Beruf und Familie als Mediziner unter einen Hut zu bekommen, ist nach wie vor schwierig. Mit dem Kind kommt vor allem für Ärztinnen häufig der Karriereknick. Im Süden der Republik sucht man jetzt ganz offensiv nach Lösungen.
Baden-Württemberg hat sich die Leitidee „Kinderland“ schon vor einigen Jahren als politische Richtschnur auf die Fahnen geschrieben. Dazu zählt in erster Linie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Was in der Wirtschaft schon vor geraumer Zeit als Standortvorteil begriffen wurde, soll nun auch in den Kliniken des Landes Einzug halten. In einem gemeinsamen Aufruf zum Handeln wurde das Thema auf der Tagung zur „Familienfreundlichkeit in der medizinischen Aus- und Weiterbildung“ (14.–15.10.2010) in Stuttgart zumindest bei den Beteiligten zur „Chefsache“ erklärt. Dem demonstrativen Podiums-Schulterschluss zwischen Politik und Ärzteschaft müssen jetzt aber konkrete Taten folgen.
Vom Phasen- zum Parallelisierungsmodell
Alle Schlagworte wurden noch einmal benannt: Demographischer Wandel, die „Feminisierung“ des Arztberufes oder der oft beschworene Ärztemangel. Nicht zu vergessen der gesellschaftliche Wandel: Das Werte- und Rollenverständnis der jüngeren Ärztegeneration habe sich verschoben, hin zu einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Beruf und Familie. Vom klassischen Phasenmodell in der Karriereplanung, also der Trennung zwischen Karriere und Kinderwunsch, müsse man sich verabschieden, erklärte Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Studiendekan an der Universität Ulm. Auch Klaus Tappeser, Ministerialdirektor im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, äußerte sich in seinem Grußwort dahingehend: „Wir müssen jungen Frauen ermöglichen, mit Kind Karriere zu machen. Die Umstände sollten sich so entwickeln, dass das Kind nicht die Karriere behindert. Und das muss schon im Studium beginnen.“ In diesem Sinne waren sich die geladenen Entscheidungsträger aus Politik und Ärzteschaft einig, dass weitere Anstrengungen nötig sind, um die Familienfreundlichkeit in der medizinischen Aus- und Weiterbildung an deutschen Kliniken zu verbessern. In Zeiten des Fachkräftemangels sei die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie ganz allgemein die Attraktivität des Arbeitsplatzes in Bezug auf Arbeitszeiten und Betriebsklima ein Standortvorteil. Dieser würde, laut Erich Stutzer, Leiter der baden-württembergischen Familienforschung, durch motivierte Mitarbeiter „eine Win-Win-Situation“ schaffen. „Im Wettbewerb um Einwohner und gleichermaßen um Fachkräfte“, erläuterte er, „gilt es, gut (aus) zu bilden und zu halten.“ Das gelte derzeit im Besonderen für den medizinischen Sektor.
Was bedeutet Familienfreundlichkeit für Euch? Was muss zuerst geändert werden?
Führungskräfte müssen ein kinderfreundliches Betriebsklima schaffen
Ausgehend von der Datenbasis erster Studien unter Medizinstudierenden mit Kind, die unter Fegerts Leitung erst kürzlich an den Universitäten Ulm und Frankfurt durchgeführt worden waren, kristallisierten sich in den Referaten erste Lösungsansätze heraus. Zum Teil seien diese auch schon umgesetzt, aber man müsse sich jetzt, da das Thema etabliert sei, von der Political Correctness verabschieden und weitere konkrete Maßnahmen ergreifen, so Fegert. Was meint also Familienfreundlichkeit über die arbeitsnahe Kinderbetreuung als Grundlage für alles hinaus? Die Rede war von Teilzeitangeboten, einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Telearbeit, Beratungsangeboten für Familien, finanziellen Unterstützungen, einer überarbeiteten Weiterbildungsordnung und vor allem einer familien- oder besser arbeitnehmerfreundlichen Unternehmenskultur, in der Kinder nicht als Last, sondern durchaus als erwünscht und für die Gesellschaft notwendig begriffen werden. Das müsse auch gegenüber den Mitarbeitern so kommuniziert werden. Als Vermittler einer solchen Kultur seien vor allem die Führungskräfte an den baden-württembergischen Kliniken gefordert.
