Weniger als die Hälfte aller Schmerzmittel bringen Linderung. Das liegt auch daran, dass über die Schnittstellen zwischen dem Reiz und seiner Weiterleitung zum ZNS kaum etwas bekannt ist. Neue Ergebnisse über Verstärkung von sensorischen Signalen machen Hoffnung.
Die letzten Nachrichten über traditionelle und moderne Schmerzmittel waren nicht ermutigend. Zum Beispiel Schmerzsalben auf der Basis von Salicylaten: DocCheck berichtete über mangelnde Wirksamkeit, dokumentiert in einem Cochrane-Review. Auch Morphine, die stärkeren Kaliber gegen chronische oder Tumorschmerzen, bekamen kein besseres Zeugnis, so DocCheck im April.
Ein Windstoss erzeugt unerträgliche Pein
Besonders chronische Schmerzen bereiten Ärzten und Forschern enormes Kopfzerbrechen. Laut Statistik haben 20 bis 30 Prozent aller Europäer in ihrem Leben mindestens eine lange oder gar chronische Schmerzperiode. 50 bis 70 Prozent sind durch ihre Schmerzmittel nicht ausreichend versorgt. Die verfügbaren Wirkstoffe kommen nicht gegen den Schmerz an oder haben Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schläfrigkeit oder Gefahren fürs Herz.
Wer unter einer Allodynie leidet, für den erzeugen sogar hautfreundliche Textilien, ein Windstoß auf die blanke Haut oder eine Dusche große Pein. Meist steckt entweder eine Entzündung oder eine Verletzung an den peripheren Nervenendigungen dahinter. Manchmal sind es auch Diabetes, Krebs, Drogenmissbrauch oder Alkohol, die zu solchen Überreaktionen führen.
Welche Signale an den Nozizeptoren außerhalb des zentralen Nervensystems sind für die Kontrolle und das übermäßige Feuern der Nervenbahnen verantwortlich? Trotz intensiver Forschung ist darüber nicht viel bekannt. In Deutschland arbeiten im Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (DFNS) seit acht Jahren Klinik und Labor eng zusammen, um chronischen Schmerzpatienten das Leben zu erleichtern und um neue Wege gegen das amoklaufende Warnsignal zu finden.
MOPS auf der Suche nach molekularen Schmerzschaltern
In Berlin sucht die junge Arbeitsgruppe um Tim Hucho am Max Planck Institut für molekulare Genetik nach Schaltern, die zwischen Reizentstehung und Verarbeitung im zentralen Nervensystem liegen. Ebenfalls im Forschungsverbund mit dem niedlichen Namen MOPS sind klinische Gruppen aus Kiel, Berlin, Erlangen und Kassel. Der Hundename steht dabei für „Modelling Pain Switches“. Hucho und seine Kollegen haben inzwischen schon erste Erfolge vorzuweisen. Sie konnten die Mitwirkung verschiedener Proteinkinasen an der Schmerzkaskade in der Peripherie zeigen. Die Schmerzkontrolle scheint dabei über einen sensitivierenden und einen desensitivierenden Weg zu funktionieren. Sie lassen sich unabhängig voneinander aktivieren - mit erstaunlicher Wirkung: Denn das aktivierte desensitivierende Element sorgt dafür, dass nachfolgende Reize auch das sensitiverende Element nicht mehr anschalten und sogar einen ausgelösten Reiz wieder löschen kann. Eine solche Signalumkehr zeigten Forscher sowohl in vitro als auch bereits in vivo an Tier und Mensch.
Wie es mit dem Schmerzsignal nach der Aktivierung der Proteinkinasen - insbesondere solcher vom Typ epsilon - weitergeht, ist allerdings noch weitgehend unbekanntes Terrain. Sicher ist jedoch, dass auch Sexualhormone eine Rolle in der Kette spielen. So wirken etwa Östrogene direkt auf nozizeptive Neuronen ein. Wahrscheinlich ist hier die Ursache für unterschiedliches Schmerzempfinden der Geschlechter zu suchen.
Schmerzblocker ohne Nebenwirkung?
Einen weiteren Ansatz, den chronischen Schmerz gleich am Anfang der Bahn zum Gehirn auf die Spur zu kommen, haben Daniele Piomelli und seine Kollegen publiziert. Vor einigen Wochen beschrieb ein Team aus Italien, Spanien und den USA in „Nature Neuroscience“ einen neuen Schmerzblocker, der ausschließlich außerhalb von Gehirn und Rückenmark wirkt. Die Substanz hat das körpereigene Endocannabinoid-System zum Ziel, kann aber unter dem Schädeldach mit unerwünschten Nebenwirkungen keinen Schaden anrichten. URB937 hemmt die Zersetzung von Anandamid, einem Substrat des Cannabinoid Rezeptors (CB). In Ratten und Mäusen linderte das geklonte Molekül aus dem Labor den neuropathischen Schmerz.
Die Ergebnisse der Forschergruppe könnten aber nicht nur Grundlage für neue Schmerzmittel sein, sondern bringen auch Erkenntnisse über die Regulierung von Schmerzreizen außerhalb des ZNS. So scheint Anandamid den Schmerzlevel zumindest mitzubestimmen. Hohe Konzentration heißt verstärkte CB1-Rezeptor-Aktivierung und in der Folge eine Schmerzdämpfung noch außerhalb des Rückenmarks. Endogene Opioide haben eine ganz ähnliche analgetische Wirkung, wenn sie an ihre Rezeptoren in der Körper-Peripherie binden. Bei einer Entzündung produzieren Zellen des Immunsystems diese körpereigenen Schmerzmittel, die dann die Signalkette an den sensorischen Nervenendigungen fortsetzen.
Die Mechanismen, die über den Schmerzpegel außerhalb des zentralen Nervensystems bestimmen, sind noch weitgehend unbekannt. Viele Ansätze gegen Allodynie oder permanente Schmerzen greifen deswegen einfach ins Leere. „Einem Drittel der Patienten können wir mit Schmerzmitteln gut helfen“, sagt Christoph Maier vom RUB-Klinikum Bergmannsheil „Bei einem weiteren Drittel klappt es so halbwegs, bei einem Drittel überhaupt nicht.“ In Zukunft soll ein neu entwickeltes System mit 13 Einzeltests den individuellen Schmerzauslösern bei Neuropathien auf die Schliche kommen. Mit zusätzlichem Wissen über die Regulation des sensorischen Alarmsystems im Körper müsste sich eine gute Ansprechrate effektiver Schmerzmittel doch weit jenseits der 50 Prozent haben lassen.