Tumorzellen zielgerichtet zu bekämpfen, gelingt bei vielen Krebsarten immer besser. Ergebnisse einer klinischen Studie legen nun nahe, dass auch Patienten mit einer akuten myeloischen Leukämie von spezifisch wirkenden Medikamenten profitieren können.
Bei der akuten Form der myeloischen Leukämie vermehren sich unkontrolliert Vorläuferzellen der Granulozyten und Monozyten; unbehandelt schreitet die Krankheit rasch voran und führt innerhalb weniger Monate zum Tod der Patienten. Etwas weniger als die Hälfte der AML-Patienten können durch eine alleinige Chemotherapie geheilt werden. Vor allem die Betroffenen, bei denen zusätzlich das FLT3-Gen in den Vorläuferzellen mutiert ist, erleiden sehr häufig Rückfälle.
Wie ein internationales Forscherteam in der Fachzeitschrift Journal of Clinical Oncology berichtet, sprechen diese Patienten jedoch auf eine Monotherapie mit dem Wirkstoff Midostaurin an. Im Rahmen einer klinischen Studie konnte bei rund zwei Drittel der Patienten mit einem mutierten FLT3-Gen die Zahl der leukämischen Zellen im Blut signifikant gesenkt werden. Allerdings war die Wirkung des Medikaments nicht von Dauer: „Nach durchschnittlich zwei bis drei Monaten begannen die Krebszellen sich wieder zu vermehren“, berichtet Professor Thomas Fischer, Direktor der Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie Magdeburg.
Protein sendet ständig Signale
Das FLT3-Gen trägt die Bauanleitung für ein Protein, das auf der Oberfläche von Blutstammzellen sitzt und deren Vermehrung reguliert. Normalerweise empfängt diese so genannte Rezeptor-Tyrosinkinase von außerhalb Signale, die sie ins Innere der Zellen weiterleitet und diese veranlasst, sich zu teilen. „Wenn die mutierte Form des Rezeptors vorliegt, geschieht das auch ohne Signale von außen“, erklärt Fischer. „Das Protein ist sozusagen dauerhaft angeschaltet und sorgt dafür, dass sich die Zellen ständig vermehren.“
Midostaurin unterbricht die permanente Signalweiterleitung, indem es sich an den Rezeptor anlagert und ihn so blockiert. Aber auch bei Patienten ohne mutiertes FLT3-Gen ist das neue Medikament nicht wirkungslos, da es auch bei diesen die Weiterleitung der für die Zellteilung nötigen Signale unterbindet. Midostaurin gehört zur Klasse der Tyrosinkinase-Inhibitoren und wurde ursprünglich zur Therapie von soliden Tumoren wie das Bronchialkarzinom entwickelt.
Nebenwirkungen hielten sich in Grenzen
An der multizentrischen Studie nahmen insgesamt 95 Patienten teil, davon hatten 35 ein fehlerhaftes FLT3-Gen. Alle Studienteilnehmer hatten trotz vorheriger Standardtherapie einen oder mehrere Rückfälle erlitten oder hatten einen so schlechten Allgemeinzustand, dass sie keine Chemotherapie vertragen hätten. Den Wirkstoff bekamen die Probanden zweimal täglich in einer Dosierung von entweder je 50 oder je 100 Milligramm verabreicht. Seine Nebenwirkungen hielten sich bei den Patienten in Grenzen: Nur fünf Prozent der gesamten Studienteilnehmer, so Fischer, hätten während der Behandlung an schweren Nebenwirkungen in Form von Hautausschlägen, Erbrechen, Übelkeit oder Durchfall gelitten.
Bei 71 Prozent der Patienten mit einem mutierten FLT3-Gen schlug die Therapie mit Midostaurin an: Die Anzahl der entarteten Zellen ging bei ihnen um mehr als die Hälfte zurück. In der Gruppe der Patienten ohne fehlerhaftes FLT3-Gen erreichten nur 46 Prozent der Probanden diesen Status. In keiner der beiden Gruppen konnten die Mediziner eine komplette Remission beobachten. Typischerweise begann innerhalb einer Woche die Zahl der Leukämiezellen zurückzugehen, nach durchschnittlich 29 Tagen hatte die Behandlung mit Midostaurin sie um mehr als 50 Prozent zurückgedrängt.
Kombination mit Chemotherapeutika in Erprobung
Obwohl die Monotherapie mit der neuen Substanz nur von begrenzter Wirkung war und keine dauerhaften Erfolge erbrachte, zeigt sich Fischer optimistisch. Denn seit anderthalb Jahren wird Midostaurin im Rahmen einer Phase III-Studie an AML-Patienten mit mutiertem FLT3-Gen getestet: Die Studienteilnehmer erhalten eine Standard-Chemotherapie entweder mit oder ohne Midostaurin. „Wir hoffen, dass durch die Kombination mit einer Chemotherapie noch bessere Ergebnisse bei Patienten mit einer AML erreicht werden“, so der Magdeburger Mediziner.
Andere Experten wie Professor Christian Thiede, Laborleiter der Molekularen Hämatologie an der Technischen Universität Dresden, befürworten ebenfalls den Einsatz von Midostaurin in Kombination mit einer Chemotherapie: „Abgesehen von Einzelfällen hat bisher noch kein einzeln eingesetzter Tyrosinkinase-Inhibitor bei AML-Patienten einen Rückfall dauerhaft verhindert“, sagt Thiede. „AML ist keine monogenetische Erkrankung.“ Neben der FLT3-Mutation seien eine Reihe weiterer chromosomaler und genetischer Veränderungen bekannt, die in Kombination auftreten müssten, damit eine AML tatsächlich ausgelöst wird. Thiede: „Wenn man nur auf eine Veränderung mit zielgerichteten Substanzen Einfluss nimmt, kann man das Wachstum der entarteten Zellen abbremsen, aber diese kaum dauerhaft eliminieren.“
Substanz hilft Zeit zu gewinnen
Die Kombinationstherapie von Midostaurin mit Zytostatika ist für den Dresdener Forscher ein erster Schritt, um die Leukämiezellen aus verschiedenen Richtungen anzugreifen: „Sie wird vermutlich nur bei einem Teil der AML-Patienten tatsächlich eine vollständige Heilung erwirken, aber man kann mit ihr wahrscheinlich bei vielen Patienten Zeit gewinnen.“ Die Suche nach einem geeigneten Knochenmarkspender, so Thiede, dauere manchmal zwei bis drei Monate und gerade bei Patienten mit einem veränderten FLT3-Gen könnten die neue Inhibitoren wie Midostaurin entscheidend dazu beitragen, dass die Leukämie bis zur Transplantation in Schach gehalten werde. Aber auch nach einer Transplantation könne eine Therapie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren wahrscheinlich helfen, die hohe Rückfallrate zu senken, ähnliche Beispiele gebe es bereits bei der Philadelphia-positiven akuten lymphatischen Leukämie.