Insgesamt müsse das Bewusstsein für ein familienfreundliches Klima aber deutschlandweit geschärft werden. An der Universität Ulm habe Fegert ein eigenes Forschungsprojekt zu Familie, Zeitpolitik und E-Learning ins Leben gerufen. Ein erster Schritt, um dem Schwund an Jungärzten von fast 20 Prozent zwischen Studienabschluss und Berufsaufnahme entgegen zu wirken. Die Vertreter der Landesregierung begrüßten diese Maßnahmen und versprachen ihrerseits, das Thema Kinderfreundlichkeit in den entsprechenden Ministerien auch finanziell zu thematisieren.
Empfehlungen für ein kinderfreundliches Studium
Schon im Studium und dabei vor allem im Hauptstudium, das für viele Mediziner mittlerweile als der beste Zeitpunkt zum Kinderkriegen gilt, sollte, folgt man den Empfehlungen der Ulmer Studie, mehr auf Familienfreundlichkeit geachtet werden. Als Hauptproblempunkte wurden an den baden-württembergischen Fakultäten der zu starre Stundenplan, die zu dicht beieinander liegenden Prüfungen und zu viele am Nachmittag stattfindende Pflichtkurse detektiert. Auch sollte die Anwesenheitspflicht in bestimmten Punkten flexibilisiert werden. Es gebe zum Beispiel keine Sonderregelungen für den Fall, dass das Kind krank sei. Unabhängig vom Einzelfall sei an den geforderten 87 Prozent nicht zu rütteln. Die bisher angebotenen Beratungen für Studenten mit Kind seien hingegen gut und umfangreich, würden aber leider nur unzureichend genutzt. Möglicherweise muss da an der Präsentation gearbeitet werden. Eine weitere durchaus sinnvolle Idee, die die Position von Studenten mit Kind stärken würde, ist die Einführung eines Elternpasses. Damit würden die „Betroffenen“ aus der Rolle des Bittstellers heraus kommen und sich nicht immer wieder erklären müssen. Des Weiteren erscheinen auch mehr Wickelräume und Parkplätze sowie Aufenthaltsräume für Eltern sinvoll. Im Moment wären in Baden-Württemberg circa 3,5 Prozent der Medizinstudierenden betroffen. Eine Zahl, die in den nächsten Jahren weiter steigen dürfte.
Just do it
In der abschließenden Podiumsdiskussion hatte Frau Prof. Dr. Martina Müller-Schilling, leitende Oberärztin der Inneren Medizin IV am Universitätsklinikum Heidelberg, all der Theorie noch einige Erfahrungen aus der täglichen Stationspraxis hinzuzufügen. Das Grundproblem sei die hohe Arbeitsbelastung bei zu geringer Personaldichte. Das führe zum Beispiel dazu, dass Ärzte mit Kind unter den Kollegen bisweilen einen schlechteren Stand hätten. Für Müller-Schilling sei deshalb ein klares, elternfreundliches Curriculum im Studium und in der Facharztausbildung wichtig. Familienfreundlichkeit müsse darüber hinaus allgemeine Arbeitszufriedenheit bedeuten, was eben auch das wichtige Feld der überlangen und schlecht kalkulierbaren Arbeitszeiten tangiere. Dieses Problem lasse sich jedoch nicht ohne zusätzliche Arbeitskräfte lösen.
Insgesamt war man sich einig, dass eine solche Veranstaltung nur Sinn mache, wenn sie eine nachhaltige Wirkung entfalte. Insofern seien jetzt alle gefordert, weitere Ideen zur konkreten Umsetzung zu entwickeln. Oder, um es mit den Worten von Moderatorin Dr. Daniela De Ridder zu sagen: „Just do it!“
Weitere Informationen zu der angesprochenen Studie und zur Tagung gibt es unter www.meduki.de.