohne Versicherungsschutz. Asylsuchende, Wohnungslose, Kinder ohne Papiere oder insolvente Selbstständige können jedoch Hilfe in Anspruch nehmen. Zum Beispiel bei open.med in Berlin.
Man erkennt sie nicht, aber es gibt sie: Menschen ohne Zugang zum Gesundheitssystem. Sie leben illegal in der Bundesrepublik oder haben keine Papiere, sie sind EU-Bürger oder Deutsche, die sich keine Krankenversicherung leisten können. Viele Selbstständige sind unter ihnen, die keine Beiträge mehr an private Kassen zahlen können. Doch es gibt Hilfe. So feiert heute um 17 Uhr die Praxis von open.med die Eröffnung ihrer neuen Räume am Teltower Damm 6 in Berlin mit einem Festakt im Rathaus Zehlendorf. Das in allen Bundesländern vertretene Projekt gibt es nun schon seit 2016. Die Praxis open.med bietet bedürftigen Menschen medizinische Versorgung an, wird betrieben von „Ärzte der Welt“ und „Medizin hilft“. „Seit Projektbeginn haben bereits 70 Patienten unsere Anlaufstelle aufgesucht, mit steigender Tendenz“, so die Betreiber. Anfangs seien es vor allem Asylbewerber gewesen, die auf ihre Gesundheitskarte warteten. In letzter Zeit seien es vermehrt Menschen ohne Papiere.
Wie viele Menschen ohne Krankenversicherung oder mit einem ungeklärten Versicherungsstatus in der Hauptstadt leben, ist nicht belegt. Die Zahl kann laut Senatsverwaltung nur geschätzt werden: Derzeit sind es rund 60.000 Personen, die entweder „undokumentiert, Unionsbürger, EU-Staatenlos oder unzulänglich versicherte Ausländer“ sind. Hier wiederum geht die Behörde von rund zehn bis 15 Prozent aus, die akuter ärztlicher Behandlung bedürfen, also etwa 6.000 bis 12.000 Patienten. Validere Zahlen hat das Bundesgesundheitsministerium (BGM): Fast 80.000 Menschen gaben 2015 in Deutschland an, über keine Absicherung im Krankheitsfall zu verfügen. Dies erhob das Statistische Bundesamt im Rahmen der Befragung zur Art der Krankenversicherung im Mikrozensus. 2011 waren es allerdings rund 137.000 Personen. Den Rückgang von 2011 zu 2015 erklärt das BGM damit, dass viele Menschen von den Regelungen des Beitragschuldengesetzes von 2014 profitiert hätten. Dieses kam zustande, als 2007 die sogenannte nachrangige Versicherungspflicht eingeführt wurde. Damit wurden Menschen ohne Anspruch auf Absicherung, die zuletzt gesetzlich versichert waren, versicherungspflichtige Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Die Krankenversicherung setzt sich selbst fort, wenn sich die Versicherungsbedingungen ändern, es sei denn, die Person erklärt ihren Austritt. Zudem besteht seit 2009 eine Versicherungspflicht in einer privaten Krankenversicherung für alle Bürger. Nach Erhebungen des GKV-Spitzenverbands vom August 2014 profitierten bisher 55.000 vom Beitragschuldengesetzes, indem ihnen Beiträge erlassen oder ermäßigt wurden. Die Zahl deckt sich mit den Ergebnissen des Statistischen Bundesamts.
Die Tatsache, dass es nach wie vor viele Menschen ohne Krankenversicherung gibt, beweisen Einrichtungen wie die Praxis open.med. in Berlin. Die Betreiber berichten, dass viele ihrer Patienten mit Beschwerden kommen, die zu einem Hausarzt führen. Da sie aber den Gang zum Arzt länger hinauszögern, sind ihre Krankheiten häufig stärker ausgeprägt oder chronisch. Durch schwierige Lebensverhältnisse treten Hauterkrankungen auf, oder kleinere chirurgische Eingriffe sind nötig. Asylbewerber wiederum kommen häufig mit komplexen Erkrankungen oder Behinderungen in die Praxis. In der Kindersprechstunde wird pädiatrisch betreut und geimpft. Die Praxis bietet an den Wochentagen täglich von 9 bis 17 Uhr eine Hotline an, wo viele Probleme bereits telefonisch geklärt werden können. Hilfe von Ärzten aus Berlin und Brandenburg ist herzlich willkommen, besonders gebraucht werden Allgemeinmediziner, Dermatologen, Zahnärzte und Psychiater.